Winnetou 4. Karl MayЧитать онлайн книгу.
nach Osten, wo die Sonne soeben erschien. Sie war in weiche, weißgegerbte Tierhaut, mit roten Fransen verziert, gekleidet, und ihr langes, dunkles Haar hing, mit Blumen und Kolibris geschmeckt, weit über den Rücken herunter. Als die Kolibris im ersten Strahl der Sonne zu funkeln begannen, erhob sie sich von ihrem Sitz, breitete die Arme aus und sagte im Ton der Andacht und Bewunderung:
»O Manitou, o Manitou!«
Weiter sagte sie nichts. Dann faltete sie die Hunde. Aber ich sage Euch, daß ich niemals in meinem Leben ein besser gemeintes und aufrichtigeres Gebet gehört habe, als diese einzigen zwei Wörter. So stand sie lange, lange, in die Sonne schauend. Ich blieb nicht stehen. Sie zog mich an wie ein Magnet, dem man nicht widerstreben kann. Ich schritt auf sie zu, aber langsam, zögernd, leise, in beinahe heiliger Scheu. Da sah sie mich. Sie erschrak nicht etwa. Sie bewegte keinen Fuß, keinen Finger, kein einziges Glied. Sie sah mich nur an. Aber mit so großen, offenen, erwartungsvollen Augen! In diesen Augen lag dieselbe Sonne, die dort im Osten aufgegangen war. Vor soviel Seltenheit und Schönheit wurde ich zum Dummkopf, zum Tölpel. Ich vergaß, zu grüßen. Heute kann ich mir wohl denken, wie klug und wie geistreich ich damals ausgesehen habe! Ich wußte und bemerkte nur das Eine, nämlich daß sie erwartete, von mir angesprochen zu werden. Das tat ich denn auch. Aber anstatt höflich zu sein und zu grüßen, beging ich die größte Unhöflichkeit, indem ich sie fragte: »Wie heißt du?« Sie antwortete: »Ich heiße Aschta!« Das kam mir zunächst wie ein Kosename vor; später aber erfuhr ich, daß Aschta ein wirkliches Indianerwort ist und soviel wie »Güte« bedeutet. Also, sie hieß »die Güte«, und das war sie auch. Ich habe sie niemals anders als still, fromm, wohltätig, rein und gütig gesehen. Kein Flecken war je an ihrem Gewand, und kein unlauteres Wort ist je über ihre Zunge gekommen. Ich kann Euch sehr wohl sagen, daß ich damals sehr oft am Kanubisee gewesen bin und mich monatelang in seiner Nähe herumgetrieben habe. Ich bin stundenlang und tagelang an ihrer Seite gewesen, habe aber nicht ein einziges Mal Etwas von ihr gesehen und gehört, wovon ich sagen konnte, das war nicht schön, das war nicht gut von ihr. Darum war ich auch nicht etwa der einzige, dem sie so ausnehmend gefiel. Wer da kam, der wollte nicht wieder fort, allein nur ihretwegen. So auch Tom Muddy und – — – der Siou Ogallallah.«
Er machte hier eine Pause. Das benutzte meine Frau, ihn auf eine Unterlassungssünde aufmerksam zu machen:
»Aber, Mr. Pappermann, Ihr habt doch noch gar nicht gesagt, wem die Häuser am See gehörten und wer ihr Vater war!«
»Habe ich noch nicht? Hm! Ja, ganz richtig. Sie kommt bei mir immer voran, und dabei vergesse ich alles Andere. So war es schon damals auch. Ihr Vater war ein Medizinmann der Seneca. Nicht etwa einer jener Quacksalber und Possenreißer, die sich heutzutage Medizinmänner nennen lassen, sondern ein wirklicher und berühmter! Der hatte, von den Weißen wegen seines großen Einflusses auf die Roten verfolgt und bedrängt, mit noch einigen ihm gleich edelgesinnten Indianern seine Heimat verlassen, um sich vor ihnen nach dem »Wilden Westen« zu retten. Er kam in diese Gegend. Er sah diesen See. Er war entzückt über seine Aehnlichkeit mit dem heimatlichen, schönen Wasserbecken. Er blieb da mit seinen Begleitern. Sie bauten sich Häuser, ganz in der alten Weise ihres Stammes, und nannten den See so, wie der in der Heimat geheißen hatte, nämlich Kanubisee. Diese neue Ansiedlung wurde sehr bald unter den weißen und roten Jägern des Westens bekannt und viel besucht. Sie bildete eine Friedensstätte für sie, an der sich Rot und Weiß, Freund und Feind treffen durften, ohne den Ausbrüchen des Hasses unterworfen zu sein. Denn es war zur Gewohnheit, ja, zum Gebot geworden, daß jede Feindschaft zu schweigen und nur Liebe und Friede zu walten habe.«
Er hielt für einige Augenblicke inne, holte tief Atem und sagte:
»Es war eine liebe, schöne Zeit! Die einzige Zeit meines Lebens, in der ich einmal wirklich Mensch gewesen bin, und zwar ein guter Mensch. Ich bitte Euch, mir das zu glauben!«
Dann fuhr er in seiner Erzählung fort:
»Zu den Weißen, welche am Kanubisee verkehrten, gehörte Tom Muddy, und zu den Roten ein junger Medizinmann der Sioux Ogallallah, der zu dem Vater von Aschta gekommen war, um sein Schüler zu sein und die Geheimwissenschaften der roten Rasse bei ihm zu studieren. Wo er eigentlich wohnte, das wußte niemand. Er verschwieg es, um in der tiefen Einsamkeit, die er für seine Studien brauchte, nicht gestört oder nicht etwa gar von einem Feind belästigt zu werden. Aber ich vermutete, daß er sich unten an einem Nebenwasser des Purgatorio seine Hütte errichtet habe, die er nur verließ, um zu seinem Lehrer hinaufzusteigen und neue Anweisungen zu holen. Er war ein schöner, junger Mann, in allen Waffen geübt, und dennoch so friedlich gesinnt, als ob es auf der ganzen Erde überhaupt noch nie eine Waffe gegeben habe. Daß Aschta ihn allen anderen, die da kamen, vorzog, war gar kein Wunder. Ich aber wußte hiervon nichts, sondern ich erfuhr es erst durch Tom Muddy.
