Die Schatzinsel. Роберт СтивенсонЧитать онлайн книгу.
in voller Fahrt, wenn auch noch nicht weit war. Dance rief ihn an, eine Stimme antwortete, er möge aus dem Licht gehen, sonst könne er etwas Blei hineinbekommen und gleichzeitig pfiff eine Kugel knapp an seinem Arm vorbei. Unmittelbar darauf verdoppelte das Schiff seine Geschwindigkeit und verschwand. Herr Dance stand, wie er erzählte, da „wie ein Fisch ohne Wasser“ – und alles was er tun konnte war, einen Boten nach Bristol zu schicken, um den Kutter dort anhalten zu lassen. „Und das“, sagte er, „ist so gut wie nutzlos, sie sind einfach weg, und damit Schluß. Nur das eine freut mich,“ fügte er hinzu, „daß ich diesem Herrn Pew auf die Hühneraugen getreten bin.“ Denn da hatte er meine Geschichte bereits gehört.
Ich ging mit ihm zurück in den „Admiral Benbow“ und man kann sich nicht vorstellen, in welchem Zustande wir das Haus fanden. Sogar die Uhr hatten sie in ihrer wilden Jagd nach mir und meiner Mutter heruntergeschlagen und obwohl außer dem Geldsack des Kapitäns und einigem Silbergeld aus dem Ladentisch nichts fehlte, sah ich sofort, daß wir ruiniert waren. Herr Dance verstand die Wut der Piraten absolut nicht.
„Sie haben doch das Geld,“ sagte er, „also was wollten sie noch, zum Kuckuck? Noch mehr Geld vielleicht?“
„Nein, Herr, Geld nicht, glaube ich“, antwortete ich. „Ich glaube schon, Herr, daß ich das Ding, das sie suchten, hier in meiner Brusttasche habe und, um die Wahrheit zu sagen, ich möchte es gerne in sichere Hände legen.“
„Sicherlich, mein Junge, ganz gewiß“, sagte er. „Ich werde es zu mir nehmen, wenn es Euch recht ist.“
„Ich dachte, vielleicht, Dr. Livesay“ – begann ich.
„Ausgezeichnet!“ unterbrach er mich sehr vergnügt. „Vorzüglich! Ein Gentleman und zugleich eine Amtsperson! Und wenn ich es recht bedenke, kann ich ebensogut selbst hinüberreiten und ihm oder dem Squire berichten. Herr Pew ist tot, das steht fest. Nicht daß ich das bedaure, aber die Leute haben immer gerne etwas, um über Seiner Majestät Offiziere loszuziehen, wenn sie etwas finden. Ich sag dir was, Hawkins: Wenn du willst, möcht’ ich dich mitnehmen.“
Ich dankte ihm herzlich für sein Anerbieten und wir gingen zurück zum Dorf, wo die Pferde standen. Während ich meiner Mutter meine Absicht auseinandersetzte waren schon alle Reiter aufgesessen.
„Dogger,“ sagte Herr Dance, „du hast ein gutes Pferd, laß den Burschen da hinter dir aufsitzen!“
Und als ich aufgestiegen war und mich an Doggers Gürtel festhielt, gab der Oberaufseher das Zeichen, und die Kolonne setzte sich in raschem Trabe in Bewegung.
Sechstes Kapitel
Wir ritten stramm fort, bis wir bei Dr. Livesays Haus anhielten. Keines der Fenster war erleuchtet.
Herr Dance hieß mich abspringen und anklopfen und Dogger reichte mir einen Steigbügel, damit ich absteigen konnte. Das Hausmädchen öffnete sofort.
„Ist der Herr Doktor zu Hause?“ fragte ich. „Nein“, sagte sie, er sei nachmittags nach Hause gekommen, doch sei er dann ins Schloß gegangen, um dort zu speisen und den Abend mit dem Gutsherrn zu verbringen.
„So gehen wir hin, Jungens“, sagte Herr Dance.
Diesmal stand es nicht dafür, aufzusteigen, da die Entfernung so kurz war, sondern ich lief an Doggers Steigbügel bis zum Parktor und dann die lange, kahle, mondbeschienene Allee zum Schlosse, dessen weiße Umrisse uns entgegenblinkten. Hier stieg Herr Dance ab, wurde sofort vorgelassen und nahm mich mit hinein.
Der Diener führte uns einen langen, teppichbelegten Gang hinunter und öffnete die Tür in einen weiten Bibliotheksraum, dessen Wände von hohen Bücherschränken eingefaßt waren, auf welchen Skulpturen standen. Dort saßen der Gutsherr und Dr. Livesay mit ihren Pfeifen beim Kaminfeuer.
Ich hatte den Gutsherrn noch nie so aus der Nähe gesehen. Er war ein hochgewachsener, breitschultriger Mann, über sechs Fuß lang und hatte ein offenes, gutmütiges Gesicht, das von seinen weiten Reisen und dem vielen Aufenthalt im Freien gegerbt und gerötet war. Seine Augenbrauen waren sehr schwarz, sein Mienenspiel sehr lebendig, was ihm zwar nicht das Aussehen eines bösen, aber eines jähzornigen und leicht erregbaren Charakters verlieh.
