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In den Schluchten des Balkan. Karl MayЧитать онлайн книгу.

In den Schluchten des Balkan - Karl May


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haben!«

      »Ich sagte ihm, daß ich vielleicht bis in die Berge des Schar-Dagh reiten müsse.«

      »So hat er von der Gefahr gesprochen, welche dich dort erwartet?«

      »Er hat mich gewarnt und zur Vorsicht gemahnt.«

      »Und gewiß dabei des Sicherheitspapieres erwähnt?«

      »Ja, er hat davon gesprochen.«

      »Und gesagt, daß ich dir so ein Kiaghad eminlikün verschaffen könne?«

      »Ja.«

      »Er hat sich geirrt.«

      »Ah! Wirklich?«

      »Wirklich.«

      »Es steht nicht in deiner Macht, mich in den Besitz eines solchen Schutzes zu setzen?«

      »Nein.«

      »Aber er versicherte es so ganz bestimmt!«

      »Er hat gedacht, es sei noch so, wie in früheren Zeiten.«

      »So bist du kein Wissender mehr?«

      »Das ist eine Frage, welche ich nur einem geprüften Freund beantworten darf. Doch du hast uns gerettet; du hast das Oel meines Bruders und seine Freundschaft erhalten, so will ich dir die Wahrheit sagen: Ja, ich war ein Wissender und bin es noch.«

      »So mußt du also genau wissen, daß es keine Sicherheitspapiere mehr gibt.«

      »Es gibt keine mehr; kein Skipetar und kein Flüchtling stellt mehr solche Papiere aus.«

      »Warum?«

      »Weil sie ihren Zweck nicht erfüllen. Sie gewähren nicht den Schutz, den sie bieten sollen.«

      »So respektiert man sie nicht?«

      »Das ist es nicht. Kein Verlorener wird den Schutzbrief, den ein anderer Verlorener ausgestellt hat, mißachten. Aber wer sieht das Papier?«

      »Hat man es nicht vorzuzeigen?«

      »In vielen Fällen; aber es gibt auch andere Fälle. Du reitest durch den Wald; zwei oder drei Geflohene sehen dich kommen; du bist viel besser bewaffnet als sie; darum beschließen sie, sich in keinen offenen Kampf einzulassen; sie überfallen dich aus dem Hinterhalt; sie wissen nicht, daß du das schützende Papier bei dir trägst; du hast es in der Tasche; du verlässest dich auf seine Kraft und Wirkung und wirst trotzdem von den tödlichen Kugeln derer getroffen, welche ihr Leben für dich eingesetzt hätten, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, daß du ein Beschützter bist.«

      »Das läßt sich allerdings begreifen. Die Verlorenen können aber nicht ohne Freunde sein, und haben sie solche, so ist es erforderlich, sie zu schützen. Ich vermute also, daß an die Stelle des Kiaghad eminlikün etwas anderes und zwar besseres getreten ist.«

      »Deine Vermutung ist richtig. Du siehst ein, daß ich dir kein Schutzpapier verschaffen kann?«

      »Ja. Du kannst mir nicht geben, was doch gar nicht vorhanden ist. Aber darfst du mir vielleicht sagen, welch eines Kennzeichens man sich jetzt bedient?«

      »Ich will es wagen. Kannst du schweigen?«

      »So gut wie ein jeder andere.«

      »So wisse, daß sich jetzt alle Schützer und Beschützte an der Koptscha[31] erkennen.«

      Diese Worte riefen sofort eine Ahnung in mir hervor.

      »Ist diese Koptscha von Silber?« fragte ich.

      »So ist es.«

      »Sie bildet einen Ring, in welchem sich ein Czakan[32] befindet?«

      »Ja. Woher weißt du es?«

      »Ich vermute es, und zwar aus dem Grunde, weil Personen diese Koptscha tragen, von denen ich entweder weiß, oder vermute, daß sie Verlorene sind oder doch mit denselben in Verbindung stehen.«

      »Darf ich die Namen dieser Personen erfahren?«

      »Ja. Manach el Barscha hatte eine Koptscha an seinem Fez. Einige Männer, welche in Edreneh bei dem Kadi die Verhandlung gegen Barud el Amasat mit anhörten, trugen sie. Und sodann begegnete ich heute, als ich mit dem ehemaligen Derwisch durch die Stadt ritt, einem Mann, der mich ganz eigentümlich betrachtete und sodann vermutlich die Verbündeten der Flüchtlinge benachrichtigte und jene zwei Schüsse veranlaßte, welche gegen mich und Ali Manach Ben Barud el Amasat abgefeuert wurden. Auch er hatte die Koptscha.«

