Winnetou 3. Karl MayЧитать онлайн книгу.
das Kirschgesträuch, so daß es drüben scheinen mußte, als versuche hier jemand hindurchzudringen. Drüben regte sich nichts. Entweder war kein Feind vorhanden oder ich hatte es mit Einem zu tun, der zu schlau und zu erfahren war, um sich durch eine solche Finte irre machen zu lassen.
Ich beschloß, alles zu wagen. Ich kroch zurück und holte aus. Mit zwei Sprüngen hatte ich den freien Raum durchmessen und drang, das Messer zum Stoß bereit haltend, in die Lentisken ein. Unter abgebrochenen Zweigen lag ein Mensch; das fühlte ich sofort, aber er war nicht lebend. Ich hob die Zweige empor und erblickte ein von den Todeszuckungen gräßlich entstelltes Gesicht mit blutigem Schädel. Es war ein Weißer; man hatte ihn skalpiert. In dem Rücken steckte, wie ich bei der Untersuchung seines Körpers bemerkte, die mit Widerhaken versehene Spitze eines abgebrochenen Pfeiles. Ich hatte es also mit Indianern zu tun, die sich auf dem Kriegspfade befanden; das sagte mir der Widerhaken.
Hatten sie sich entfernt, oder befanden sie sich noch in der Nähe? Ich mußte das wissen. Ihre Spuren waren von hier aus deutlich zu bemerken; sie führten von dem Bahndamme in die Prairie hinein. Ich folgte ihnen, immer bereit, einen Pfeil zu erhalten oder mein Messer zu gebrauchen, von Busch zu Busch. Es waren vier Mann gewesen, zwei ältere und zwei Jünglinge, wie ich aus der Größe der Fußstapfen schließen konnte. Sie hatten, während ich mich bloß auf den Finger und Zehenspitzen fortbewegte – eine Aufgabe, welche große Übung und nicht unbedeutende Kraft erfordert – ihre Fährte gar nicht zu verbergen gesucht, mußten sich hier also vollständig sicher fühlen.
Der Wind blies aus Südost, aus derjenigen Richtung, welcher ich mich entgegen bewegte; daher erschrak ich nicht sehr, als ich das Schnauben eines Pferdes vernahm; denn es konnte mich nicht gewittert haben. Ich kroch weiter und befand mich endlich am Ziele oder bemerkte doch wenigstens genug, um mich wieder zurückziehen zu können. Vor mir sah ich nämlich zwischen den Büschen eine Anzahl von vielleicht sechzig Pferden, alle außer zweien auf indianische Weise angeschirrt. Die Sättel hatte man ihnen abgenommen, jedenfalls um sie an dem in der Nähe befindlichen Lagerplatz als Sitze oder Kopfunterlagen zu gebrauchen. Bei den Tieren standen nur zwei Mann Wache. Der eine, ein noch junger Mensch, hatte ein paar derbe, rindslederne Stiefel an, jedenfalls das frühere Eigentum des Ermordeten, den ich vollständig nackt gefunden hatte und dessen Kleider und Habseligkeiten unter seine Mörder verteilt worden waren. Er gehörte also wohl zu den Vieren, deren Fährte mich herbeigeführt hatte.
Der Indianer verkehrt öfters mit Weißen, welche seine Sprache nicht verstehen. Aus diesem Grunde hat sich zwischen den roten Männern und den ›Bleichgesichtern‹ eine Pantomimensprache gebildet, deren Zeichen samt ihrer Bedeutung jeder kennen muß, welcher den wilden Westen betritt. Bei einem lebhaften Temperamente oder bei aufregenden Veranlassungen kommt es dann sehr häufig vor, daß sich jemand der mündlichen Ausdrucksweise bedient und dieselbe unwillkürlich mit Pantomimen begleitet, welche dieselbe Bedeutung wie die Worte haben. Die beiden Wächter unterhielten sich, und der Gegenstand ihres Gesprächs mußte sie sehr lebhaft interessieren, denn sie gestikulierten, sich hier für unbeobachtet haltend, in einer Weise, welche ihnen wohl mehr als einen tadelnden Blick der ernsteren, älteren Krieger zugezogen haben würde. Sie deuteten nach Westen, gaben das Zeichen des Feuers, des Pferdes, also Lokomotive, welche von den Indianern ja ›Feuerroß‹ genannt wird, hieben mit ihren Bogen auf die Erde, als wollten sie hacken oder wuchtige Hammerschläge ausführen, zielten wie zum Schießen, machten die Bewegung des Stechens und des Tomahawkschwunges – — ich hatte genug gesehen und kehrte unverzüglich zurück, wobei ich die von mir verursachten Spuren so viel wie möglich vertilgte.
Aus diesem Grunde dauerte es lange, sehr lange, ehe ich mein Pferd wieder erreichte. Es hatte mittlerweile Gesellschaft gefunden, denn neben demselben weidete die Stute Sams, welcher gemütlich hinter einem Busche lag und an einem mächtigen Stück Dürrfleisch kaute.
