Winnetou 1. Karl MayЧитать онлайн книгу.
habt Ihr keine Angst?«
»Fällt mir nicht ein!«
»Wenigstens Sorge?«
»Auch nicht.«
»Ja, Ihr kennt die Roten nicht!«
»Hoffe sie aber kennen zu lernen. Sie werden wohl grad so wie andere Menschen sein, nämlich die Feinde ihrer Feinde und die Freunde ihrer Freunde. Und da es nicht meine Absicht ist, sie feindlich zu behandeln, so nehme ich an, daß ich nichts von ihnen zu befürchten habe.«
»Ihr seid eben ein Greenhorn und werdet es ewig bleiben.
Nehmt Euch noch so fest vor, wie Ihr die Roten behandeln wollt, es wird doch ganz, ganz anders kommen. Die Ereignisse sind doch nicht von Eurem Willen abhängig. Ihr werdet das erfahren, und ich will wünschen, daß diese Erfahrung Euch nicht einen tüchtigen Fetzen Menschenfleisch aus Eurem eigenen Leib oder gar das Leben kostet.«
»Wann mag dieser Indsman hier gewesen sein?«
»Vor ungefähr zwei Tagen. Wir würden seine Spuren hier im Grase sehen, wenn es sich nicht während der Zeit wieder aufgerichtet hätte.«
»Ein Kundschafter wohl?«
»Ein Kundschafter auf Büffelfleisch, ja; denn da jetzt Friede zwischen den hiesigen Stämmen herrscht, kann es kein Kriegskundschafter gewesen sein. Der Kerl war außerordentlich unvorsichtig, also sehr wahrscheinlich jung.«
»Wieso?«
»Ein erfahrener Krieger tritt nicht mit dem Fuße in ein Wasser wie dieses hier, wo die Spur auf dem seichten Grunde zurückbleibt und noch lange gesehen werden kann. So eine Dummheit kann nur von einem Dummkopfe begangen werden, der gerade so ein rotes Greenhorn ist, wie Ihr ein weißes seid, hihihihi. Und weiße Greenhorns pflegen sogar noch viel dümmer zu sein als rote. Könnt Euch das mit merken, Sir!«
Er kicherte leise in sich hinein und stand dann auf, um sein Pferd zu besteigen. Der gute Sam liebte es eben, mir seine herzliche Zuneigung dadurch zu verstehen zu geben, daß er mich für dumm erklärte.
Wir hätten auf dem Wege, den wir gekommen waren, zurückkehren können; aber als Surveyor war es meine Aufgabe, unsere Strecke kennen zu lernen; darum bogen wir erst ein Stück ab und schlugen dann die Parallele ein.
Dabei kamen wir in ein ziemlich breites Tal, welches mit saftigem Grase bewachsen war; die Lehnen, von denen es hüben und drüben eingesäumt wurde, trugen unten Gebüsch und weiter oben Wald. Das Tal war vielleicht eine halbe Wegstunde lang und so schnurgerade, daß man von dem Anfange desselben bis an das Ende sehen konnte. Wir waren nur wenige Schritte in dieser freundlichen Bodensenkung vorwärts gekommen, da hielt Sam sein Pferd an und blickte aufmerksam nach vorn.
»Heig-day!« stieß er hervor. »Da sind sie! ja wirklich, da sind sie, die allerersten!«
»Was?« fragte ich.
Ich sah ganz fern, weit vor uns, vielleicht achtzehn bis zwanzig dunkle Punkte, welche sich langsam bewegten.
»Was?« wiederholte er meine Frage, indem er lebhaft im Sattel hin und her rutschte. »Schämt Euch doch, eine solche Frage auszusprechen! Ach so, Ihr seid ja ein Greenhorn, und zwar ein ganz gewaltiges! Solche Kerls, wie Ihr, pflegen mit offenen Augen nicht zu sehen. Habt doch einmal die freundliche Gewogenheit, verehrtester Sir, zu raten, was das für Dinger sind, auf denen dort Eure schönen Augen ruhen!«
»Raten? Hm! Ich würde sie für Rehe halten, wenn ich nicht wüßte, daß diese Wildgattung in Rudeln oder Sprüngen von nicht über zehn Stück beisammen lebt. Auch muß ich, wenn ich die Entfernung in Betracht ziehe, sagen, daß die Tiere dort, so klein sie von hier aus zu sein scheinen, bedeutend größer als Rehe sein müssen.«
»Rehe, hihihihi!« lachte er. »Rehe hier oben an den Quellen des Kanadian! Das ist ein Meisterstück von Euch! Aber das andere, was Ihr sagtet, war gar nicht so übel überlegt. Ja, größer sind sie, diese Tiere, viel, viel größer als Rehe!«
»Ach, lieber Sam, doch nicht etwa gar Büffel?«
»Natürlich Büffel! Bisons sind es, echte, wahre Bisons, die sich auf der Wanderung befinden, die ersten, die ich heuer sehe. Nun wißt Ihr, daß Mr. White recht gehabt hat: Bisons und Indianer. Von den Roten sahen wir nur eine Fußspur; die Büffel aber haben wir in Lebensgröße vor den Augen. Was sagt Ihr dazu, he, wenn ich mich nicht irre?«
»Wir müssen hin!«
»Natürlich!«
»Sie beobachten!«
»Beobachten? Wirklich beobachten?« fragte er, indem er mich ganz erstaunt von der Seite her anblickte.
