Frau Jenny Treibel. Theodor FontaneЧитать онлайн книгу.
Ihr Blick fordert Beweise. Nun denn, ich will es versuchen. Ich frage Sie, können Sie sich einen Handelsgärtner denken, der, sagen wir auf der Lichtenberger oder Rummelsburger Gemarkung, Kornblumen im Großen zieht, Kornblumen, dies Symbol königlich preußischer Gesinnung und der zugleich Petroleur und Dynamitarde ist? Sie schütteln den Kopf und bestätigen dadurch mein ›nein‹. Und nun frage ich Sie weiter, was sind alle Kornblumen der Welt gegen eine Berliner Blaufabrik? Im Berliner Blau haben Sie das symbolisch Preußische sozusagen in höchster Potenz, und je sicherer und unanfechtbarer das ist, desto unerläßlicher ist auch mein Verbleiben auf dem Boden des Konservatismus. Der Ausbau des Kommerzienrätlichen bedeutet in meinem Spezialfalle das natürlich Gegebene … jedenfalls mehr als die Bürgerkrone.«
Die Ziegenhals schien überwunden und lachte, während Krola, der mit halbem Ohr zugehört hatte, beistimmend nickte.
So ging das Gespräch in der Mitte der Tafel, aber noch heiterer verlief es am untern Ende derselben, wo sich die junge Frau Treibel und Korinna gegenübersaßen, die junge Frau zwischen Marcell Wedderkopp und dem Referendar Enghaus, Korinna zwischen Mr. Nelson und Leopold Treibel, dem jüngeren Sohne des Hauses. An der Schmalseite des Tisches, mit dem Rücken gegen das breite Gartenfenster, war das Gesellschaftsfräulein, Fräulein Honig, placiert worden, deren herbe Züge sich wie ein Protest gegen ihren Namen ausnahmen. Je mehr sie zu lächeln suchte, je sichtbarer wurde der sie verzehrende Neid, der sich nach rechts hin gegen die hübsche Hamburgerin, nach links hin, in fast noch ausgesprochenerer Weise, gegen Korinna richtete, diese halbe Kollegin, die sich trotzdem mit einer Sicherheit benahm, als ob sie die Majorin von Ziegenhals oder doch mindestens das Fräulein von Bomst gewesen wäre.
Die junge Frau Treibel sah sehr gut aus, blond, klar, ruhig. Beide Nachbarn machten ihr den Hof, Marcell freilich nur mit erkünsteltem Eifer, weil er eigentlich Korinna beobachtete, die sich aus dem einen oder andern Grunde die Eroberung des jungen Engländers vorgesetzt zu haben schien. Bei diesem Vorgehen voll Koketterie sprach sie übrigens so lebhaft, so laut, als ob ihr daran läge, daß jedes Wort auch von ihrer Umgebung und ganz besonders von ihrem Vetter Marcell gehört werde.
»Sie führen einen so schönen Namen,« wandte sie sich an Mr. Nelson, »so schön und berühmt, daß ich wohl fragen möchte, ob Ihnen nie das Verlangen gekommen ist …?«
»O yes, yes …«
»… Sich der Fernambuk- und Campecheholzbranche, darin Sie, soviel ich weiß, auch tätig sind, für immer zu entschlagen? Ich fühle deutlich, daß ich, wenn ich Nelson hieße, keine ruhige Stunde mehr haben würde, bis ich meine Battle at the Nile ebenfalls geschlagen hätte. Sie kennen natürlich die Einzelheiten der Schlacht …«
»O, to be sure.«
»Nun, da wär’ ich denn endlich – denn hierlandes weiß niemand etwas Rechtes davon – an der richtigen Quelle. Sagen Sie, Mr. Nelson, wie war das eigentlich mit der Idee, der Anordnung zur Schlacht? Ich habe die Beschreibung vor einiger Zeit im Walter Scott gelesen und war seitdem immer im Zweifel darüber, was eigentlich den Ausschlag gegeben habe, ob mehr eine geniale Disposition oder ein heroischer Mut …«
»I should rather think, a heroical courage … British oaks and british hearts …«
»Ich freue mich, diese Frage durch Sie beglichen zu sehen und in einer Weise, die meinen Sympathien entspricht. Denn ich bin für das Heroische, weil es so selten ist. Aber ich möchte doch auch annehmen, daß das geniale Kommando …«
»Certainly, Miss Corinna. No doubt … ›England expects that every man will do his duty‹ …«
»Ja, das waren herrliche Worte, von denen ich übrigens bis heute geglaubt hatte, daß sie bei Trafalgar gesprochen seien. Aber warum nicht auch bei Abukir? Etwas Gutes kann immer zweimal gesagt werden. Und dann … eigentlich ist eine Schlacht wie die andere, besonders Seeschlachten – ein Knall, eine Feuersäule, und alles geht in die Luft. Es muß übrigens großartig sein und entzückend für alle die, die zusehen können; ein wundervoller Anblick.«
