Der Richter und sein Henker. Grieche sucht Griechin / Судья и его палач. Грек ищет гречанку. Книга для чтения на немецком языке. Фридрих ДюрренматтЧитать онлайн книгу.
im Zimmer des Untersuchungsrichters. Das Telephon klingelte, doch Lutz nahm es nur ab, um „Konferenz“ hineinzuschreien, worauf er wieder verstummte. Endlich jedoch meinte er: „Soviel ich weiß, wird aber doch mit dieser Macht jetzt offiziell um ein neues Handelsabkommen verhandelt.“
„Gewiß, man verhandelt“, entgegnete der Oberst. „Man verhandelt offiziell, die Diplomaten wollen doch etwas zu tun haben. Aber man verhandelt noch mehr inoffiziell, und in Lamboing wird privat verhandelt. Es gibt schließlich in der modernen Industrie Verhandlungen, in die sich der Staat nicht einzumischen hat, Herr Untersuchungsrichter.“
„Natürlich“, gab Lutz eingeschüchtert zu.
„Natürlich“, wiederholte von Schwendi. „Und diesen geheimen Verhandlungen hat der nun leider erschossene Leutnant der Stadtpolizei Bern, Ulrich Schmied, unter falschem Namen beigewohnt.“
Am neuerlichen betroffenen Schweigen des Untersuchungsrichters erkannte von Schwendi, dass er richtig gerechnet hatte. Lutz war so hilflos geworden, dass der Nationalrat nun mit ihm machen konnte, was er wollte. Wie es bei den meisten etwas einseitigen Naturen der Fall ist, irritierte der unvorhergesehene Ablauf des Mordfalls Ulrich Schmied den Beamten so sehr[132], dass er sich in einer Weise beeinflussen ließ und Zugeständnisse machte, die eine objektive Untersuchung der Mordaffäre in Frage stellen mussten[133].
Zwar versuchte er noch einmal seine Lage zu bagatellisieren[134].
„Lieber Oskar“, sagte er, „ich sehe alles nicht für so schwerwiegend an. Natürlich haben die schweizerischen Industriellen ein Recht, privat mit denen zu verhandeln, die sich für solche Verhandlungen interessieren, und sei es auch jene Macht. Das bestreite ich nicht, und die Polizei mischt sich auch nicht hinein. Schmied war, ich wiederhole es, privat bei Gastmann, und ich möchte mich deswegen offiziell entschuldigen; denn es war gewiss nicht richtig, dass er einen falschen Namen und einen falschen Beruf angab, wenn man auch manchmal als Polizist gewisse Hemmungen hat. Aber er war ja nicht allein bei diesen Zusammenkünften, es waren auch Künstler da, lieber Nationalrat.“
„Die notwendige Dekoration. Wir sind in einem Kulturstaat, Lutz, und brauchen Reklame. Die Verhandlungen müssen geheimgehalten werden, und das kann man mit Künstlern am besten. Gemeinsames Fest, Braten, Wein, Zigarren, Frauen, allgemeines Gespräch, die Künstler langweilen sich, sitzen zusammen, trinken und bemerken nicht, dass die Kapitalisten und die Vertreter jener Macht zusammensitzen. Sie wollen es auch nicht bemerken, weil es sie nicht interessiert. Künstler interessieren sich nur für Kunst. Aber ein Polizist, der dabei sitzt, kann alles erfahren. Nein, Lutz, der Fall Schmied ist bedenklich[135].“
„Ich kann leider nur wiederholen, dass die Besuche Schmieds bei Gastmann uns gegenwärtig unverständlich sind“, antwortete Lutz.
„Wenn er nicht im Auftrag der Polizei[136] gekommen ist, kam er in einem anderen Auftrag“, entgegnete von Schwendi. „Es gibt fremde Mächte, lieber Lucius, die sich dafür interessieren, was in Lamboing vorgeht. Das ist Weltpolitik.“
„Schmied war kein Spion.“
„Wir haben allen Grund anzunehmen, dass er einer war. Es ist für die Ehre der Schweiz besser, er war ein Spion als ein Polizeispitzel.“
„Nun ist er tot“, seufzte der Untersuchungsrichter, der gern alles gegeben hätte, wenn er jetzt Schmied persönlich hätte fragen können[137].
„Das ist nicht unsere Sache“, stellte der Oberst fest. „Ich will niemand verdächtigen, doch kann nur die gewisse fremde Macht ein Interesse haben, die Verhandlungen in Lamboing geheimzuhalten. Bei uns geht es ums Geld, bei ihnen um Grundsätze der Parteipolitik. Da wollen wir doch ehrlich sein. Doch gerade in dieser Richtung kann die Polizei natürlich nur unter schwierigen Umständen vorgehen.“
Lutz erhob sich und trat zum Fenster. „Es ist mir immer noch nicht ganz deutlich, was dein Klient Gastmann für eine Rolle spielt“, sagte er langsam.
