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Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte. Marie von Ebner-EschenbachЧитать онлайн книгу.

Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte - Marie von Ebner-Eschenbach


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zuschritt und leise mit ihm zu parlamentieren begann.

      Die stattliche Dame machte sich förmlich klein vor ihrem Gast; jede ihrer Mienen bezeugte Ehrfurcht, jede ihrer Gebärden war Huldigung.

      Sie faltete die Hände und flehte:

      „Sprechen Sie, o sprechen Sie zu der Versammlung!“

      Die Aufforderung der Hausfrau fand lebhafte Unterstützung.

      „Ach ja, sprechen Sie!“ riefen viele Stimmen durcheinander. – „Es würde uns beseligen.“ – „Wir wagten nur noch nicht, Sie darum zu bitten.“ – „Aus Bescheidenheit.“

      Alle kamen heran, sehr freundlich, mit auserlesener Höflichkeit – keiner ohne eine gewisse Scheu. Sogar die siegessichere Gräfin Aniela war befangen, und ihre anmutigen Lippen zitterten ein wenig, als sie sprach:

      „Geben Sie uns eine Probe Ihrer wunderbaren Beredsamkeit, von der wir schon so viel gehört haben. Man sagt, daß Sie steinerne Herzen zu rühren und moralisch Tote zu den größten Taten zu wecken vermögen.“

      Der Fremde lachte, und dieses Lachen war hell und frisch, wie das eines Kindes. Unwillkürlich mußte Rosenzweig denken: Du hast eine unschuldige Seele.

      „Wie heißt der Mann?“ fragte er die Hausfrau.

      Sie errötete und gab mit nicht sehr glücklich gespielter Unbefangenheit zur Antwort:

      „Es ist mein Cousin Roswadowski aus dem Königreich.“

      Niemals hatte der Doktor von einem berühmten Redner Roswadowski auch nur das geringste gehört; aber was lag daran? In Zeiten nationaler Erhebung pflegen ja von heut auf morgen nationale Größen aus dem Boden zu wachsen.

      Roswadowski erwiderte den Blick, den der Arzt auf ihm ruhen ließ, mit einem ebenso forschend gespannten, und sich leicht gegen ihn verneigend, sagte er:

      „Bitten Sie doch Herrn Doktor Rosenzweig zu sprechen. Er möge Ihnen sagen, was er von der Revolution erwartet.“

      „Das wissen wir im voraus,“ entgegnete Aniela, „wie jeder gute Pole, die Wiederherstellung des Reiches, das allgemeine Wohl!“

      „Olga, Duschenka moja,“ ließ wieder die Großtante sich vernehmen, „sage deiner Freundin, daß keiner ein guter Pole ist, der nicht ein guter Katholik ist.“

      Ohne auf die Unterbrechung zu achten, fuhr Roswadowski fort:

      „Das allgemeine Wohl soll jedes besondere in sich begreifen, also auch das dieses Mannes und seiner Glaubensgenossen. Warum höre ich keinen von euch, die ihr seines Lobes voll seid, davon sprechen, daß ihr die Schuld abzutragen gedenkt, in der wir alle ihm gegenüberstehen und seinem Volke?“

      „Ce cher Édouard!“ rief Graf W. und fügte, sich in den Hüften wiegend, mit süßlichem Lächeln, nur vernehmbar für seine Frau und für den neben ihr stehenden Rosenzweig hinzu: „Er wird immer verrückter.“

      Auch die Schloßdame war unzufrieden mit dem unerwarteten Ausfall ihres Cousins und erklärte sehr scharf, „in einer Schuld der Dankbarkeit und Verehrung fühle sie wenigstens sich dem vortrefflichen Doktor gegenüber nicht.“

      „Und was die Gleichberechtigung aller Konfessionen im Königreiche Polen betrifft,“ sagte Aniela, „so ist sie bereits im Prinzip festgestellt. Mit den Modalitäten wird man sich beschäftigen. Bis jetzt hatte man aber noch nicht Zeit, auf Details einzugehen.“

      „Ich falle Ihnen zu Füßen!“ sprach Rosenzweig. „Um die Sache der Juden ist mir nicht mehr bang.“

      „Ihre Verheißung macht ihn lachen, so groß ist sein Vertrauen –,“ nahm Roswadowski wieder das Wort. „Er, dessen ganzes Leben nur eine Übung im Dienste der Pflicht gegen uns ist, erwartet von uns – nichts.“

      „Herr, wenn ich meine Pflicht nicht täte, käm ich um mein Amt,“ fiel der Doktor ein, im Tone eines Menschen, der einer unangenehmen Erörterung ein Ende machen will.