»Wie viele sind es, Charley?« fragte er mich.
»Wer?«
»Indsmen.«
»Wie kommt Ihr auf diese?«
»Der alte Sans-ear scheint Euch wohl auch ein Greenhorn zu sein, wie Ihr vorher ihm? Da irrt Ihr Euch aber gewaltig, hihihihi!«
Es war das halblaute, selbstbewußte Lachen, welches ich bereits einmal von ihm vernommen hatte, und das er wohl nur hören ließ, wenn er sich einem Andern überlegen wußte. Auch dies war eine Ähnlichkeit mit Sam Hawkens, welcher fast ebenso zu lachen pflegte.
»Inwiefern, Sam?«
»Muß ich Euch das erst sagen, Charley? Was hättet Ihr wohl getan, wenn Ihr hier angekommen wäret und hättet diesen Hammer da beim Pferde gefunden, nicht aber Euern Old Shatterhand?«
»Ich hätte gewartet, bis er zurückgekehrt wäre.«
»Wirklich? Das möchte ich zum Beispiel nicht gern glauben. Ihr fehltet, als ich kam; es konnte Euch etwas passiert sein, und so ging ich Euch nach.«
»Ich hätte aber auch bei einem Vorhaben sein können, welches durch Eure Gegenwart vereitelt werden konnte. Zudem denke ich, daß Old Shatterhand nichts unternimmt, ohne vorher die nötige Vorsicht anzuwenden. Wie weit seid Ihr mir nachgefolgt?«
»Erst dahin, dann dorthin, hüben und drüben, bis zu dem armen Mann, den die Indsmen ausgelöscht haben. Ich konnte rasch machen, denn ich wußte Euch vor mir; als ich dann den Toten sah, so dachte ich, daß Ihr nur auf Spähe wäret, und kehrte zurück, wo ich zum Beispiel nachher ganz ruhig auf Euch gewartet habe. Also wie viele sind es?«
»Sechzig vielleicht.«
»Schau! Also wohl die Truppe, deren Spur ich gestern schon bemerkte. Auf dem Kriegspfade?«
»Ja.«
»Kurzes Lager?«
»Sie haben abgesattelt.«
»Blitz! Da haben sie hier herum etwas vor! Habt Ihr nichts bemerkt?«
»Wie mir scheint, wollen sie die Schienen aufreißen, daß der Zug verunglückt, wenn er kommt, und ihn dann berauben.«
»Seid Ihr närrisch, Charley? Das wäre ja ein ganz außerordentlich gefährliches Ding für die Railroader samt ihren Passagieren! Woher wißt Ihr es?«
»Ich habe sie belauscht.«
»So versteht Ihr die Mundart der Ogellallahs?«
»Ja. Es war aber gar nicht nötig, denn die Pferdewache, in deren Nähe ich gelangte, sprach in deutlichen Pantomimen.«
»Das ist zuweilen trügerisch. Beschreibt mir doch einmal die Pantomimen, die Ihr gesehen habt!«
Ich tat es; der kleine Mann sprang empor, beherrschte sich aber und ließ sich wieder nieder.
»Dann habt Ihr sie richtig verstanden, und wir müssen dem Zuge Hilfe bringen. Aber wir wollen uns zum Beispiel nicht übereilen, denn solche bedeutende Dinge müssen mit Ruhe überlegt und besprochen werden. Also sechzig? Hm, ich bringe kaum noch zehn Kerben auf meine Büchse; wo schneide ich sie nachher hin?«
Ich hätte trotz der ernsten Situation beinahe laut gelacht. Das kleine Männchen hatte sechzig Indsmen vor sich und war, statt sich vor ihrer Überzahl zu fürchten, nur um den Platz für seine Kerben besorgt.
»Wie viel wollt Ihr denn niederstrecken?« fragte ich ihn.
»Das weiß ich zum Beispiel selbst noch nicht; ich denke aber, höchstens zwei oder drei, denn sie werden davonlaufen, wenn sie zwanzig oder dreißig Weiße bemerken.«
Er zog also ebenso, wie ich es bereits im Stillen gemacht hatte, den Umstand mit in Berechnung, daß wir durch das Zugpersonal und die Passagiere verstärkt werden müßten.
»Die Hauptsache ist,« bemerkte ich, »daß wir auch wirklich denjenigen Zug erraten, welchen sie überfallen wollen. Es wäre höchst verdrießlich, wenn wir die falsche Richtung einschlügen.«
»Nach ihren Pantomimen meinen sie den Mountainszug, der aus Westen kommt, und das wundert mich. Der Ostzug hat doch wohl bedeutend mehr von den Gütern oder Dingen bei sich, welche die Indsmen brauchen können, als der andere. Es wird uns da wohl nichts übrig bleiben, als uns zu teilen; der Eine geht nach Morgen und der Andere nach Abend.«
»Dazu