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Reise durch den Stillen Ozean. Max BuchnerЧитать онлайн книгу.

Reise durch den Stillen Ozean - Max  Buchner


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Widerstreben die schnöde Welt zu erblicken, auch die Elemente schienen sich verschworen zu haben, ihren Austritt aus dem holden mütterlichen Organismus zu hintertreiben. Das Rollen und Stampfen des Schiffs war so heftig, dass ich die chloroformirte Wöchnerin im Bett anbinden und mich selbst durch den Kapitän festhalten lassen musste, während der erste Offizier mit einer trüben Laterne leuchtete und zugleich das Chloroform handhabte. Mehr als drei Mann hatten nicht Platz vor der Koje. Ungefähr eine Viertelstunde lang wurden wir vier oder vielmehr fünf betheiligten Personen von dem Sturm hin- und hergeschleudert, wie ein Rattenkönig hartnäckig aneinanderhängend – da siegte endlich die Zange. Abgesehen von einer auch auf dem festen Lande ziemlich häufigen Beschädigung, die durch die Nähnadel wieder gut gemacht werden konnte, war die Operation ganz ausgezeichnet gelungen. Nicht blos der Vater wurde gerettet, womit so oft in schwierigen Fällen das Bewusstsein des Arztes sich trösten muss, auch die Mutter und der kleine Junge erfreuten sich des besten bis zum Schluss der Reise andauernden Wohlbefindens.

      Dieser Triumph meiner Kunst zog mir indess den Hass des zärtlichen Gatten und Vaters zu. Er war nämlich in der angenehmen Hoffnung befangen gewesen, dass jene beiden zu Grunde gehen möchten, und sah sich nun getäuscht. Die Zeit stimmte nicht mit seiner Berechnung. Er hatte sich schon zu Hause scheiden lassen wollen, aber die Agenten hatten ihm gesagt, dass dies in Neuseeland viel leichter sei und viel weniger Umstände mache. Nachdem er vergebens mich zu bewegen versucht, ihm hierin bei seiner zukünftigen Regierung behilflich zu sein, wurde er mein erbitterter Feind, und später, als wir auf einer einsamen Insel in Quarantäne lagen, war er der Rädelsführer einer kleinen gegen mich gerichteten Rebellion. In solcher Art waren die Gemüther besaitet, mit denen ich zu wirthschaften hatte.

      Aber auch von dem Lenker und Befehlshaber des Schiffes blühten mir Schwierigkeiten.

      Die Anschauungen der Passagiere über Quantität und Qualität des ihnen verabreichten Proviants gaben zuweilen zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kapitän und mir Veranlassung. Jene glaubten fast alle Tage, dass sie zu wenig zu essen bekämen, der Kapitän war stets der entgegengesetzten Ansicht. Wenngleich jene fast nie zufrieden zu stellen und ganz unglaubliche Massen zu vertilgen im Stande waren, auch zweifellos die Mehrzahl hier an Bord besser genährt wurde, als jemals früher in ihrem Dorf zu Hause, so konnte ich doch nicht jedesmal ihnen Unrecht geben. Meine antagonistische Pflicht, dem Schiff und seinem Führer gegenüber die Interessen der Neuseeländischen Regierung und ihrer Immigranten zu vertreten, gebot mir, vom Kapitän die genaue Befolgung der Instruktionen zu verlangen. Dies war ihm unangenehm, er schimpfte und schlug mit der Faust auf den Tisch, ich drohte, die Angelegenheit in meinem Journal niederzulegen, er schimpfte noch ärger und schlug zweimal auf den Tisch – aber die Passagiere erhielten was ich verlangt hatte. So trieben wirs beinahe die ganze viermonatliche Reise hindurch, nur dass später in der zweiten Hälfte derselben die Umstände etwas unangenehmer und die Wuthausbrüche heftiger wurden. Ein- bis dreimal wöchentlich dieselbe Komödie. In mein Journal ist niemals eine Klage gekommen, die blosse Drohung damit genügte.

      Andrerseits war es jedoch nicht minder geboten, den Beschwerden gegenüber möglichst vorsichtig zu sein. Kaum war ich dem einen gerecht geworden, und kaum hatten andere gesehen, dass man sich nur an mich zu wenden brauchte, um ein Stück Fleisch oder Speck mehr zu erlangen, als auch gleich Alle kamen und klagten. Da kamen nicht nur Krapülinski und Waschlapski, Schubiakski und Schmieriumski mit Weib und Kind an Backbordseite im Gänsemarsch zu mir aufs Achterdeck anmarschirt, auch die Skandinavier wollten nicht zurückbleiben, und an Steuerbordseite erschien eine Prozession von lauter Nielsen, Christensen, Andresen und Johannsen, und jeder brachte seine Schüssel Salzfleisch, Sauerkraut und Bohnen mit, um sie mir zu zeigen.

      Wenn es nun nicht blosse Unverschämtheit und Gefrässigkeit war, der die reichlich zugemessenen Rationen nicht genügten, und die ich energisch zurückweisen oder selbst strafen musste, so stellte sich bei näherer Untersuchung nicht selten heraus, dass man bereits einen Theil verzehrt oder bei Seite gelegt hatte, um mich zu täuschen. Die Skandinavier trollten sich in solchen Fällen beschämt von dannen und nahmen ihre Strafe als etwas Selbstverständliches hin. Die Polen aber, wenn ertappt, geriethen in Verzweiflung. Lautes Zetergeschrei und Schwüre der Unschuld erfüllten die Luft. Die Männer rauften sich in den Haaren, die Weiber rutschten mit ihren blärrenden Kindern auf den Knieen herbei, suchten mir Hände und Rockschoss zu küssen, Erbarmen flehend, obwohl es sich nur um die Entziehung der Bohnen oder des Sauerkrautes für einen Tag handelte.