      Sein unberufener Parteigänger jedoch entgegnete:

      „Wenn ich von Pflicht sprach, so hatte ich eine höhere im Auge, als die, die Ihr Amt Ihnen auferlegt. Von Amts wegen sind Sie ein tüchtiger Kreisphysikus, zum Samariter macht Sie Ihr eigenes Herz.“

      „Samariter!.. Ich?“

      „Jawohl, Sie! Der des Evangeliums pflegte des Sterbenden an der Heerstraße und übergab ihn dann fremder Hut. Sie haben den Sterbenden, den Sie auf Ihrem Wege fanden, in Ihr Haus aufgenommen, das dem verwaisten Christenknaben ein Vaterhaus geworden ist.“

      Der Doktor deprezierte:

      „– Wie man's nimmt,“ und dachte im stillen ganz grimmig: „Du bist gut unterrichtet, Lobhudler! Mein Haus ein Vaterhaus für einen solchen Chamer!“

      Und in dem Augenblick beantwortete sich ihm eine Frage, die er oft erwogen hatte, die Frage: ob man wohl zwei Gedanken auf einmal haben könne, denn wahrhaftig, er hatte zugleich auch den: ich will dem Chamer, bevor ich ihn wegschicke, doch einen neuen Anzug machen lassen.

      „So hat ein Jude getan,“ wandte der Redner sich an die Gesellschaft, „aus freiem Willen für einen Andersgläubigen, und was haben wir Andersgläubigen jemals aus freiem Willen für einen seines Volkes getan? Leset eure Geschichte und fragt euch selbst, ob ein Jude die Tage herbeiwünschen kann, in denen in Polen wieder Polen herrschen?“

      Olga und Aniela erhoben Einwendungen; was die Herren betraf, so waren die meisten von ihnen dem Grafen W. in das Nebenzimmer gefolgt und hatten dort an Spieltischen Platz genommen. Nur der ehrwürdige Schlachziz und der Ankömmling aus Paris hielten ritterlich bei den Damen aus, und der erste versicherte, er habe sich in seiner Jugend auch mit der Geschichte seines Landes beschäftigt, darin jedoch niemals andre als glorreiche Dinge gelesen.

      Jetzt wurde die Tür aufgerissen, ein Diener stürzte herein und meldete:

      „Der Herr Kreishauptmann. Er wird gleich in den Hof fahren.“

      Die mutigen Damen stießen einen Schrei des Entsetzens aus:

      „Um Gottes willen, der Kreishauptmann!“

      Voll Todesangst ergriff die Hausfrau die Hand ihres Vetters: „Fort! fort! verbergen Sie sich!“

      „Ich denke nicht daran,“ erwiderte er ganz ruhig, „ich bleibe; ich freue mich sehr, die Bekanntschaft eines liebenswürdigen Mannes zu machen.“

      „Sie bleiben nicht! Sie gehen – weil Ihre Gegenwart uns kompromittiert,“ rief Graf W., der mit bestürzter Miene in den Salon zurückgekehrt war.

      Ein Wortwechsel entspann sich …

      „Doktor, ich beschwöre Sie, eilen Sie dem Kreishauptmann entgegen, suchen Sie ihn so lange als möglich auf der Treppe aufzuhalten,“ flehte die Herrin des Schlosses und drängte Rosenzweig zur Tür.

      „Ich werde tun, was ich kann; ich empfehle mich, meine Herrschaften!“ antwortete er und verließ den Salon, im Grund der Seele höchlich ergötzt über das Ende, das die Versammlung der Verschwörer genommen hatte.

      Vom Gange aus sah er den Kreishauptmann soeben in das Haus treten. Ein behäbiger, feiner, mit äußerster Sorgfalt gekleideter Herr. Der Deckel seines Zylinders glänzte in der Vogelperspektive, in der er sich zuerst dem Doktor zeigte, wie die Mondesscheibe. Nicht minder glänzte der Lackstiefel an dem kleinen Fuße, den der Beamte auf die erste Stufe der niederen Treppe setzte, als Rosenzweig bei ihm anlangte.

      „Ich habe die Ehre, Euer Hochwohlgeboren zu begrüßen!“ sprach der Doktor, seinen Hut feierlich schwenkend.

      „Wie, mein lieber Doktor? Sind Sie es wirklich? Was?“ sprach der Beamte mit dem gnädigsten Lächeln, „auch Sie im Neste der Verschwörer?“

      „– Herausgefallen, als ein noch nicht flügges Vöglein! – Wie befinden sich Euer Gnaden?“

      „Gut. Dank Ihren Ordonnanzen.“

      „Und der Pünktlichkeit, mit der Euer Gnaden ihnen nachkommen. Sie sind ein so vortrefflicher Patient, daß Sie verdienen würden, immer krank zu sein.“

      „Sehr


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