Rudin. Иван ТургеневЧитать онлайн книгу.
Erlauben Sie, daß ich Abschied nehme.
Alexandra Pawlowna blieb stehen« – Sie wollen also nicht bei uns vorsprechen? fragte sie zögernd.
– Würde es herzlich gern thun, wenn ich nicht befürchtete, zu spät zu kommen. Darja Michailowna haben gewünscht, eine neue Etüde von Thalberg zu hören: da muß denn vorbereitet und einstudirt werden. Dann aber, muß ich gestehen, bezweifle ich, daß meine Unterhaltung Ihnen irgendwelches Vergnügen bereiten könnte.
– Doch nein . . . warum aber . . .
Pandalewski stieß einen Seufzer aus und senkte beredt den Blick.
– Auf Wiedersehen, Alexandra Pawlowna! sagte er nach einigem Schweigen, verbeugte sich und trat einen Schritt zurück.
Alexandra Pawlowna wandte sich um und ging nach Hause.
Auch Constantin Diomiditsch schlug den Rückweg ein. Alles Süßliche war sogleich von seinem Gesichte verschwunden: ein selbstvertrauender, ja harter Ausdruck hatte es ersetzt. Sein Gang sogar war ein anderer geworden; er schritt jetzt rascher vorwärts und trat fester auf. Zwei Werst mochte er gegangen sein, nachlässig die Luft mit seinem Stückchen zertheilend, als plötzlich das schmunzelnde Lächeln wiederkehrte: er war hart am Wege ein junges, ziemlich hübsches Bauernmädchen gewahr worden, das Kälber aus einem Haferfelde hinaustrieb. Constantin Diomiditsch näherte sich, vorsichtig wie ein Kater, dem Mädchen und redete es an. Anfangs antwortete es nichts, wechselte die Farbe und lachte vor sich hin, dann bedeckte es den Mund mit dem Aermel, wandte sich ab und sagte:
– Geh doch, Herr, wahrhaftig . . .
Constantin Diomiditsch drohte ihr mit dem Finger und hieß sie ihm Kornblumen holen.
– Wozu brauchst Du Kornblumen?« willst Du etwa Kränze flechten? erwiederte das Mädchen: – nun, so geh doch, aber wirklich . . .
– Höre, mein schönes Liebchen, begann wieder Constantin Diomiditsch . . .
– Nun geh aber endlich, unterbrach ihn das Mädchen: – sieh, da kommen die jungen Herren.
Constantin Diomiditsch blickte sich um. Wirklich, auf dem Wege daher kamen Wanja und Petja, die Söhne der Darja Michailowna; hinter ihnen her schritt ihr Lehrer, Bassistow, ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren, der eben erst seine Studien beendet hatte. Bassistow war ein langer Bursche, mit gewöhnlichem Gesichte, großer Nase, starken Lippen und kleinen Augen, unbeholfen, nicht hübsch, aber gut, ehrlich und gerade. Er trug sich nachlässig, ließ sich das Haar wachsen, – nicht um damit zu stolzieren, sondern aus Faulheit; – liebte zu essen und zu schlafen, aber auch ein gutes Buch und anregende Unterhaltung; Pandalewski haßte er von ganzer Seele.
Die Kinder der Darja Michailowna hatten Bassistow über Alles lieb und nicht die geringste Furcht vor ihm; mit den übrigen Hausgenossen stand er auf vertrautem Fuße, was der Dame des Hauses gerade nicht gefiel, obwohl sie oft behauptete, von Vorurtheilen frei zu sein.«
– Guten Tag, meine Lieben, sagte Konstantin Diomiditsch: – wie früh ihr heute spazieren geht! Ich bin auch schon zeitig vom Hause fortgegangen, setzte er, zu Bassistow gewendet, hinzu; – meine Leidenschaft ist’s, in der Natur zu schwelgen.
– Wir haben es gesehen, wie Sie in der Natur schwelgen, brummte Bassistow.
– Sie sind ein Materialist: Sie sehen gleich in Allem etwas . . . Ich kenne Sie!
Wenn Pandalewski mit Bassistow, oder diesem ähnlichen Leuten redete, so gerieth er leicht in Eifer und sprach den Buchstaben s rein und oft etwas pfeifend aus.
– Sie haben sich also wohl bei jenem Mädchen nach dem Wege erkundigt? sagte Bassistow, indem er den Blick bald rechts- bald linkshin schweifen ließ.
Er empfand es, daß Pandalewski ihm starr in’s Gesicht blickte, und das war ihm äußerst peinlich.
– Ich wiederhole es, Sie sind ein Materialist und weiter nichts. Sie wollen in Allem durchaus nur die prosaische Seite sehen . . .
– Kinder, commandirte plötzlich Bassistow: – ihr seht auf der Wiese den Weidenbusch: wir wollen doch sehen, wer am schnellsten dorthin läuft . . . eins! zwei! drei!
Und über Hals und Kopf rannten die Kinder zu der Weide.
Bassistow stürzte ihnen nach . . .