      Wir besassen leider kein Arrestlokal und überhaupt keinen hierzu verwendbaren Raum im ganzen Schiff, und so willigte ich denn einmal mit Widerstreben ein, dass der Kapitän einem Polen, der sich eine grobe Widerspänstigkeit gegen ihn hatte zu Schulden kommen lassen, Handschellen anlegte, um ihn so zum warnenden Beispiel auf zwei Stunden vor dem Grossmast an den Pranger zu stellen. Der Mann geberdete sich wie ein Wahnsinniger in seiner Wuth darüber, versuchte erst mit einem Messer sich in den Hals zu schneiden, und rannte dann voller Verzweiflung nach der Verschanzung, um über Bord zu springen, heftig mit den zwei Matrosen kämpfend, die ihn zu bewachen hatten. Die ganze Polakei bis zu den Säuglingen herab wurde rebellisch, kreischte und heulte, und das Deck bot einen Anblick, als ob ein ernstlicher Aufruhr ausgebrochen sei.

      Täglich um 10 Uhr war Proviantausgabe. Die Passagiere waren in Tischgesellschaften von ungefähr je einem Dutzend Köpfen eingetheilt, jede solche Tischgesellschaft, »Back« genannt, hatte ihre Nummer, und der Proviantmeister wog vor Aller Augen die Rationen ab. Das konservirte Fleisch wurde in den Büchsen von bestimmtem Gehalt verabreicht, die Salzfleischportionen wurden mit Blechnummern versehen und über Nacht in einen grossen Bottich zum Auswässern gelegt.

      Dieser Bottich machte uns viel Kummer. Bald fanden sich regelmässig Diebe ein und bestahlen seinen Inhalt. Ich entwarf nun eine Wachliste und stellte Posten davor hin. Aber die Posten schliefen ein, und am Morgen fehlten wieder etliche Fleischstücke, wie zuvor. Ich liess nun ein entbehrliches Schloss von einer Thür wegnehmen und an den Bottich befestigen. Nach zwei Tagen hatte der Proviantmeister den Schlüssel verloren, und als ein anderes Schloss angebracht war, wurde der Deckel aufgebrochen.

      Diebstähle jeglicher Art gehörten überhaupt zur Tagesordnung. Es war, als ob bei der Beschäftigungslosigkeit unseres Gesindels das Bedürfniss nach Thätigkeit und Unterhaltung sich nur in dieser einen Richtung geltend machen wollte. Sie stahlen aus reinem Sport.

      Trotz all dieser fast unaufhörlichen Widerwärtigkeiten meines Amtes boten mir die ersten zwei Monate der Reise doch viel Genuss, und ich habe mich während dieser Zeit nicht ein einziges mal gelangweilt. Eine der Hauptabsichten, die ich ins Auge gefasst, war, die Thiere des Meeres zu studiren, insbesondere jene Unzahl kleinerer Lebensformen, an denen die Salzfluth so reich ist, die zwar dem oberflächlichen Beobachter, weil unscheinbar, meistens entgehen, die aber gerade deshalb nur um so interessanter sind. Auf Dampfern, die rasch hindurch fahren, lernt man die See und ihren Reichthum nicht kennen. Nur auf Segelschiffen bietet sich hiezu Gelegenheit. Hauptsächlich aus diesem Grunde war ich auf die Euphrosyne gegangen.

      Schon bei Biscaya hatte ich meine Schleppnetze ausgepackt. Aber lange wollte kein passendes Wetter zum Fischen kommen. Ich verlor die Geduld, und als wir eines Tages kaum eine Meile per Stunde machten, während die See noch ziemlich hoch ging, wagte ich den ersten Versuch.

      Nach fünf Minuten war mein Netz abgerissen und verloren. Ich hatte den Fehler begangen, dem fachmännischen Urtheil des Kapitäns mehr zu glauben als es verdiente. Der Kapitän, gerade in guter Laune und beseelt von dem Wunsch, mit mir in gutem Einvernehmen zu leben, unterstützte mich in meinen zoologischen Bemühungen, so sehr sie ihm innerlich auch zuwider sein mussten. Ich legte ihm mein Netz, einen einfachen Sack aus sehr starkem Strammin an einem verzinkten eisernen Ring von ein halb Meter Durchmesser, und die Leine, welche den Ring an drei Strippen hielt, zur Prüfung vor und frug ihn, ob diese wohl den herrschenden Seegang aushalten würde. Er lachte über meine Besorgniss, und ich warf das Netz über Bord. Wie sehr staunte ich, als ich den gewaltigen Zug fühlte, den dieser kleine Körper dem Wasser entgegensetzte. Das Schiffshintertheil stampfte in Schwingungen von etwa drei Meter Bogenlänge auf und nieder, und jedesmal wenn es sich erhob, spannte sich die Leine bis zum Platzen, so dass ich sie kaum mehr halten konnte und ein gutes Stück auslassen und festschlingen musste, um rasch wieder einzuziehen sowie wir wieder hinabtauchten. Ein Dutzend mal hatte ich dieses beschwerliche und ermüdende Manöver vollzogen, da kam eine etwas


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