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Lebens-Ansichten des Katers Murr. Эрнст ГофманЧитать онлайн книгу.

Lebens-Ansichten des Katers Murr - Эрнст Гофман


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unsichtbares Mädchen es getan. Ich sperrt’ ihn ein in einen Käfi g, er müßte seine Künste machen vor der Welt, die reichlichen Tribut dafür gern zahlen würde. Ein wissenschaftlich gebildeter Kater will doch immer mehr sagen als ein frühreifer Junge, dem man die Exerzitia eingetrichtert. – Überdem erspart’ ich mir einen Schreiber! – Ich muß dem Dinge näher auf die Spur kommen!»

      Ich gedachte, als ich des Meisters verfängliche Worte vernahm, der Warnung meiner unvergeßlichen Mutter Mina, und wohl mich hütend, auch nur durch das geringste Zeichen zu verraten, daß ich den Meister verstanden, nahm ich mir fest vor, auf das sorgfältigste meine Bildung zu verbergen. Ich las und schrieb daher nur des Nachts und erkannte auch dabei mit Dank die Güte der Vorsehung, die meinem verachteten Geschlecht manchen Vorzug vor den zweibeinigen Geschöpfen, die sich, Gott weiß warum, die Herren der Schöpfung nennen, gegeben hat. Versichern kann ich nämlich, daß ich bei meinen Studien weder des Lichtziehers noch des Ölfabrikanten bedurfte, da der Phosphor meiner Augen hell leuchtet in der fi nstersten Nacht. Gewiß ist es daher auch, daß meine Werke erhaben sind über den Vorwurf, der irgendeinem Schriftsteller aus der alten Welt gemacht wurde, daß nämlich die Erzeugnisse seines Geistes nach der Lampe röchen.

      Doch innig überzeugt von der hohen Vortreffl ichkeit, mit der mich die Natur begabt hat, muß ich doch gestehen, daß alles hienieden gewisse Unvollkommenheiten in sich trägt, die wieder ein gewisses abhängiges Verhältnis verraten. Von den leiblichen Dingen, die die Ärzte nicht natürlich nennen, unerachtet sie mir eben recht natürlich dünken, will ich gar nicht reden, sondern nur rücksichts unsers psychischen Organismus bemerken, daß sich auch darin jene Abhängigkeit recht deutlich offenbaret. Ist es nicht ewig wahr, daß unsern Flug oft Bleigewichte hemmen, von denen wir nicht wissen, was sie sind, woher sie kommen, wer sie uns angehängt?

      Doch besser und richtiger ist es wohl, wenn ich behaupte, daß alles Übel vom bösen Beispiel herrührt, und daß die Schwäche unserer Natur lediglich darin liegt, daß wir dem bösen Beispiel zu folgen gezwungen sind. Überzeugt bin ich auch, daß das menschliche Geschlecht recht eigentlich dazu bestimmt ist, dies böse Beispiel zu geben.

      Bist du, geliebter Katerjüngling, der du dieses liesest, nicht einmal in deinem Leben in einen Zustand geraten, der dir selbst unerklärlich, dir überall die bittersten Vorwürfe und vielleicht auch – einige tüchtige Bisse deiner Kumpane zuzog? Du warst träge, zänkisch, ungebärdig, gefräßig, fandest an nichts Gefallen, warst immer da, wo du nicht sein solltest, fi elst allen zur Last, kurz, warst ein ganz unausstehlicher Bursche! – Tröste dich, o Kater! Nicht aus deinem eigentlichen, tiefern Innern formte sich diese heillose Periode deines Lebens, nein, es war der Zoll, den du dem über uns waltenden Prinzip dadurch darbrachtest, daß auch du dem bösen Beispiel der Menschen, die diesen vorübergehenden Zustand eingeführt haben, folgtest. Tröste dich, o Kater! denn auch mir ist es nicht besser ergangen!

