Helene. Иван ТургеневЧитать онлайн книгу.
das unterliegt durchaus keinem Zweifel! sagte Schubin. Erlauben Sie mir aber die Frage, ist es auch Anna Wassiljewna bekannt, worin mein Vergehen besteht?
– Nein, ich weiß Nichts, bemerkte Anna Wassiljewna, und streckte neugierig den Hals vor.
– O mein Gott! rief ungeduldig Nikolai Artemjewitsch: wie viele Male habe ich schon gebeten, gefleht, wie viele Male gesagt, wie verhaßt mir alle diese Erklärungen und Scenen sind! Kommt Unsereiner ein Mal nach langer Zeit nach Hause und glaubt auszuruhen, – man spricht ja immer von: Familienkreis, intérieur, Familienvater, – gleich giebt es Scenen und Unannehmlichkeiten. Keine Minute Ruhe! Man mag wollen oder nicht, man fährt in den Club oder . . . oder sonst irgend wohin. Der Mensch ist ja ein lebendes Wesen, er hat doch physische Bedürfnisse, und da will man . . .
Und ohne seine Rede zu Ende zu bringen, verließ Stachow rasch das Zimmer und warf die Thür zu. Anna Wassiljewna folgte ihm mit dem Blicke. In den Club? sagte sie mit bitterer Miene leise, – es ist nicht der Club, wohin Sie fahren, flatterhafter Mensch! Im Club giebt’s Niemand, dem man Pferde aus dem eigenen Gestüte schenkt – noch dazu Grauschimmel! Meine liebste Farbe. Nein, nein, leichtfertiger Mann, setzte sie schon lauter hinzu, – nicht in den Club fahren Sie. Und Du, Paul, fuhr sie fort und erhob sich von ihrem Sitze, – schämst Du Dich gar nicht? Du bist doch kein kleines Kind. Da habe ich wieder Kopfweh bekommen. Wo ist Zoë, weißt Du nicht, wo sie ist?
– Sie ist, glaube ich, oben auf ihrem Zimmer. Das schlaue Füchslein verkriecht sich bei solchem Unwetter immer in seinen Bau.
– Oh, bitte, bitte! – Anna Wassiljewna tastete suchend rings um sich her. Mein Gläschen mit geriebenem Meerrettig, hast Du es nicht gesehen? Paul, thue mir den Gefallen, ärgere mich in Zukunft nicht mehr.
– Wie könnte ich das, Tantchen? Lassen Sie mich Ihr Hündchen küssen. Den Meerrettig habe ich im Cabinet, auf dem Tischchen gesehen.
– Die Darja läßt ihn auch immer irgendwo stehen, seufzte Anna Wassiljewna, und rauschte in ihrem seidenen Kleide ab.
Schubin wollte ihr folgen, blieb jedoch stehen, als er hinter sich die träge Stimme Uwar Iwanowitsch’s vernahm.
– Dich . . . Gelbschnabel . . . sollte . . . man . . . anders . . . abfertigen; sagte in gebrochener Rede der Cornet außer Diensten.
Schubin trat zu ihm. Und weshalb sollte man mich, abfertigen, ehrenwerther Uwar Iwanowitsch?
– Weshalb? Bist jung, mußt ehrerbietig sein, Ja.
– Gegen wen?
– Gegen wen? Das versteht sich von selbst. Ja, grinse nur.
Schubin kreuzte die Arme über einander.
– Oh, Sie Repräsentant des Chors in der Tragödie, rief er aus, – Sie Schwarzerdenproduct, Sie Grundfeste des gesellschaftlichen Baues!
Uwar Iwanowitsch ließ seine Finger spielen.
Genug, mein Junge, laß ab.
– Da sitzt er, fuhr Schubin fort, an Jahren offenbar kein junger Edelmann mehr, und wie viel glücklichen, kindlichen Glauben birgt er noch in sich! Achtung haben! Wissen Sie aber auch, Sie Elementarmensch, weshalb mir Nikolai Artemjewitsch zürnt? Ich habe den ganzen heutigen Morgen mit ihm bei seinem deutschen Liebchen zugebracht; wir haben heute unser drei: »Verlaß mich nicht, gesungen; das hätten Sie hören müssen. Das zieht bei Ihnen, denke ich, ja auch. Wir sangen also, mein bester Herr, und sangen, – nun, das wurde mir langweilig; ich sehe, es wird nicht gut, die Zärtlichkeit wird zu arg. Ich begann die Beiden zu necken. Da ging es los! Zuerst wurde sie auf mich böse, dann auf ihn; dann wurde er auf sie böse, und sagte ihr, nur zu Hause fühle er sich glücklich und dort sei sein Paradies; sie aber erwiederte, er habe keine Moral, und ich fügte auf deutsch hinzu: »Ach!« Er ging davon; ich blieb da. Da ist er nun hergekommen in sein Paradies, und es wird ihm ganz übel darin. Darum brummte er auch jetzt. Wohlan, rund heraus, wer ist schuld?
– Natürlich Du, erwiederte Uwar Iwanowitsch.