      »Daß der einstige Steueraufseher von Uskub sie besitzt, das habe ich heute bemerkt.«

      »Vielleicht hätte man dich nicht so mißhandelt, wenn du auf den Gedanken gekommen wärst, ihnen zu sagen, daß du im Besitze der Agraffe bist.«

      »Das ist möglich; leider aber habe ich nicht daran gedacht.«

      »Es bekommt sie wohl nicht jedermann?«

      »Nein.«

      »Welche Anforderungen werden gestellt?«

      »Der, welcher sie haben will, muß ein Mann sein, von dem man sicher ist, daß er den Freunden Nutzen bringen kann. Und sodann muß er bewiesen haben, daß er diejenigen, welche in die Berge gegangen sind, nicht verurteilt.«

      »Muß sie nicht ein jeder verurteilen? Sie sind aus dem Gesellschaftsverband getreten, der unter dem Schutz des Gesetzes steht.«

      »Du hast recht. Aber du mußt dieses Gesetz mit dieser Gesellschaft vergleichen. Das Gesetz ist gut, und es meint es auch gut mit den Untertanen; aber die Gesellschaft, von der du sprichst, taugt nichts. Allah hat uns weise Gesetze und wohltätige Satzungen gegeben, aber sie werden von seinen Vertretern falsch gehandhabt. Hast du nicht schon die Klage gehört, daß der Islam seine Anhänger verhindere, in der Kultur Fortschritte zu machen?«

      »Sehr oft.«

      »Wird dieser Vorwurf dem Islam nicht meist von Andersgläubigen gemacht?«

      »Ich gebe das zu.«

      »Nun, sie kennen den Islam, den echten Türken nicht. Der Islam verhindert den Kulturfortschritt nicht; aber die Macht, die er dem einen über den andern erteilt, ist in unrechte, treulose Hände gekommen. Auch der Türke ist gut. Er war und ist noch bieder, treu, wahrheitsliebend und ehrlich. Und wenn er anders wäre, wer hätte ihn anders gemacht?«

      Ich war ganz erstaunt, von diesem einfachen Mann, von einem Dorfschmied, solche Worte zu hören. Wo hatte er seine Anschauungen hergenommen? Waren sie die Frucht eigenen Nachdenkens, oder hatte er zufälligerweise mit Männern verkehrt, die ihn zu sich emporgezogen hatten?

      Ich zog es vor, mich einer Antwort zu enthalten, und so fuhr er fort:

      »Der Türke hat dieses Land erobert. Ist das ein Grund, ihn aus demselben zu vertreiben? Antworte mir, Effendi!«

      »Sprich weiter!«

      »Haben nicht der Engländer, Deutsche, Russe, der Franzose und alle andern ihr Land ebenso erobert? War nicht noch vor kurzem Prussia so klein wie eine Streusandbüchse, und nun ist es so groß geworden, daß es Millionen von Menschen faßt? Wodurch ist es so groß geworden? Durch Schießpulver, durch das Bajonett und durch das Schwert, wohl auch durch die Feder des Diplomaten. Sie alle haben früher nicht die Länder gehabt, die sie jetzt besitzen. Was würde der Amerikaly sagen, wenn der Türke zu ihm käme und spräche: du mußt fort, denn dieses Land hat dem roten Volke gehört? Er würde den Türken auslachen. Warum also soll dieser vertrieben werden?«

      »Der Nemtsche will ihn nicht vertreiben.«

      »Ja, das habe ich gehört; aber der Nemtsche ist auch der Einzige, der Gerechtigkeit besitzt. In unserm Lande gab es ein Volk mit dem Katholizismus des Moskows. Dieses Volk war groß in Kenntnissen, aber noch größer in seinen Sünden. Da kam der Türke und züchtigte sie ganz wie Joschuah die Völker des Landes Kanaan züchtigte. Das war Gottes Wille. Aber mit ihm kamen die von ihm Besiegten: er war und blieb an Zahl der Kleine im Lande. Er hatte gesiegt durch seine Tapferkeit, und nun wurde er nach und nach besiegt durch Schlauheit und Hinterlist. Blicke dich um! Zähle die Verbrechen, die man verübt; sammle die Verleumder,


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<p>31</p>

Agraffe, Schnalle, Knopf.

<p>32</p>

Czakane waren gravierte Beile an hölzernen, mit Fischhaut überzogenen Schäften. Sie wurden von den Heiducken an der rechten Seite getragen und zum Werfen und Hauen benutzt. Gezielt wurde damit stets nach dem Kopfe.

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