Der war weder ein schöner, noch ein häßlicher Kerl, aber zudringlich und roh. Niemand wollte etwas von ihm wissen. Er hatte ein Auge auf Aschta, oder sogar alle zwei; sie aber wich ihm auf Schritt und Tritt aus und vermied so viel wie möglich alle Gelegenheit, mit ihm sprechen zu müssen. Das ärgerte ihn gewaltig. Denn er hatte es sich wirklich in den Kopf gesetzt, daß sie seine Frau werden solle. Ich glaube gar, er liebte sie nicht nur, sondern er haßte sie auch, eben weil sie ihm ihre Abneigung so offen und ehrlich zeigte. Das stritt und kämpfte in seinem Innern. Am liebsten verkehrte er mit mir. Warum, das weiß ich eigentlich noch heute nicht. Wahrscheinlich, weil ich der wertloseste von allen war und es nicht über das Herz brachte, mich von ihm derart zurückzuziehen, wie die andern es taten. Ich hütete mich natürlich sehr, ihn merken zu lassen, daß auch in meinem Herzen eine herrliche, große und von allen Sünden reine Liebe aufgegangen war und daß ich mein Leben tausendmal hingegeben hätte, um der schönen Indianerin dies beweisen zu können. Zuweilen kam mir freilich der Gedanke, sie stehe mir zu hoch, aber in gewissen Stunden, in denen ich mich selbst betrachtete, faßte ich doch eine Art von Mut. Da sagte ich mir, daß ich doch kein so ganz übler Bursche sei und mich mit manchem, manchem anderen sehr wohl vergleichen und messen könne. Das waren die Augenblicke, in denen ich mir vornahm, offen und ehrlich mit ihr zu reden. Aber sobald ich dann in ihre Nähe kam, sank mir das Herz wieder vor die Füße, und es fiel mir kein Wort von alledem ein, was ich ihr hatte sagen wollen.
Da kam ich eines schönen Tages von einer längeren Jagdstreife zurück und erfuhr von Tom Muddy, daß der Siou Ogallallah bei dem Vater von Aschta um sie geworben und die Erlaubnis erhalten habe, sie des Nachts zu rauben – — —«
»Zu rauben?« wurde er von meiner Frau unterbrochen. »War das notwendig?«
»Nicht nur notwendig, sondern auch schicklich. Ich habe mir sagen lassen, daß alle diese Gebräuche einen tiefer liegenden Grund und ihre eigene Bedeutung haben. Vater und Mutter haben ihr Kind, ihre Tochter erzogen, unter tausend schlaflosen Nächten, unter noch mehr Sorgen und Opfern. Da kommt ein fremder Mensch und nimmt sie von ihnen weg. Er raubt den Eltern den größten Teil des Herzens ihres Kindes, und dieses folgt ihm gern, ohne zu fragen, ob er es auch verdient. Diese inneren Vorgänge sollen durch die indianischen Verlobungsgebräuche äußerlich dargestellt werden. Die Tochter ist bereit, sich rauben zu lassen; aber die Eltern geben sich alle Mühe, dies zu verhüten. Sie wird eingesperrt, sehr wohl versteckt und scharf bewacht. Der Geliebte gibt sich ebenso große Mühe, die Eltern zu überlisten, und hilft das nicht, so greift er gar auch zur Gewalt. Es gibt da einen hochinteressanten Kampf zwischen dem gegenseitigem Scharfsinn, und der ganze Stamm befindet sich in Spannung, die einzelnen Phasen dieses Kampfes zu erfahren oder wohl gar daran teilzunehmen. Man hilft der einen oder der anderen Partei. Es kommt dabei zu Taten der Schlauheit und des persönlichen Mutes, durch welche der Werbende zeigt, was der Stamm dann später im öffentlichen Leben, in Krieg oder Frieden von ihm erwarten darf.«
»Als ich diese Neuigkeit von Tom Muddy erfuhr, war es mir, als ob ich von ihm einen schweren Faustschlag gegen die Stirn bekommen hätte. Das Gehirn begann mir zu brummen. Ich fühlte mich zunächst ganz dumm im Kopf. Tom Muddy aber war wütend. Er schwor das Blaue vom Himmel herunter, daß der Siou das Mädchen nicht entführen werde; es sei dafür gesorgt, daß ihm das nicht gelingen könne. Als ich ihn fragte, wodurch er das zu verhindern gedenke, verlangte er von mir einen Schwur, seinen Plan nicht zu verraten; dann solle ich ihn erfahren. Ich leistete den Schwur, doch natürlich nur, um die Ausführung dieses Planes zu verhüten. Da zeigte er mir seine Pistole. Sie war bis oben herauf mit Pulver