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Soll und Haben, Bd. 1 (2). Gustav FreytagЧитать онлайн книгу.

Soll und Haben, Bd. 1 (2) - Gustav Freytag


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ab. Als ich auf diesem bejahrten Erdhaufen ankam, erklärte ich meinem Vater, daß ich nicht Kaufmann werden wolle, sondern Landwirth. Darüber gerieth die Firma Fink und Becker außer sich, aber ich blieb fest. Endlich kam ein Vertrag zu Stande. Ich ging zunächst auf zwei Jahr in eine norddeutsche Wirthschaft, dann sollte ich einige Jahr in einem Comtoir arbeiten, dadurch hoffte man meine Capricen zu bändigen. So bin ich jetzt hier in Clausur. Aber alle Mühe ist umsonst. Ich thue meinem Vater den Gefallen, hier zu sitzen, weil ich merke, daß sich der Mann viel unnützen Kummer um mich macht, aber ich bleibe nur so lange hier, bis er sich überzeugt, daß ich Recht habe. Dann werde ich Landmann.«

      »Wollen Sie bei uns ein Gut kaufen?« frug Anton neugierig.

      »Nein, Herr,« antwortete Fink, »das will ich nicht. Ich würde es vorziehen, vom frühen Morgen bis gegen Mittag zu reiten, ohne an einen Grenzstein meines Landes zu stoßen.«

      »Sie wollen also wieder nach Amerika zurück?«

      »Oder anderswohin, ich bin in Erdtheilen nicht wählerisch. Unterdeß lebe ich in diesem Kloster als Mönch, wie Sie sehen,« sagte Fink lachend und goß aus einer großen Flasche eine Menge Rum unter ein geringeres Maß anderer Substanzen, rührte das Getränk um und trank zum geheimen Schreck Antons die feurige Mischung behaglich hinunter. »Frisch, Mann,« rief er, Anton die Flasche zuschiebend, »macht Euren Trank zurecht, und jetzt laßt uns lustig plaudern, wie sich für gute Gesellen und versöhnte Feinde schickt.«

      Seit diesem Abend behandelte Fink unsern Helden mit einer Freundlichkeit, welche sehr verschieden war von dem nachlässigen Wesen, das er den übrigen Herren vom Geschäft gönnte. In Kurzem wurde Anton der Liebling des Mönchs in der Clausur, oft rief ihn Fink in sein Zimmer, ja er verschmähte sogar nicht, drei Treppen hoch in das Heiligthum der lederfarbenen Katze hinauf zu steigen, wenn er gerade gelaunt war, einen Abend im Hause zu verleben. Allerdings war das nicht oft der Fall. Anton merkte bald, daß sein neuer Freund eine in der Stadt sehr bekannte und vielbesprochene Person war, daß er unter der eleganten Jugend mit einem wahren Despotismus herrschte, und bei Herrenreiten, Jagdpartien und anderen nützlichen Thätigkeiten Anführer und vielbegehrte Autorität war. Er war jung, gewandt, von Adel, galt für unermeßlich reich und besaß eine Meisterschaft in allen Dingen, die mit einem Pferdehuf, einem Gewehrlauf und einem vergoldeten Theelöffel irgend in Verbindung gedacht werden können, und was über Allem stand, er behandelte Jeden, der in seine Nähe kam, mit der leichten Suffisance, welche von je bei dem großen Haufen unselbstständiger Menschen als Zeichen von überlegener Kraft gegolten hat. Fink war deßhalb viel in Gesellschaft und kam oft erst gegen Morgen nach Hause. Anton hörte ihn zuweilen ankommen, wenn er bereits vor seinem Buche saß; er bewunderte die Lebenskraft seines Freundes, der dann nach einer oder zwei Stunden Ruhe seinen Platz im Comtoir einnahm und während des ganzen Vormittags keine Spur von Mattigkeit zeigte. Gegen die strenge Ordnung des Hauses stach Fink auch dadurch ab, daß er sich die unerhörte Freiheit herausnahm, zuweilen eine Stunde nach Eröffnung des Comtoirs zu erscheinen und sich vor dem Schluß zu entfernen. Anton konnte nicht errathen, ob sein Prinzipal diese gelegentliche Selbstständigkeit für ein großes oder für ein kleines Verbrechen hielt. Jedenfalls schwieg er dazu.

      So verging der Winter, und Anton merkte an untrüglichen Zeichen, daß der Frühling und der Sommer über das Land daherzogen. Die Fuhrleute brachten nicht mehr Schneeflocken in's Comtoir, sondern Regentropfen und braune Fußtapfen, zuweilen wagte sich ein Mädchen mit Veilchensträußen in die Nähe der unermüdlichen Wanduhr, dann schien die Sonne Herrn Liebold kriegslustig auf seine Fensterecke, dann kamen die Mäkler und erzählten von der gelben Blüthe der Oelfrucht draußen im Freien, und endlich erschien Herr Braun und trug die erste Rose in der Hand. Ein Jahr war vergangen, seit Anton mit den Schwänen über den See gefahren war. Er hatte das ganze Jahr hindurch an die Fahrt gedacht.

