Die Ahnen. Gustav FreytagЧитать онлайн книгу.
Stufe der Demut, um mit dem bekümmerten Hiob zu sprechen: Ein Wurm bin ich und nicht ein Mensch, scheusälig den Leuten und greulich dem Volke. Ungerecht habe ich mich vor dir, o Jüngling, meiner weltlichen Geburt gerühmt und, was noch jämmerlicher ist, meiner wilden Taten im Walde. Hochmütig bin ich im Grunde meines Herzens und wer über meinen Bauch spottet, hat guten Grund, denn gar wenig lebe ich nach der Regel; oft habe ich gesündigt durch Gebratenes und Buttergebäck, vom gewürzten Wein zu geschweigen; manchmal habe ich voll mein Lager gesucht und wer mich mit einem Weinfaß vergleicht, der spricht nicht unwahr. Vielen Haß nähre ich in meiner Seele gegen manche und andere verachte ich; viel denke ich auch an meinen Schatz von Silber und edlen Steinen, an die wilden Ochsen im Walde und an die Fährten der Hirsche; ein ungetreuer Verwalter bin ich und in Furcht lebe ich vor der Strafe. Denn zu einem Eckstein war ich bestellt, aber ich bin nur gut dazu, daß die anderen ihre unsauberen Sohlen auf mir abstreifen.« Er stöhnte tief und faltete die Hände, während Immo, der sich bei dem Beginn des Nachtgesanges auf die Knie niedergelassen hatte, dem Gottesdienste des Abtes verwundert zuhörte, obwohl er wußte, daß es zu den Geboten des Klosters gehörte, sich selbst zu erniedrigen. Nach vielen Seufzern erhob der Abt das Haupt, als einer, der schwerer Pflicht Genüge getan hat und begann rauh: »Was kauerst du noch, du Heupferd, um zu warten, bis dich die Schnäbel der dunklen Vögel zerhacken, die dort drüben so hastig singen, nicht gleich Heiligen des Herrn, sondern wie Stare in den Weiden des Teiches. Enthebe dich aus meinen Augen.«
»Ich kann nicht gehen ohne den Segen meines Herrn; denn wie ein Vater habt ihr euch gegen mich erwiesen heut und sonst in der Schule.«
Der Abt legte ihm die Hand auf das Haupt, sprach den lateinischen Segen und strich über das lockige Haar. »Sei dankbar gegen mich, soweit du vermagst, obwohl ich fürchte, daß dein Gedächtnis darin kurz sein wird. Mancher, der wie du als ein Springer aus dem Kloster in die Sünden der Welt hineinfuhr, schlich mit grauem Haar unter der schweren Bürde seiner Schuld in das Kloster zurück. Gedenke, daß am Altar eine Heimat aller ist, die müde werden unter ihrer Last.« Er zog einen ledernen Beutel aus seinem Gewande. »Nicht als ein kahler Schüler sollst du Bote reiten, denn unter Kriegsleuten ist der Geldlose verloren. Die Briefe gib nicht von dir, solange du deinen Arm heben kannst, die Feinde abzuwehren. Eine Reiterkleidung und Waffen findest du bei dem Rosse, damit nicht kundbar wird, daß du aus dem Hühnerhofe des Klosters entflogen bist.« Er reichte dem Jüngling die Hand, welche dieser mit nassen Augen küßte. Eggo winkte ungeduldig und führte die Wendeltreppe hinab durch die dämmerige Halle, in welcher die Gewappneten lagen. Lautlos durchschritten sie den Hof; der Mönch öffnete eine Pforte der Mauer, wies auf den schmalen Steg, der über den Graben führte und auf einen Reiter, der jenseit des Grabens ein leeres Roß am Zügel hielt, dann grüßte er mit der Hand und schloß hinter dem Jüngling die Pforte. In großen Sätzen sprang Immo ins Freie, während aus der Klosterkirche feierlich das Ambrosianum erklang.
Als Immo die Rosse erreicht hatte, warf ihm der Reiter die Zügel zu. »Hugbald!« schrie der Jüngling in freudiger Überraschung, da er das ehrliche Gesicht des Dienstmanns erkannte.
»Schweig, Geselle«, murmelte der Reiter, auf die weißen Wolkenstreifen weisend, welche aus dem Nebel der Niederung wallend gegen das Kloster zogen. »Ungern hören die Wasserfrauen den Ruf der Männer, während sie in der Luft schweben. Hier draußen walten andere Geister als innerhalb der Mauern und obgleich hinter uns noch Wigberts Stimme ertönt, werden diese hier einen Dienstmann des Heiligen doch wenig ehren, wenn er ihren Zorn erregt. Harre, bis wir über die Brücken gedrungen sind und die freie Höhe erreicht haben.«
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