      Mitten in meinen Lukubrationen überfi el mich eine Unlust – eine Unlust gleichsam der Übersättigung von unverdaulichen Dingen, so daß ich ohne weiteres auf demselben Buch, worin ich gelesen, auf demselben Manuskript, woran ich geschrieben, mich zusammenkrümmte und einschlief. Immer mehr und mehr nahm diese Trägheit zu, so daß ich zuletzt nicht mehr schreiben, nicht mehr lesen, nicht mehr springen, nicht mehr laufen, nicht mehr mit meinen Freunden im Keller, auf dem Dache mich unterhalten mochte. Statt dessen fühlte ich einen unwiderstehlichen Trieb, alles das zu tun, was den Meister, was den Freunden nie angenehm sein, womit ich ihnen beschwerlich fallen mußte. Was den Meister anlangt, so begnügte er lange Zeit hindurch sich damit, mich fortzujagen, wenn ich zu meiner Lagerstätte immer Plätze erkor, wo er mich durchaus nicht leiden konnte, bis er endlich genötigt wurde, mich etwas zu prügeln. Immer wieder auf des Meisters Schreibtisch gesprungen, hatt’ ich nämlich so lange hin und her geschwänzelt, bis die Spitze meines Schweifs in das große Tintenfaß geraten, mit der ich nun auf Boden und Kanapee die schönsten Malereien ausführte. Das brachte den Meister, der keinen Sinn für dieses Genre der Kunst zu haben schien, in Harnisch. Ich fl üchtete auf den Hof, aber beinah’ noch schlimmer ging es mir dort. Ein großer Kater von Ehrfurcht gebietendem Ansehen hatte längst sein Mißfallen über mein Betragen geäußert; jetzt, da ich, freilich tölpischerweise, einen guten Bissen, den er zu verzehren eben im Begriff, vor dem Maule wegschnappen wollte, gab er mir ohne Umstände eine solche Menge Ohrfeigen von beiden Seiten, daß ich ganz betäubt wurde, und mir beide Ohren bluteten. – Irre ich nicht, so war der würdige Herr mein Oheim, denn Minas Züge strahlten aus seinem Antlitz, und die Familienähnlichkeit des Barts unleugbar. – Kurz, ich gestehe, daß ich mich in dieser Zeit in Unarten erschöpfte, so daß der Meister sprach: ich weiß gar nicht, was dir ist, Murr! ich glaube am Ende, du bist jetzt in die Lümmeljahre getreten! Der Meister hatte recht, es war meine verhängnisvolle Lümmelzeit, die ich überstehen mußte, nach dem bösen Beispiel der Menschen, die, wie gesagt, diesen heillosen Zustand, als durch ihre tiefste Natur bedingt, eingeführt haben. Lümmeljahre nennen sie diese Periode, unerachtet mancher zeit seines Lebens nicht herauskommt, unsereins kann nur von Lümmelwochen reden, und ich meinerseits kam nun auf einmal heraus mittelst eines starken Rucks, der mir ein Bein oder ein paar Rippen hätte kosten können. Eigentlich sprang ich heraus aus den Lümmelwachen auf vehemente Weise.

      Ich muß sagen, wie das sich begab: Auf dem Hofe der Wohnung meines Meisters stand eine inwendig reich ausgepolsterte Maschine auf vier Rädern, wie ich nachher einsehen lernte, ein englischer Halbwagen. Nichts war in meiner damaligen Stimmung natürlicher, als daß mir die Lust ankam, mit Mühe hinaufzuklettern und hineinzukriechen in diese Maschine. Ich fand die darin befi ndlichen Kissen so angenehm, so anlockend, daß ich nun die mehrste Zeit in den Polstern des Wagens verschlief, verträumte.

      Ein heftiger Stoß, dem ein Knattern, Klirren, Brausen, wirres Lärmen folgte, weckte mich, als eben süße Bilder von Hasenbraten und dergleichen vor meiner Seele vorübergingen. Wer schildert meinen jähen Schreck, als ich wahrnahm, daß die ganze Maschine sich mit ohrbetäubendem Getöse fortbewegte, mich hin und her schleudernd auf meinen Polstern. Die immer steigende und steigende Angst wurde Verzweifl ung, ich wagte den entsetzlichen Sprung heraus aus der Maschine, ich hörte das wiehernde Hohngelächter höllischer Dämonen, ich hörte ihre barbarischen Stimmen: Katz – Katz, huz huz! hinter mir her kreischen, sinnlos rannte ich in voller Furie von dannen, Steine fl ogen mir nach, bis ich endlich hineingeriet in ein fi nstres Gewölbe und ohnmächtig niedersank.

      Endlich war es mir, als höre ich hin und her gehen über meinem Haupte, und schloß aus dem Schall der Tritte, da ich wohl schon ähnliches erfahren, daß ich mich unter einer Treppe befi nden müsse. Es war dem so! -

      Als ich nun aber herausschlich, Himmel! da dehnten sich überall unabsehbare Straßen vor mir aus, und eine Menge Menschen, von denen ich nicht einen einzigen kannte, wogte vorüber. Kam noch hinzu, daß Wagen rasselten, Hunde laut bellten, ja, daß zuletzt eine ganze Schar, deren Waffen in der Sonne blitzten, die Straße einengte; daß dicht bei mir einer urplötzlich so ganz erschrecklich auf eine große Trommel schlug, daß ich unwillkürlich drei Ellen hoch aufsprang, ja, so konnte es nicht fehlen, daß eine seltsame Angst meine Brust erfüllte! – Ich merkte nun wohl, daß ich mich in der Welt befand – in der Welt, die ich aus der Ferne von meinem Dache erblickt, oft nicht ohne Sehnsucht, ohne Neugierde, ja, mitten in dieser Welt stand ich nun, ein unerfahrner Fremdling. Behutsam spazierte ich dicht an den Häusern die Straße entlang und begegnete endlich ein paar Jünglingen meines Geschlechts. Ich blieb stehen, ich versuchte ein Gespräch mit ihnen anzuknüpfen, aber sie begnügten sich, mich mit funkelnden Augen anzuglotzen, und sprangen dann weiter. «Leichtsinnige Jugend, dacht’ ich, du weißt nicht, wer es war, der dir in den Weg trat! – so gehen große Geister durch die Welt, unerkannt, unbeachtet. – Das ist das Los sterblicher Weisheit!» – Ich rechnete auf größere Teilnahme bei den Menschen, sprang auf einen hervorragenden Kellerhals und stieß manches fröhliche, wie ich glaubte, anlockende Miau aus, aber kalt, ohne Teilnahme, kaum sich nach mir umblickend, gingen alle vorüber.

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