      VIII

      Noch immer besaß Veitel Itzig seine Schlafstube in der stillen Caravanserei, wo er sich am Tage seiner Ankunft einquartiert hatte. Wenn nach den Behauptungen der Polizei jeder Mensch irgendwo zu Hause sein muß und nach der Ansicht aller verständigen Frauen vorzugsweise da zu Hause ist, wo sein Bett steht, so war Veitel merkwürdig wenig zu Hause. So oft er aus dem Geschäft des Herrn Ehrenthal entschlüpfen konnte, trieb er sich auf den Straßen umher, sah lauersam auf jeden jungen Herrn, welcher ihm geneigt schien, etwas zu kaufen oder zu verkaufen, und wußte aus der Haltung des Vorübergehenden genau zu erkennen, ob derselbe für die Reize eines kleinen Handels empfänglich sei oder nicht. Stets hatte er einige Paradethaler in der Tasche, mit welchen er in anmuthiger Nachlässigkeit so lockend zu klappern verstand, daß nur ein fühlloser Mensch gleichgültig gegen diese Zahlungsfähigkeit sein konnte. Er wußte mit einem einzigen schnellen Blick die geheimsten Fehler eines Rockes oder einer Weste zu erkennen, er hatte für seine Kunden eine bezaubernde Fülle von verbindlichen Redensarten, er sprach aus Grundsatz zu keinem halbwüchsigen Primaner anders, als: »Wenn der gnädige Herr mir allergnädigst erlauben,« er verstand, was ewig für das Höchste in diesem Geschäft gelten wird, seiner Unterthänigkeit einen scurrilen Anstrich zu geben und war Meister darin, die allerabgeschmacktesten Bücklinge zu machen. Er besaß die Wissenschaft, altes Messing durch Katzensilber blendend zu machen und altem Silber den allerhöchsten Glanz zu geben; er war stets bereit, abgelegte schwarze Fracke zu kaufen, – was von allen Eingeweihten als Symptom einer kühnen und waghalsigen Natur betrachtet wird, – er wußte das fasrige Tuch derselben durch einen eigenthümlichen Bürstenstrich mit einem Schein von Neuheit zu überziehen, der gerade lange genug dauerte, um seine Käufer zu verblenden, welche er in armen Schulmeistern, hoch aufgeschossenen Confirmanden und freigesprochenen Lehrlingen zu finden bemüht war. Mit jedem Gange, welchen er für Herrn Ehrenthal that, suchte er einen andern zu seinem eigenen Nutzen zu verbinden und erwarb dadurch schnell eine Kundschaft, welche den Neid graubärtiger Trödler erregte. Er beschränkte sein Geschäft aber nicht auf gebrauchte Gegenstände, obgleich er hierin seine ersten und zahlreichsten Erfolge durchgesetzt hatte. Er wurde Agent von Pferdehändlern, trat in Verbindung mit verschwiegenen Geldverleihern und trieb solchen Ehrenmännern Kunden zu; ja er lieh sein eigenes Geld aus und hatte das ungewöhnliche Zartgefühl, nie mehr als fünfzig vom Hundert zu nehmen; er lieh aber nur auf kurze Fristen und nahm am Zahlungstermin statt des baaren Geldes mit großer Bereitwilligkeit jede Art von verkäuflichen Dingen zu einer Taxe, welche er als Sachverständiger am besten selbst machte. Dabei hatte er die Tugend, nie zu ermüden, er war den ganzen Tag auf den Beinen, lief um wenige Groschen zehnmal denselben Weg, freute sich wie ein König um einen eroberten Thaler, schüttelte jedes rauhe Wort – und er mußte oft welche hören – ab, wie der Pudel seine Schläge. Er gönnte sich selbst keine Stunde des Genusses, seine einzige Erquickung war, an den Fingern die Geschäfte abzählen, welche er gerade im Gange hatte, und seinen Gewinn berechnen. Es war merkwürdig, wie wenig er brauchte, er aß am Abend ein Stück Brod, welches er zu Mittag aus Ehrenthals Küche in seine Tasche practicirt hatte; ein Glas Dünnbier gönnte er sich im ersten Jahre nur einmal, und zwar an einem heißen Tage, wo er einem Gutsbesitzer behülflich gewesen war, einen Wagen zu verkaufen, und durch eine Thätigkeit von zwei Stunden eben so viel Thaler verdient hatte. Seine Kleider gewährte ihm sein Geschäft. Sommer und Winter ging er deßhalb in schwarzem Frack und den entsprechenden Pantalons; ja er fand es nützlich, über einer schwarzen Sammtweste eine vergoldete Kette zu tragen, und erschien stets als Gentleman unter seines Gleichen, weil er mit Recht behauptete, jeder Geschäftsmann müsse so auftreten, daß sich kein Mensch zu schämen brauche, mit ihm ein Geschäft zu machen. Aus allen diesen Gründen genoß er schon nach Ablauf des ersten Jahres die Freude, seine sechs Ducaten um das Dreißigfache vermehrt zu sehen.

      Im Geschäft des Herrn Ehrenthal war er schnell ein unentbehrliches Mitglied geworden, seinem Scharfsinn entging keine Person, kein Pferd, kein Getreidewagen; jedes Gesicht, das er einmal gesehen, erkannte er wieder, jeden Tag wußte er den Courszettel der Börse auswendig, als ob er selbst vereideter Sensal gewesen wäre. Noch bekleidete er die mehr nützliche als erhabene Stelle eines Laufburschen, noch putzte er Bernhards Stiefeln und aß vor der Küchenthür; aber es war ersichtlich, daß ihm ein Schreibepult und ein Lederstuhl in dem kleinen Comtoir, welches Herr Ehrenthal der Form wegen hielt, nicht fehlen würden. Dieser Stuhl war das Ziel seiner Sehnsucht, es war für ihn ein Sitz im Paradiese. Denn noch war er nicht eingeweiht in die Tiefen des Geschäftes, noch wurde er weggeschickt, so oft irgend ein wichtiger Kunde mit Herrn Ehrenthal


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