»Ja. Ich habe noch nie Bisons gesehen und möchte diese hier so gerne belauschen.«
Ich fühlte jetzt nur das Interesse des Zoologen; das war dem kleinen Sam vollständig unbegreiflich. Er schlug die Hände zusammen, und meinte:
»Belauschen, nur belauschen. Grad so, wie ein kleiner Junge seine Augen neugierig an eine Ritze des Kaninchenstalles legt, um die Karnickels zu belauschen! O, Greenhorn, was muß ich alles an Euch erleben! Nicht beobachten und belauschen, sondern jagen werde ich sie, wirklich jagen!«
»Heut, am Sonntage!«
Das fuhr mir so unbedacht heraus. Er wurde wirklich zornig darüber und herrschte mich an:
»Haltet gefälligst Euren Schnabel, Sir! Was frägt ein richtiger Westmann nach dem Sonntage, wenn er die ersten Büffel vor sich sieht! Das gibt Fleisch, verstanden, Fleisch, und was für welches, wenn ich mich nicht irre! Ein Stück Bisonlende ist noch herrlicher als das himmlische Ambrosius oder Ambrosianna, oder wie das Zeug hieß, von welchem die alten griechischen Götter lebten. Ich muß eine Büffellende haben, und wenn es mich das Leben kosten sollte! Die Luft ist uns entgegen; das ist gut. Hier, an der linken, nördlichen Talwand ist nur Sonne; drüben rechts aber gibt es Schatten. Wenn wir uns in diesem halten, werden uns die Tiere nicht vorzeitig bemerken. Kommt!«
Er sah nach seiner »Liddy«, ob die beiden Läufe derselben in Ordnung seien, und trieb sein Pferd nach der südlichen Talwand hinüber. Diesem Beispiele folgend, untersuchte ich auch meinen Bärentöter. Er sah dies, hielt sofort sein Pferd an und fragte:
»Wollt Ihr Euch etwa gar beteiligen, Sir?«
»Natürlich!«
»Das laßt hübsch bleiben, wenn Ihr nicht binnen jetzt und zehn Minuten zu Brei zerstampft sein wollt! Ein Bison ist kein Kanarienvogel, den man auf den Finger nimmt und singen läßt. Ehe Ihr Euch an so gefährliches Wild wagen dürft, muß noch viel schönes und viel schlechtes Wetter über die Felsenberge gehen.«
»Aber ich will doch«
»Schweigt und gehorcht!« unterbrach er mich in einem Tone, den er noch nie gegen mich angewendet hatte. »Ich will Euer Leben nicht auf dem Gewissen haben, und es ist der Rachen des sichersten Todes, in den Ihr reiten würdet. Macht zu andern Zeiten, was Ihr wollt; jetzt aber dulde ich keine Widersetzlichkeit!«
Hätte nicht ein so gutes Verhältnis zwischen uns bestanden, es wäre ihm gewiß eine sehr kräftige Antwort geworden, so aber schwieg ich und ritt langsam im Schattenstreifen, den der Wald herniederwarf, hinter ihm her. Dabei erklärte er mir, nun wieder in milderem Tone sprechend:
»Es sind zwanzig Stück, wie ich sehe. Aber seid einmal dabei, wenn tausend und noch mehr Stück über die Savanne brausen! Ich habe früher Herden von zehntausend und darüber gesehen. Das war des Indianers Brot; die Weißen haben es ihm genommen. Der Rote schonte das Wild, weil es ihm Nahrung gab; er erlegte nur so viel, wie er brauchte. Der Weiße aber hat unter den ungezählten Herden gewütet wie ein grimmiges Raubtier, welches auch dann, wenn es gesättigt ist, weiter mordet, nur um Blut zu vergießen. Wie lange wird es dauern, so gibt es keinen Büffel und dann nach kurzer Zeit auch keinen Indianer mehr. Gott sei es geklagt! Und grad so ist‘s auch mit den Pferdeherden. Es gab Trupps von tausend Mustangs und noch höher. Jetzt ist man ganz entzückt, wenn man das Glück hat, einmal so ein hundert Stück beisammen zu sehen.«
Wir waren indessen bis auf ungefähr vierhundert Schritt an die Büffel gekommen, ohne daß sie uns bemerkten, und Hawkens hielt sein Pferd an. Die Tiere