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Goethes Briefe an Leipziger Freunde. Johann Wolfgang von GoetheЧитать онлайн книгу.

Goethes Briefe an Leipziger Freunde - Johann Wolfgang von Goethe


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die Schüler, welche sich mit Eifer selbst in der Dichtkunst versuchten, waren keineswegs geneigt sich seinem Urtheil unbedingt zu unterwerfen, sie fanden bald seine Schwächen und die Kunstgriffe seiner poetischen Technik heraus. Dazu kam, daß er durch das Auffallende seiner äußeren Erscheinung ihren Spott reizte, zu dessen Zielscheibe sie ihn häufig machten. So machte Goethe einst im Kuchengarten in harmloser Laune das Gedicht auf den Kuchenbäcker Händel, in welchem alle pomphaften Prachtwörter, welche Clodius zu gebrauchen pflegte, parodisch angebracht waren:

      „O Händel, dessen Ruhm vom Süd zum Norden reicht,

      Vernimm den Päan, der zu deinen Ohren steigt!

      Du bäckst, was Gallier und Britten emsig suchen,

      Mit schöpfrischem Genie, originelle Kuchen.

      Des Kaffes Ocean, der sich von dir ergießt,

      Ist süßer als der Saft, der vom Hymettus fließt.

      Dein Haus, ein Monument, wie wir den Künsten lohnen,

      Umhangen mit Trophä'n, erzählt den Nationen:

      Auch ohne Diadem fand Händel hier sein Glück,

      Und raubte dem Cothurn gar manch Achtgroschenstück.

      Glänzt deine Urn' dereinst in majestät'schem Pompe,

      Dann weint der Patriot an deiner Catacombe.

      Doch leb! Dein Torus sei von edler Brut ein Nest!

      Steh' hoch wie der Olymp, wie der Parnassus fest!

      Kein Phalanx Griechenlands mit römischen Ballisten

      Vermög Germanien und Händeln zu verwüsten.

      Dein Wohl ist unser Stolz, dein Leiden unser Schmerz,

      Und Händels Tempel ist der Musensöhne Herz.“

      Als es mit einer boshaften Anwendung, welche Horn demselben auf Clodius durch sein Schauspiel Medon gegeben hatte, bekannt und später sogar gedruckt wurde,5 erregte es allgemein großes Aufsehen und Mißbilligung, und Goethe war sehr unzufrieden darüber; indeß urtheilte Clodius selbst über die Sache und Goethes Benehmen bald billig; Goethe läßt in seinen Briefen stets Grüße an ihn ausrichten.

      Es leuchtet ein, daß die Universität durch die Persönlichkeit ihrer Lehrer auf Goethe keinen bestimmenden Einfluß ausüben konnte. Jene einst leuchtenden Sterne waren im Verbleichen, Klopstock hatte schon auf Goethe als Knaben einen mächtigen Eindruck gemacht, Wieland wurde von dem Jüngling mit Bewunderung gelesen, und vor allem Lessing, selbst in Leipzig gebildet, hatte den Weg bereits betreten, auf dem ihm Goethe nachfolgen sollte. Seine Minna von Barnhelm (1730) „stieg wie die Insel Delos aus der Gottsched-Gellert-Weissischen Wasserfluth, um eine kreißende Göttin gnädig aufzunehmen“: kein Werk hatte einen ähnlichen Eindruck auf Goethe gemacht. In welchem Grade man dasselbe verehrte, wie man sich in dem Kreise, in welchem Goethe verkehrte, in dasselbe hinein gelebt hatte, das lehren uns kleine Züge noch anschaulich. „Konnte die Landsmännin der Minna anders schreiben?“ heißt es in einem Briefe an seine geliebteste Freundin und später: „Sie wissen, was mich unzufrieden, launisch und verdrießlich machte. Das Dach war gut, aber die Betten hätten besser sein können, sagt Franziska.“ Man hatte sich in einem freundschaftlichen Kreise an die Aufführung dieses Lustspiels gewagt und später noch nannte man sich unter einander mit den Namen der Rollen. „Was macht unsere Franziska?“ fragt er und erkundigt sich, ob sie, nachdem ihr Wachtmeister fort sei, sich nun mit Just vertrage. Minna von Barnhelm erfüllte ihn ganz als ein Werk, das ihn aufmerksam machte, „daß noch etwas Höheres existire, als wovon die damalige schwache litterarische Epoche einen Begriff hatte,“ und ermuthigte ihn da es lehrte, wie er es zu erreichen habe. Aber es war das einzige Werk seiner Art.6

      Im Allgemeinen fand sich Goethe durch die Leistungen der Gegenwart wie durch den Verkehr, in welchen er in Leipzig trat, nicht sowohl angeregt und gefördert als verwirrt und unsicher gemacht. Er war an mehrere angesehene und gebildete Familien empfohlen und bei ihnen eingeführt. Die lebhafte litterarische Production, deren Mittelpunkt Leipzig seit geraumer Zeit war, hatte auch in weiteren Kreisen größere Theilnahme für die Litteratur hervorgerufen, welche durch Kenntniß und allgemeine Bildung unterstützt, ein gewisses Verständniß derselben, eine Fertigkeit im Urtheilen darüber verbreitet hatte. Allein diese Kritik, welche man zur Unterhaltung zu üben pflegte, und die höchstens dahin gelangte das mittelmäßige mittelmäßig zu finden, war mehr abstumpfend als fördernd; sie nahm dem Jüngling seinen Glauben und seine Verehrung, er fühlte sehnlichst das Bedürfniß nach Unterstützung in seinen Bestrebungen durch Beispiel, durch productive Anregung – sie gab ihm Steine statt Brod. Die natürliche Folge war Mißmuth, Unsicherheit, Unzufriedenheit mit andern und mit sich – eines Tags verbrannte er alles, was er bis dahin versucht und entworfen hatte.

