Waldröschen VI. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 1. Karl MayЧитать онлайн книгу.
zeigen, wer Schläge bekommt und seine Ehre verliert!«
Im nächsten Augenblick fuhren seine Arme aus dem Gürtel, riß er dem Kommandanten die Epauletten von der Schulter und versetzte ihm einen Faustschlag, daß der Getroffene wie ein Klotz zu Boden stürzte. In demselben Moment hatte er aber auch, nach seinen Waffen greifend, bereits das Messer zwischen den Zähnen, die beiden Revolver in der Tasche und seine Büchse mit umgedrehtem Kolben in der Faust. Das alles geschah, ehe man ihn ergreifen konnte.
»Hier, schmeckt einmal mein Gold!«
Mit diesem Ruf stürzte er sich auf das Piquet, warf mit einem einzigen, fürchterlichen Kolbenschlag die Leute auseinander, sprang dann mitten zwischen ihnen hindurch nach dem nächsten der offenstehenden Fenster und verschwand mit dem Ruf: »Gute Nacht, Señoritas!«
Die Soldaten wälzten sich an der Erde; die Offiziere und alle anderen Anwesenden standen noch eine Weile wie erstarrt; dann aber brach ein Getümmel los, das jeder Beschreibung spottet.
»Hinaus! Hinunter! Ihm nach! Schnell!«
Mit diesen Rufen stürzten die Offiziere nach der Tür, und die Soldaten folgten ihnen. Kein einziger aber hatte gewagt, den Sprung durch das Fenster nachzumachen. Nur die Mexikaner blieben zurück, und einige von ihnen traten, während sich unten vor dem Haus ein wüstes Schreien und Rufen erhob, zu dem Kommandanten, um ihn zu untersuchen.
»Das war ein Hieb! Er ist tot!« sagte einer. – »Nein, er ist nur betäubt«, meinte ein zweiter. »Legen wir ihn auf das Sofa!«
Einige der Damen waren in Ohnmacht gefallen; andere standen ihnen bei, sich leise ihre bewundernden Bemerkungen über Gerard mitteilend, und noch andere eilten an das Fenster, um zu sehen, ob der verwegene Mann zu ihrer Freude entkommen oder zu ihrer Trauer wieder festgenommen werde.
Sie brauchten keine Sorge zu haben. Gerard war ein guter Springer; er hatte den Boden glücklich erreicht und den Zügel des nächsten der untenstehenden Pferde losgerissen. Mit einem raschen Satz saß er auf und ritt davon, so schnell, daß er bereits die nächste Straße erreicht hatte, ehe der erste seiner Verfolger nur an der Treppe angelangt war.
Jetzt galt es, aus der Stadt und durch die Vorposten zu entkommen. Mit dem Pferd schien ihm dies nicht schwer zu sein.
Chihuahua ist eine offene Stadt; eine Mauer hemmte ihn also nicht. Er stürmte die Straße dahin. Am Ausgang derselben stand ein Posten. Ehe dieser fragen und das Gewehr vorhalten konnte, war der Reiter bereits an ihm vorbei. Aber der Posten kannte seine Pflicht Er schoß ein Gewehr ab, um das Alarmzeichen zu geben, und bald ertönten draußen auf dem Feld laute Zurufe.
»Halt! Wer da!« rief es Gerard entgegen.
Er antwortete nicht, dann blitzten mehrere Schüsse hart vor ihm auf, und er bemerkte sofort, daß sein Pferd getroffen sei. Er gab ihm also die Fersen und stürmte weiter. Bei jedem Sprung aber wurde es matter. Schreien, Rufen und Schüsse hinter sich, vor sich das freie Feld, legte Gerard noch eine Strecke zurück, dann zügelte er das Pferd, um, wenn es im Galopp zusammenbrach, nicht mit ihm einen unglücklichen Sturz zu tun. Es blieb taumelnd stehen; nun sprang er ab und eilte zu Fuß weiter.
Er kannte die Gegend genau; er konnte daher den Ort, wo er bei seiner Ankunft sein Pferd versteckt hatte, nicht verfehlen. Die Hauptsache war nur, daß man es nicht durch irgendeinen Zufall entdeckt hatte.
So eilte er weiter. Er erreichte den Wald, drang in denselben ein und fand das Tier, das ihn durch freudiges Schnauben begrüßte. Er band es los, führte es unter den Bäumen hervor und stieg auf. Erst nun fühlte er sich vollständig sicher, und erst jetzt holte er tief Atem. Er warf die Büchse über die Schulter, zog die Revolver aus der Tasche, um sie in den Gürtel zu stecken, und lachte:
»Ah, das war ein Hauptstreich! Sie werden an den Schwarzen Gerard denken! Nun mögen sie kommen, um mich zu fangen. Ich möchte nur wissen, was Emilia denkt, wenn sie es hört! Ich, ein zehnmal Verrückter! Ha, ich wußte recht wohl, was ich tat, obgleich ich sehr viel wagte!«
Er wandte sein Pferd nach Norden und ritt davon, erst im Trab, dann im Galopp, links die Orte San Carlos und Principe, rechts den Conchasfluß und vor sich die schmale Grasfläche, die zwischen dem Fluß und dem im Westen davon aufsteigenden Höhenzug liegt.
