Waldröschen V. Ein Gardeleutnant. Karl MayЧитать онлайн книгу.
werde, und doch blieb dieser, scheinbar unvorsichtigerweise, auf seinem Stuhl sitzen.
»Ich befehle Ihnen, augenblicklich zu widerrufen und mich um Verzeihung zu bitten!« keuchte es aus der Brust des aufgeregten Offiziers. – »Papperlapapp! Was hätten Sie, gerade Sie mir zu befehlen!« klang es vernichtend aus Kurts Mund. – »Oh, mehr als Sie denken!« rief der Wütende, der vor Zorn seiner kaum mehr mächtig war. »Ich befehle Ihnen sogar, aus unserem Korps wieder auszutreten, denn Sie sind unserer nicht würdig. Und wenn Sie dies nicht freiwillig tun, so werde ich Sie zwingen. Wissen Sie überhaupt, wie man jemanden aus der Uniform treibt?«
Trotzdem er die scheinbar verteidigungslose Stellung noch immer beibehielt, lächelte Kurt überlegen, indem er antwortete:
»Das weiß jedes Kind. Man gibt ihm einfach eine Ohrfeige, dann ist es ihm unmöglich, weiter zu dienen.« – »Nun gut! Wollen Sie widerrufen, um Verzeihung bitten und hier uns allen versprechen, auszutreten?« – »Lächerlich! Treiben Sie keine Faxen!« – »Nun, so nehmen Sie die Ohrfeige!«
Bei diesen Worten warf er sich auf Kurt und holte zum Schlag aus. Aber obgleich seine Bewegungen mit Blitzesschnelligkeit ausgeführt waren, Kurt war doch noch schneller. Er parierte den entehrenden Schlag mit dem linken Arm, faßte im nächsten Augenblick Ravenow hüben und drüben bei der Taille, hob ihn hoch über sich empor und warf ihn mit gewaltigem Schwung über das Billard hinüber, so daß er mit einem lauten Krach drüben besinnungslos zur Erde stürzte. Dies hatte er von Doktor Sternau, seinem starken Lehrmeister gelernt.
Niemand hatte dem jungen Mann solche Stärke und Gewandtheit zugetraut. Einige Augenblicke lang herrschte eine unbeschreibliche Verwirrung im Zimmer. Einige standen ganz bewegungslos vor Schreck und starrten auf den Sieger, der vorher eine solche geistige und nun auch diese körperliche Überlegenheit entwickelt hatte. Andere eilten zu Ravenow, welcher wie tot am Boden lag. Zum Glück war ein Militärarzt mit anwesend, der den Bewußtlosen sofort untersuchte.
»Er hat nichts gebrochen und ist auch innerlich unverletzt, wie es scheint«, sagte er dann. »Er wird bald erwachen und nur einige blaue Flecke davontragen.«
Diese Besorgnis war also gehoben, und nun wandte sich, nachdem man Ravenow auf das Sofa gelegt hatte, die finstere, feindselige Aufmerksamkeit auf Kurt, der so gleichmütig dastand, als habe er mit dem Vorgang gar nichts zu schaffen. Der Oberst hielt jetzt die Zeit für gekommen, die Überlegenheit seines Ranges geltend zu machen. Er schritt langsam auf Kurt zu und sagte in drohendem Ton:
»Mein Herr, Sie haben sich an dem Leutnant von Ravenow vergriffen …« – »Die anwesenden Herren können mir sämtlich bezeugen, daß es ein Akt der Gegenwehr war«, fiel Helmers schnell ein. »Er wagte es, einem Offizier eine Ohrfeige anzubieten, er warf sich auf mich, er holte zum Schlag aus. Dennoch habe ich ihn geschont, denn es lag in meiner Macht, ihn durch eine Ohrfeige so dienstunfähig zu machen, wie er es mir angedroht hatte.« – »Ich ersuche Sie, mir nicht in das Wort zu fallen, sondern mich aussprechen zu lassen! Ich bin Ihr Vorgesetzter, und Sie haben zu schweigen wenn ich spreche. Verstehen Sie wohl? Sie verlassen augenblicklich das Lokal und begeben sich bis auf weiteres nach Ihrer Wohnung auf Zimmerarrest.«
Die Gesichter der Anwesenden heiterten sich auf. Das war ganz aus ihrem Herzen gesprochen. Aber sie hatten den Leutnant trotz allem noch nicht kennengelernt. Er verbeugte sich höflich und antwortete in gemessenem Ton:
»Ich bitte um Entschuldigung, Herr Oberst! Morgen würde ich Ihrem Befehl augenblicklich Gehorsam leisten, da ich aber erst zu morgen früh zum Antritt kommandiert bin, so hat derselbe heute noch keine Kraft für mich. Ich meine, man soll sich durch den Zorn nie zu einer Übereilung hinreißen lassen …« – »Herr Helmers …«, drohte der Oberst.
Kurt aber fuhr unbeirrt fort:
»Von einem Arrest kann also keine Rede sein, doch Ihrem Wunsch, das Lokal zu verlassen, leiste ich gern Folge, da ich bisher nur gewöhnt gewesen bin, an solchen Orten zu verkehren, an denen man nicht Gefahr läuft, schuldlos verleugnet oder wohl gar geohrfeigt zu werden. Dies pflegt nur in Tingeltangeln und ähnlichen Lokalen zu geschehen. Gute Nacht, meine Herren!«
Diese Zurechtweisung rief zahlreiche Ausrufe des Grimms hervor. Kurt kehrte sich aber nicht daran, schnallte seinen Säbel um, setzte den Tschako auf und schritt in stolzer Haltung zur Tür hinaus.