Von Schwendi fächelte sich mit dem weißen Bogen Luft zu und antwortete: „Gastmann stellteden Industriellen und den Vertretern der Gesandtschaft sein Haus zu diesen Besprechungen zur Verfügung[138].“
„Warum gerade Gastmann?“
Sein hochverehrter Klient, knurrte der Oberst, besitze nun einmal das nötige menschliche Format dazu[139]. Als jahrelanger Gesandter Argentiniens in China genieße er das Vertrauen[140] der fremden Macht und als ehemaliger Verwaltungspräsident des Blechtrusts[141] jenes der Industriellen. Außerdem wohne er in Lamboing.
„Wie meinst du das, Oskar?“
Von Schwendi lächelte spöttisch: „Hast du den Namen Lamboing schon vor der Ermordung Schmieds gehört?“
„Nein.“
„Eben darum“, stellte der Nationalrat fest. „Weil niemand Lamboing kennt. Wir brauchten einen unbekannten Ort für unsere Zusammenkünfte. Du kannst also Gastmann in Ruhe lassen. Dass er es nicht schätzt, mit der Polizei in Berührung zu kommen, musst du begreifen, dass er eure Verhöre, eure Schnüffeleien[142], eure ewige Fragerei nicht liebt, ebenfalls, das geht bei unseren Luginbühl und von Gunten, wenn sie wieder einmal etwas auf dem Kerbholz haben[143], aber nicht bei einem Mann, der es einst ablehnte, in die Französische Akademie gewählt zu werden. Auch hat sich deine Berner Polizei ja nun wirklich ungeschickt benommen, man erschießt nun einmal keinen Hund, wenn Bach gespielt wird. Nicht dass Gastmann beleidigt ist, es ist ihm vielmehr alles gleichgültig, deine Polizei kann ihm das Haus zusammenschießen, er verzieht keine Miene; aber es hat keinen Sinn mehr, Gastmann zu belästigen, da doch hinter dem Mord Mächte stehen, die weder mit unseren braven Schweizer Industriellen noch mit Gastmann etwas zu tun haben[144].“
Der Untersuchungsrichter ging vor dem Fenster auf und ab. „Wir werden nun unsere Nachforschungen besonders dem Leben Schmieds zuwenden müssen“, erklärte er. „Hinsichtlich der fremden Macht werden wir den Bundesanwalt benachrichtigen. Wie weit er den Fall übernehmen wird, kann ich noch nicht sagen, doch wird er uns mit der Hauptarbeit betrauen. Deiner Forderung, Gastmann zu verschonen, will ich nachkommen; wir sehen selbstverständlich auch von einer Hausdurchsuchung ab. Wird es dennoch nötig sein, ihn zu sprechen, bitte ich dich, mich mit ihm zusammenzubringen und bei unserer Besprechung anwesend zu sein[145]. So kann ich das Formelle ungezwungen mit Gastmann erledigen. Es geht ja in diesem Fall nicht um eine Untersuchung, sondern nur um eine Formalität innerhalb der ganzen Untersuchung, die unter Umständen verlangt, dass auch Gastmann vernommen werde, selbst wenn dies sinnlos ist; aber eine Untersuchung muss vollständig sein. Wir werden über Kunst sprechen, um die Untersuchung so harmlos wie nur immer möglich zu gestalten, und ich werde keine Fragen stellen. Sollte ich gleichwohl eine stellen müssen – der Formalität zuliebe – würde ich dir die Frage vorher mitteilen.“
Auch der Nationalrat hatte sich nun erhoben, so dass sich beide Männer gegenüberstanden. Der Nationalrat tippte dem Untersuchungsrichter auf die Schulter.
„Das ist also abgemacht“, sagte er. „Du wirst Gastmann in Ruhe lassen[146], Lützchen, ich nehme dich beim Wort. Die Mappe lasse ich hier; die Liste ist genau geführt und vollständig. Ich habe die ganze Nacht herumtelephoniert, und die Aufregung ist groß. Man weiß eben nicht, ob die fremde Gesandtschaft noch ein Interesse an den Verhandlungen hat, wenn sie den Fall Schmied erfährt. Millionen stehen auf dem Spiel[147], Dökterchen, Millionen! Zu deinen Nachforschungen wünsche ich dir Glück. Du wirst es nötig haben.“ Mit diesen Worten
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