Sein Pferd hatte sich ausgeruht und trug ihn in unverminderter Eile davon. Man glaubt gar nicht, was ein solches Pferd, im Freien geboren und halb wild stets im Freien lebend, zu leisten vermag. Der Morgen war noch nicht lange hereingebrochen, so hatte er schon eine so große Strecke zurückgelegt, daß der Ort Aquanuova ihm zur Linken lag.
Von jetzt an, nun es hell geworden war, konnte er dem Grasboden, auf dem er ritt, seine Aufmerksamkeit schenken, und so fand er bald die Spur, die die gestern früh von Chihuahua fortgerittene Kompanie hinterlassen hatte. Sie war ganz deutlich zu erkennen.
»Dumme Menschen!« sagte er. »Da reiten sie durch Indianerland und lassen eine wahrhaft straßenbreite Fährte zurück, die noch einen Tag später in dieser Deutlichkeit zu erkennen ist. Der Anführer verdient Ohrfeigen.«
Kurz nach Mittag erblickte er eine Pferdeherde. Er band den Lasso los, machte Jagd auf sie und hatte in Zeit von zehn Minuten ein frisches Pferd unter sich, mit dem er den Weg fortsetzte.
Am späten Abend erblickte er da, wo der Fluß nach rechts umbiegt, eine Menge hellbrennender Wachtfeuer, die die ganze Gegend erleuchteten.
»Echt französische Leichtfertigkeit!« murmelte er. »Und das will es mit uns und den Apachen aufnehmen. Ungefährlichere Feinde können wir uns gar nicht wünschen!«
Er ritt einen weiten Bogen, um nicht bemerkt zu werden, und als der Feuerschein weit hinter ihm lag, bog er wieder nach Osten ein, so daß er ungefähr um Mitternacht die Mündung des Conchas in den Rio Grande erreichte. Nachdem er diesen überschritten, befand er sich auf dem Gebiet der Mescaleros-Apachen.
Dort setzte er sich in das Gras, um sein Pferd ein wenig ruhen zu lassen, und dachte dabei an sein letztes Abenteuer und an sein Zusammensein mit Resedilla.
»Wann war ich doch bei ihr?« fragte er sich. »Ah, es war am Montag. Am fünften Tag darauf sollten die Franzosen eintreffen, also Sonnabend. Morgen, Freitag abend, werde ich Fort Guadeloupe erreichen. Es bleibt mir demnach eine volle Nacht, um mich nach diesem fürchterlichen Ritt auszuruhen. Wo werde ich das tun? Ah, wo sonst wohl als bei Vater Pirnero? Da erhält man ein Bett, und das ist doch etwas anderes als der harte Waldboden, nachdem man volle vier Tage und vier Nächte auf ungesattelten Pferden gesessen hat«
9. Kapitel
Am Spätnachmittag des Freitags saß der alte Pirnero an seinem Fenster und blickte hinaus auf die Gasse. Ein dichter, strömender Regen ging herab, Grund genug, einen Menschen in üble Laune zu versetzen. Und diese hatte der Händler und Schenkwirt in hohem Grade. Um ihr freien Lauf zu lassen, lauerte er nur auf seine Tochter, die hinausgegangen war, um ihm einen Krug Maisbier, das er selbst braute, zu holen.
Da kam sie herein, setzte ihm den Krug hin und begab sich an ihren gewohnten Platz, wo sie sich mit irgendeiner Nadelarbeit zu beschäftigen pflegte.
Der Alte tat einen tüchtigen Zug, setzte den Krug ab und sagte:
»Miserabler Regen!«
Wie gewöhnlich antwortete die Tochter nicht. Darum fuhr er bald fort:
»Gerade wie zum Ertrinken. Nicht wahr?«
Als auch jetzt keine Antwort erfolgte, wandte er sich ihr zu und fragte zornig:
»Wie? Sagtest du etwas? Habe ich etwa nicht recht?« – »O ja«, antwortete sie kurz. – »Gerade wie zum Ertrinken. Nicht wahr?« – »Ja.« – »Wenn ich nun draußen wäre und ertrinken müßte, da würdest du dir wohl nicht viel daraus machen, he?« – »Aber, Vater!« rief sie. – »Was denn? Ist so etwas vielleicht nicht möglich? Ich setze also den Fall, daß ich ertrinke, dann sitzt du da. Was fängst du an, he? Etwa die Wirtschaft fortführen? Ohne Mann? Das kann unmöglich gehen!«
Der Gedankengang des Vaters war ein zu komischer; Resedilla mußte lachen und erwiderte:
»Du wirst doch nicht hinausgehen und ertrinken, eigens nur um mir zu zeigen, daß ich einen