„Tretet ein, Herr Dance“, sagte er sehr hoheitsvoll und herablassend.
„Guten Abend, Dance,“ sagte der Doktor mit einem Kopfnicken, „und guten Abend, Freund Jim, welcher gute Wind hat euch hergeweht?“
Der Oberaufseher stellte sich in Positur und berichtete den ganzen Vorgang wie eine auswendig gelernte Lektion. Es war sehenswert, wie die beiden Herren da aufhorchten, sich weit vorbeugten und vor lauter Staunen und Interesse das Rauchen vergaßen. Als sie hörten, wie meine Mutter zum Gasthof zurückging, da schlug sich Dr. Livesay bewundernd auf den Schenkel und der Gutsherr rief: „Bravo!“ und zerbrach vor Begeisterung seine lange Pfeife am Kamingitter. Lange ehe Herr Dance zu Ende war, hatte sich Herr Trelawney (das war, wie Sie sich erinnern werden, der Name unseres Gutsherrn) von seinem Sessel erhoben und schritt im Zimmer auf und ab. Der Doktor nahm, wie um besser zu hören, seine gepuderte Perücke ab und sah sehr sonderbar aus mit seinem kurzgeschorenen, schwarzen Schädel.
Endlich war Herr Dance fertig.
„Herr Dance,“ sagte der Gutsherr, „Ihr seid ein hochherziger Bursche, und daß Ihr diesen niederträchtigen, gemeinen Schurken niedergeritten habt, betrachte ich als eine gute Tat, wie das Zertreten eines schädlichen Insekts. Dieser junge Hawkins, das sehe ich schon, ist ein Prachtkerl. Hawkins, läuten Sie bitte, damit man Herrn Dance ein Glas Bier bringt.“
„Und nun, Jim,“ sagte der Doktor, „du hast doch diesen Gegenstand, den sie suchten, bei dir, nicht wahr, ja?“
„Hier ist er, Herr“, sagte ich und reichte ihm das Wachstuchpaket. Der Doktor betrachtete es von allen Seiten, als ob ihn die Finger juckten es zu öffnen, doch bezwang er sich und verwahrte es ruhig in seiner Rocktasche.
„Herr,“ sagte er, „wenn Dance sein Bier ausgetrunken hat, muß er natürlich wieder fort, seinen Dienst machen. Aber Jim Hawkins möchte ich mit Eurer Erlaubnis heute bei mir übernachten lassen, und ich schlage vor, daß wir die kalte Pastete heraufkommen lassen, damit er etwas zum Nachtmahl bekommt.“
„Wie Ihr wollt, Livesay,“ sagte der Gutsherr, „aber eigentlich hat Hawkins etwas Besseres verdient als kalte Pastete.“
So wurde eine große Taubenpastete gebracht, und ich griff herzhaft zu, denn ich war hungrig wie ein Wolf. Inzwischen wurde Herr Dance nochmals belobt und schließlich entlassen.
„Und nun, Squire“, sagte der Doktor.
„Und nun, Livesay“, sagte gleichzeitig der Squire.
„Beide zugleich, beide zugleich!“ lachte der Doktor. „Ihr habt wohl schon von diesem Flint gehört?“
„Von ihm gehört!“ rief der Gutsherr aus, „wie sagten Sie, von ihm gehört?! Er war der blutdürstigste Pirat, den es je gegeben hat. Blackbeard war ein Kind im Vergleich mit ihm. Die Spanier fürchteten ihn so sehr, daß ich manchmal fast stolz darauf war, daß er ein Engländer war, das muß ich gestehen. Ich habe sein Marssegel mit diesen meinen Augen auf der Höhe von Trinidad gesehen und dieser feige Sohn einer Rumtonne, mit dem ich fuhr, legte bei, legte bei, Herr, und fuhr in den spanischen Hafen zurück!“
„Nun, ich habe auch schon in England von ihm gehört,“ sagte der Doktor, „aber die Frage ist die: hatte er Geld?“
„Geld!“ rief der Gutsherr aus. „Wißt Ihr denn gar nichts von diesen Schurken? Wonach jagen sie? Was suchen sie, weshalb riskieren sie ihre miserablen Leichname? Um Geld, einzig und allein um Geld!“
„Das werden wir bald erfahren“, erwiderte der Doktor. „Aber Ihr seid so verflucht hitzköpfig und heftig, daß ich nicht zu Worte komme. Ich möchte eines wissen: Angenommen, ich hätte hier in meiner Tasche eine Handhabe, den Ort zu finden, wo Flint seinen Schatz vergraben hat. Ist dieser Schatz denn so wertvoll?“
„Wertvoll, Herr!“ schrie der Squire. „Ich will euch etwas sagen. Wenn wir diese Handhabe finden sollten, so rüste ich in Bristol ein Schiff aus und nehme euch beide mit