»O splendid …«
»Ja, Leopold,« fuhr Korinna fort, indem sie sich plötzlich an ihren andern Tischnachbar wandte, »da sitzen Sie nun und lächeln. Und warum lächeln Sie? Weil Sie hinter diesem Lächeln Ihre Verlegenheit verbergen wollen. Sie haben eben nicht jene »heroical courage«, zu der sich dear Mr. Nelson so bedingungslos bekannt hat. Ganz im Gegenteil. Sie haben sich aus Ihres Vaters Fabrik, die noch in gewissem Sinne, wenn auch freilich nur geschäftlich, die Blut- und Eisentheorie vertritt – ja, es klang mir vorhin fast, als ob Ihr Papa der Frau Majorin von Ziegenhals etwas von diesen Dingen erzählt hätte – Sie haben sich, sag ich, aus dem Blutlaugenhof, in dem Sie verbleiben mußten, in den Holzhof Ihres Bruders Otto zurückgezogen. Das war nicht gut, auch wenn es Fernambukholz ist. Da sehen Sie meinen Vetter Marcell drüben, der schwört jeden Tag, wenn er mit seinen Hanteln umherficht, daß es auf das Reck und das Turnen ankomme, was ihm ein für allemal die Heldenschaft bedeutet, und daß Vater Jahn doch schließlich noch über Nelson geht.«
Marcell drohte halb ernst-, halb scherzhaft mit dem Finger zu Korinna hinüber und sagte: »Kusine, vergiß nicht, daß der Repräsentant einer andern Nation dir zur Seite sitzt, und daß du die Pflicht hast, einigermaßen für deutsche Weiblichkeit einzutreten.«
»O, no, no,« sagte Nelson: »Nichts Weiblichkeit; always quick and clever … das is was wir lieben an deutsche Frauen. Nichts Weiblichkeit. Fräulein Korinna is quite in the right way.«
»Da hast du’s, Marcell. Mr. Nelson, für den du so sorglich eintrittst, damit er nicht falsche Bilder mit in sein meerumgürtetes Albion hinübernimmt, Mr. Nelson läßt dich im Stich, und Frau Treibel, denk’ ich, läßt dich auch im Stich und Herr Enghaus auch und mein Freund Leopold auch. Und so bin ich gutes Muts, und bleibt nur noch Fräulein Honig …«
Diese verneigte sich und sagte: »Ich bin gewohnt, mit der Majorität zu gehen«, und ihre Verbittertheit lag in diesem Tone der Zustimmung.
»Ich will mir meines Vetters Mahnung aber doch gesagt sein lassen«, fuhr Korinna fort. »Ich bin etwas übermütig, Mr. Nelson, und außerdem aus einer plaudernden Familie …«
»Just what I like, Miß Korinna. ›Plauderhafte Leute, gute Leute‹, so sagen wir in England.«
»Und das sag’ ich auch, Mr. Nelson. Können Sie sich einen immer plaudernden Verbrecher denken?«
»Oh, no; certainly not …«
»Und zum Zeichen, daß ich, trotz ewigen Schwatzens, doch eine weibliche Natur und eine richtige Deutsche bin, soll Mr. Nelson von mir hören, daß ich auch noch nebenher kochen, nähen und plätten kann, und daß ich im Letteverein die Kunststopferei gelernt habe. Ja, Mr. Nelson, so steht es mit mir. Ich bin ganz deutsch und ganz weiblich, und bleibt eigentlich nur noch die Frage: kennen Sie den Letteverein und kennen Sie die Kunststopferei?«
»No, Fräulein Korinna, neither the one nor the other.«
»Nun sehen Sie, dear Mr. Nelson, der Letteverein ist ein Verein oder ein Institut oder eine Schule für weibliche Handarbeit. Ich glaube sogar nach englischem Muster, was noch ein besonderer Vorzug wäre.«
»Not at all; German schools are always to be preferred.«
»Wer weiß, ich möchte das nicht so schroff hinstellen. Aber lassen wir das, um uns mit dem weit Wichtigeren zu beschäftigen, mit der Kunststopfereifrage. Das ist wirklich was. Bitte, wollen Sie zunächst das Wort nachsprechen …«
Mr. Nelson lächelte gutmütig vor sich hin.
»Nun, ich sehe, daß es Ihnen Schwierigkeiten macht. Aber diese Schwierigkeiten sind nichts gegen die der Kunststopferei selbst. Sehen Sie, hier ist mein Freund Leopold Treibel und trägt, wie Sie sehen, einen untadeligen Rock mit einer doppelten Knopfreihe, und auch wirklich zugeknöpft, ganz wie es sich für einen Gentleman und einen Berliner Kommerzienratssohn geziemt. Und ich taxiere den Rock auf wenigstens hundert Mark.«
»Überschätzung.«
»Wer weiß. Du vergißt, Marcell, daß es verschiedene Skalen auch auf diesem Gebiete gibt,