»Schrecklich!« rief einer hinter ihm her. – »Fürchterlich!« der andere. – »Noch niemals dagewesen, auf Ehre!« der dritte. – »Dieser Knabe ist ein wahrer Teufel!« meinte der viel erwähnte Major. – »Pah!« schnauzte der Oberst. »Wir werden ihm seine Teufeleien austreiben! Er und mich fordern! Hat man so etwas gehört!«
Sie alle hatten gar nicht bemerkt, daß Leutnant Platen dem Fortgehenden gefolgt war. Draußen unter der Tür holte er ihn ein, ergriff ihn am Arm und sagte mit gedämpfter Stimme:
»Leutnant Helmers, warten Sie einen Augenblick! Es gab eine allgemeine Verschwörung gegen Sie. Wollen Sie mir glauben, wenn ich Ihnen versichere, daß wenigstens ich keinen Teil an derselben habe?« – »Ich glaube Ihnen, denn Sie haben es bewiesen«, antwortete Kurt, indem er ihm die Hand entgegenstreckte. »Nehmen Sie meinen Herzensdank. Ich will gestehen, daß ich auf ein ablehnendes Verhalten, aber keineswegs auf solche Ungezogenheiten und Roheiten gefaßt war. Ich beklage die Ereignisse des Abends sehr.« – »Sie haben sich wacker gewehrt, fast zu tapfer. Ich fürchte, Sie haben sich unmöglich gemacht.« – »Das wird man ja sehen. Ich habe niemals das gekannt, was andere Furcht nennen. Ich achte die Vorrechte des Adels. Sie sind durch die Jahrhunderte geheiligt, aber ich trete der Anschauung entgegen, die den Adel als qualitativ über dem Bürgertum stehend erklärt. Der Wert des Menschen ist gleich seinem moralischen Gewicht.« – »Ich gebe Ihnen recht, obgleich ich von Adel bin. Der Oberst hat Ihre Zurechtweisung verdient, freilich ahnte kein Mensch, daß Sie es wagen würden, eine so unerhörte Freimütigkeit zu entwickeln. Was aber Ravenow betrifft, so muß ich Sie doch fragen, ob Sie dieses Mädchen kennen.« – »Sehr genau. Diese Damen haben mir das Ereignis erzählt.« – »Ob aber wahrheitsgetreu?« – »Beide lügen nie. Ihnen allein will ich übrigens sagen, daß die Dame, der die Wette gilt, keineswegs eine Kutscherstochter ist. Wollen Sie mir einstweilen Diskretion versprechen?« – »Gewiß!« – »Nun, sie ist die Enkelin des Herzogs von Olsunna. Sie sehen also, daß ich mich keineswegs zu schämen brauche, wenn ich ihr intimer Freund bin.« – »Alle Teufel! Wie kommt aber dieser Ravenow …« – »Er ist ein Renommist und ein unvorsichtiger Mensch. Ein jeder andere hätte auf den ersten Blick gesehen, daß er eine Dame von feinster Bildung vor sich habe. Ihre Begleiterin war die Herzogin. Er hat sich auf die roheste Weise in ihren Wagen gedrängt und konnte nur mit Hilfe eines Schutzmannes entfernt werden.« – »Mein Gott, wie albern und unvorsichtig! Aber wie kommt er zur Ansicht, daß sie die Tochter eines Kutschers sei?« – »Er hat sich bei meinem Diener, den er in einer benachbarten Restauration traf, erkundigt. Ich wohne nämlich beim Herzog und bin mit betreffender Dame erzogen worden. Mein alter Ludwig ist ein Schlaukopf und hat ihm weisgemacht, daß sie eine Kutscherstochter sei. Ich hoffe, Sie begreifen nun alles!« – »Alles, nur Ihre Körperstärke nicht.« – »Ich habe mich von Kindheit an geübt und den besten Lehrer gehabt, den es geben kann, nämlich den Prinz-Nachfolger von Olsunna.« – »Alle Teufel, Sie steigen in meinen Augen immer höher! Sind Sie in Waffen ebenso geübt wie in der Faust?« – »Ich fürchte keinen Gegner.« – »Das werden Sie gebrauchen können. Eine Herausforderung Ravenows ist Ihnen gewiß. Und was beabsichtigen Sie mit dem Oberst?« – »Ich werde ihm morgen meinen Kartellträger senden.« – »Wer wird dies sein?« – »Hm, da befinde ich mich noch im unklaren. Die Meinen will ich von diesen Zerwürfnissen nichts wissen lassen, und Bekanntschaft habe ich hier noch keine.« – »Darf ich mich Ihnen zur Verfügung stellen?« – »Sie bringen sich dadurch in eine schiefe Lage zu Ihren Kameraden und Vorgesetzten.« – »Das fürchte ich nicht. Ich diene nicht auf Avancement, sondern nur zum Vergnügen. Mein Vermögen macht mich vollständig unabhängig, und ich bitte Sie wirklich dringend, Ihr Sekundant sein zu dürfen. Sie haben sich meine Hochachtung erworben, seien wir Freunde, mein lieber Helmers!« – »Ich nehme Ihre Freundschaft von ganzem Herzen an. Bereits bei meinem heutigen Besuch beim Major las ich in Ihrem Auge, daß ich Sie liebhaben würde. Umarmen wir uns, mein bester Platen!«
Sie schlossen einander in die Arme, und