Schubin blickte ihn scharf an. – Darf ich mir die Freiheit nehmen, ehrenhafter Ritter, die Frage an Sie zu richten, – sagte er mit unterwürfiger Stimme, – waren die räthselhaften Worte, die Sie so eben auszusprechen geruhten, das Ergebniß irgend einer Kombination Ihrer Denkfähigkeiten, oder der Ausdruck eines momentanen Bedürfnisses, eine Lufterschütterung, einen sogenannten Schall hervorzubringen?
– Laß mich in Ruhe, stöhnte Uwar Iwanowitsch.
Schubin lachte auf und lief hinaus. – He, rief eine Viertelstunde später Uwar Iwanowitsch, bringt mir . . . ein Gläschen Branntwein.
Ein kleiner Diener brachte auf einem Präsentirteller Branntwein mit dem zugehörigen Imbiß. Uwar Iwanowitsch nahm langsam das Glas mit Branntwein vom Präsentirteller und heftete seinen Blick lange mit gespannter Aufmerksamkeit darauf, als ob er im Zweifel sei, was er eigentlich in der Hand habe. Dann blickte er den Jungen an und richtete die Frage an ihn, ob er nicht Waßka heiße. Dann machte er eine betrübte Miene, trank das Glas aus, aß etwas dazu und zog sein Schnupftuch aus der Tasche. Der Junge hatte schon längst Teller und Branntwein an seinen Ort zurückgestellt und die Ueberreste von Hering aufgegessen, war auch schon, auf einen Paletot der Herrschaft niedergekauert, eingeschlummert, als Uwar Iwanowitsch immer noch sein Taschentuch mit gespreizten Fingern vor sich hielt und mit der gleichen angestrengten Aufmerksamkeit bald zum Fenster hinaus, bald auf den Fußboden und die Wände stierte.
IX
Schubin kehrte auf seine Kammer zurück und griff nach einem Buche. Da trat Nikolai Artemjewitsch‘s Kammerdiener vorsichtig zu ihm in’s Zimmer und überreichte ihm ein kleines, dreieckig zusammengelegtes Billet, das ein großes Wappen als Siegel trug. »Ich hoffe, stand in dem Zettel, daß Sie, als Mann von Ehre, sich mit keinem Worte eine Anspielung auf einen gewissen Wechsel erlauben werden, von welchem heute Morgen die Rede war. Meine Verhältnisse und meine Grundsätze sind Ihnen bekannt, ebenso die Geringfügigkeit der Summe selbst und andere Umstände; endlich giebt’s Familiengeheimnisse, die man achten muß und die Ruhe einer Familie ist ein Heiligthum, welches nur des êstres sans coeur, zu denen ich Sie zu zählen keinen Grund habe, nicht anerkennen! (Dieses Billet schicken Sie zurück.) N. S.«
Schubin fügte mit Bleistift die Worte darunter: »Seien Sie unbesorgt, noch ziehe ich nicht Schnupftücher aus fremden Taschen;« übergab den Zettel dem Kammerdiener und nahm wieder sein Buch vor. Es entfiel aber bald seinen Händen. Er blickte auf den sich röthenden Himmel, auf zwei mächtige Fichten, die abgesondert von den übrigen Bäumen standen und dachte: »Bei Tage haben die Fichten ein bläuliches Ansehen und Abends ein so herrliches Grün;« darauf begab er sich in den Garten in der stillen Hoffnung, Helene dort anzutreffen. Er täuschte sich nicht. In einiger Entfernung, auf einem Wege hinter dem Gebüsch, ward er ihr Kleid gewahr. Er eilte ihr nach und redete sie an:
– Sehen Sie nicht nach mir, ich bin es nicht werth.
Sie warf einen raschen Blick auf ihn, lächelte leicht und ging weiter in den Garten hinein. Schubin folgte ihr.
– Ich bitte Sie, mich nicht anzusehen, begann er – und beginne doch ein Gespräch mit Ihnen: ein reiner Widerspruchs es bleibt sich gleich, ‚s ist nicht der erste. Es fiel mir eben ein, daß ich Sie wegen meines albernen Ausfalls von gestern noch nicht, wie sich’s gebührt, um Entschuldigung gebeten habe. Sie sind doch nicht böse auf mich, Helene Nikolajewna?
Sie blieb stehen und gab ihm nicht sogleich Antwort – nicht daß sie ihm böse gewesen wäre, ihre Gedanken schweiften vielmehr in der Ferne.
– Nein, sagte sie endlich, – ich bin durchaus nicht böse auf Sie.
Schubin biß sich auf die Lippen.
– Was für ein besorgtes . . . und dabei gleichgültiges Gesicht! murmelte er. – Helene Nikolajewna, fuhr er etwas lauter fort« – lassen Sie mich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen. Ich hatte einen guten Freund, und der Freund hatte einen Freund. Dieser letzte führte anfangs ein Leben, wie es ein anständiger Mensch thun muß, später jedoch ergab er sich dem Trunk. Da begegnete mein Freund ihm eines Morgens (sie hatten, bemerken Sie wohl, ihre