»Der Lümmel!« dachte Pandalewski: – »verderben wird er die Jungen . . . Ein wahrer Bauerlümmel!«
Und mit selbstgefälligem Blicke sein eigenes sauberes und nettes Figürchen musternd, betupfte Constantin Diomiditsch zwei Mal mit ausgespreizten Fingern die Aermel seines Rockes, schob den Kragen zurecht und ging seines Weges. Auf seinem Zimmer angelangt, zog er einen abgetragenen Schlafrock an, und setzte sich mit besorgter Miene an’s Clavier.
II
Darja Michailowna Laßunski’s Haus galt fast für das Erste im ganzen . . .schen Gouvernement. Massiv, steinern, nach Entwürfen Rastrelli’s im Geschmacke des vergangenen Jahrhunderts erbaut, erhob es sich großartig auf dem Gipfel eines Hügels, an dessen Fuße einer der bedeutendsten Ströme des mittleren Rußlands vorüberfloß. Darja Michailowna selbst war eine angenehme und reiche Edelfrau, eines Geheimraths Wittwe. Wenn auch Pandalewski von ihr zu sagen pflegte, sie kenne ganz Europa und Europa kenne sie, – so kannte sie doch Europa wenig und spielte selbst in Petersburg keine bedeutende Rolle; in Moskau dagegen kannten sie Alle und statteten ihr Besuche ab. Sie gehörte der großen Welt an, und wurde für eine etwas sonderbare, nicht sehr gute, aber außerordentlich kluge Frau gehalten. In ihrer Jugend war sie sehr schön gewesen. Poeten hatten ihr Gedichte gewidmet, junge Leute sich in sie verliebt, hohe Herren ihr den Hof gemacht. Doch seit jener Zeit waren fünfundzwanzig bis dreißig Jahre verstrichen, und von den früheren Reizen war keine Spur zurückgeblieben. »Ist es möglich,« richtete Jeder an sich die Frage, der sie zum ersten Male sah, »ist es möglich, daß diese hagere, gelbliche, spitznasige und noch nicht betagte Frau einst eine Schönheit gewesen wäre? Ist sie es wirklich, sie selbst, welche ehedem von den Dichtern besungen wurde? « Und Jedermann staunte innerlich über den Wechsel alles Irdischen. Es ist wahr, Pandalewski fand, daß Darin Michailowna’s Augen in wunderbarer Weise ihren alten Zauber behalten hatten; eben dieser Pandalewski aber behauptete ja auch, daß ganz Europa sie kenne.
Darja Michailowna kam jeden Sommer auf ihr Landgut mit ihren Kindern (sie hatte deren drei: eine Tochter Natalia, siebzehn Jahr, und zwei Söhne, zehn und neun Jahr alt) sie hielt offenes Haus, das heißt, sie empfing bei sich Männer; besonders unverheirathete Edeldamen aus der Provinz konnte sie nicht ausstehen. Dafür ließen ihr diese Damen aber auch kein gutes Haar! Darja Michailowna war, nach deren Aussage, stolz, sittenverderbt, eine furchtbare Tyrannin, und, was die Hauptsache wäre, – sie erlaube sich solche Freiheiten in der Unterhaltung, daß es ein Gräuel sei! Darja Michailowna liebte es in der That nicht, sich auf dem Lande Zwang auszulegen, und in der freien Einfachheit ihres Umgangs blickte etwas von der Verachtung einer großstädtischen Weltdame für die sie umgebenden, meistens unbedeutenden Persönlichkeiten hindurch . . . Selbst mit ihren städtischen Bekannten ging sie ziemlich ungenirt, ja spöttisch um; doch fehlte dabei die Schattirung von Verachtung.
Hast Du, lieber Leser, jemals bemerkt, daß Leute die im Kreise ihrer Untergebenen ungewöhnlich zerstreut zu sein pflegen, es niemals im Umgange mit höher gestellten Personen sind? Woher mag das kommen? Doch – wozu dergleichen Fragen!
Nachdem« Constantin Diomiditsch endlich die Thalberg’sche Etüde einstudirt hatte, begab er sich aus seinem netten und freundlichen Stübchen hinaus in’s Empfangszimmer und fand dort die ganze Gesellschaft des Hauses bereits versammelt. Der Salon war schon geöffnet. Auf einer breiten Couchette lag, mit untergeschlagenen Beinen und eine neue französische Brochüre in der Hand, die Frau vom Hause; am Fenster vor dem Stickrahmen saßen, von einer Seite die Tochter Darja Michailowna’s, von der anderen, Mlle. Boncourt, die Gouvernante, eine alte, vertrocknete Jungfer von sechzig Jahren, mit einer schwarzen Haartour unter der farbigen Haube und Baumwolle in den Ohren; in der Ecke bei der Thür hatte Bassistow seinen Sitz genommen und las die Zeitung, während neben ihm Petja und Wanja auf dem Damenbrette spielten; an den Ofen gelehnt, die Hände aus dem Rücken, stand ein Herr von mittlerem Wuchse, mit unordentlichem,