      Nicht blos in einer Hinsicht sollte er diese Erfahrung machen. Als er kaum erst nach Leipzig gekommen war, da lebte er

      „So wie ein Vogel, der auf einem Ast

      Im schönsten Wald, sich, Freiheit athmend wiegt.

      Der ungestört die sanfte Lust genießt,

      Mit seinen Fittichen von Baum zu Baum

      Von Busch zu Busch sich singend hinzuschwingen.“

      Aber als er in die feine Welt eingeführt wurde, empfand er bald, daß das „klein Paris, das seine Leute bildet,“ Ansprüche an ihn machte, die ihm lästig genug waren. Weder seine Kleidung noch sein Benehmen hatte den rechten Zuschnitt, seine Frankfurter Aussprache und die kurze körnige Ausdrucksweise, welche er sich zu eigen gemacht, war nicht das reine Wasser des echten meißner Deutsch, und nicht alle suchten ihn so milde und freundlich zuzustutzen, wie die liebenswürdige Hofräthin Böhme, von der er auch Kartenspielen lernen mußte. Auch mit seinen Ansichten und Gefühlen sah er sich überall fremd, seine Begeisterung für Friedrich den Großen fand begreiflicher Weise keinen Widerhall, auch hier wußte man ihm seine Bewunderung zu zerstückeln. Die Unbehaglichkeit dieser Schulmeisterei, des Zwanges, den er sich überall anthun sollte, ertrug er nicht lange; so wie er die Vorlesungen fallen ließ, so zog er sich allmälig, besonders nach dem Tode der Hofräthin Böhme, auch aus diesem geselligen Verkehr zurück, der ihn, so vergnügt er auch übrigens war, dennoch allen Mangel eines gesellschaftlichen Lebens fühlen ließ, wie es seine Jugend befriedigen konnte. „Ich seufze nach meinen Freunden und meinem Mädgen,“ schreibt er an Riese (28. April 1766), „und wenn ich fühle, daß ich vergebens seufze

      Da wird mein Herz von Jammer voll

      Mein Aug wird trüber.“

      Aber schon im zweiten Semester änderte sich dies und Goethe trat in einen ganz anderen Kreis ein. Johann Adam Horn, mit dem er schon in Frankfurt nahe befreundet war, kam ebenfalls nach Leipzig, dem an sich selbst und seinem dichterischen Beruf irre gewordenen durch seine unverwüstliche Heiterkeit und den Einfluß früher Jugendbekanntschaft ein großer Trost. „Horn hat mich durch seine Ankunft einem Teil meiner Schwermuth entrissen,“ schreibt er (28. April 1766) an Riese; „er wundert sich, daß ich so verändert bin,

      Er sucht die Ursach zu ergründen,

      Denkt lächelnd nach, und sieht mir ins Gesicht.

      Doch wie kann er die Ursach finden,

      Ich weiß sie selbsten nicht.“

      Auch sein späterer Schwager, Johann Georg Schlosser, hielt sich eine Zeit lang in Leipzig auf und führte ihn in eine unterhaltende Tischgesellschaft ein, theils Studirender theils solcher, die ihre Studien nicht lange vollendet. Unter diesen wird der Bruder des Dichters Zachariae, Pfeil und der spätere Bürgermeister Herrmann genannt, der mit treuer Sorgfalt Goethe nachher in seiner Krankheit pflegte, durch gleichmäßige Tüchtigkeit seines Wesens ausgezeichnet. Ganz anderer Art war Behrisch, der Hofmeister des Grafen


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<p>5</p>

Ich theile hier das durch Horn abgeänderte Gedicht mit, wie es Christ. Heinrich Schmid in der Vorrede zu J. C. Rosts vermischten Gedichten (1769) hat abdrucken lassen:

„O Händel! dessen Ruhm vom Süd zum Norden reicht,Vernimm den Päan, der zu deinen Ohren steigt,Du bäckst, was Gallier und Britten ämsig suchen,Mit schöpfrischem Genie, originelle Kuchen.Des Kaffees Ocean, der sich vor dir ergießt,Ist süsser als der Saft, der von dem Hybla fließt.Dich ehrt die Nation, abwechselnd sanft in Moden,Ihr Tribunal verbannt hin zu den Antipoden,In trauriges Exil, den Kopf leer von VerstandDer kein Elysium in deinem Garten fand.Dein Haus ist ein Trophä von Spoljen unsrer Beutel,Strahlt gleich kein Diadem dir um den hohen Scheitel,Erhebt zu deinem Ruhm sich gleich kein Monument:Auch ohne Purpur ehrt dich dennoch der Student —Glänzt deine Urn' dereinst in majestätschem Pompe,Dann weint der Patriot an deiner Katakombe;Wann dann ein Autor dich uns im Kothurne zeigt,Und du Sentenzen sprichst, wird unser Herz erweicht.Wär es dem Marmor gleich, so darfst du uns erscheinen,Wie Medon uns erschien und Myriaden weinen.Doch leb! Dein Torus sei von edler Brut ein Nest,Steh hoch, wie der Olymp, wie der Hymettus fest;Kein Phalanx Griechenlands, nicht Römische BalistenVermögen je dein Glück, o Händel, zu verwüsten!Dein Wohl ist unser Wohl, dein Leiden unser SchmerzUnd Händels Tempel ist der Musensöhne Herz.“
<p>6</p>

Eckermann Gespräche II. S. 328 vgl. I. S. 340. Riemer Mittheilungen II. S. 663 f.

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