Moreau. KlabundЧитать онлайн книгу.
und schön wie Dryaden oder Nymphen.
Alle Mädchen sind schön. Schlank und süß.
Gibt es überhaupt häßliche Frauen? denkt Moreau erstaunt.
Die Studenten singen:
Wenn man zwanzig ist
Mundet der Wein.
Wenn man zwanzig ist
Wohl auch die Liebe…
Nachsichtig applaudieren Bürger und Bürgerin.
Die Professoren lachten schrill, als hätten sie eine obszöne Anekdote angehört oder als belauschten sie Susanna im Bade.
Die jungen Mädchen stehen stumm im Halbkreis: schlank und sanft.
Moreau findet sich zu einer jungen Dame mit Veilchen im Haar und spaziert mit ihr zwischen den Bäumen.
Sie gelangen auf eine Waldschneise.
»Wohin führt der Weg?« fragt die Dame.
Moreau weiß es nicht, aber er besinnt sich, daß er Esprit zeigen muß, um die junge Dame nicht zu enttäuschen, und sagt: »Alle Wege führen zu uns selbst, Mademoiselle.«
Die junge Dame kaut einen Farnhalm zwischen ihren zagen Zähnen.
»Aber wissen wir denn, wer wir sind, wir?«
»Jeder Mensch ist ein Rätsel,« sagt Moreau, »und was Sie betrifft, Demoiselle, möchte ich mir wohl zumuten, es zu lösen.«
Die Dame erschrickt.
Sie wehrt mit der linken Hand seine Augen ab.
Sie verharrt in ihrer abwehrend entrückten Stellung.
Er will eine gleichgültige Konversation anknüpfen. Da sieht er, wie Träne auf Träne aus ihren leeren, nach innen gewandten Augen tropft.
Moreau schlingt verlegen den Arm um ihre Hüfte.
»Demoiselle – was ist Ihnen? Habe ich Sie beleidigt?«
Sie lächelt unter Tränen.
»Sie erkennen mich nicht?«
Moreau stürmt sein Leben zurück.
Er erkennt die junge Dame nicht. Er weiß, daß sie vielleicht eine anmutige Freundin sein würde, eine zärtliche Gespielin der Liebe. Aber er erkennt sie nicht.
Sie weint und lacht.
»Ich bin Jeannette«
Er begreift, daß er kein Gedächtnis für Frauen hat, weil er ein Soldat ist, ein Soldat Gottes, ein Soldat des Volkes. Pferde- und Hunde-Physiognomien vergißt er nie.
Sie ist ein Engel. Warum vergaß er sie?
»Ich bin Jeannette«, wiederholte sie und suchte nach seiner Hand, »und bin sehr unglücklich …«
Je länger sie spricht, desto heimatlicher wird er mit ihr vertraut.
Er hat nie mit einer Frau gesprochen, wie er mit einem Mann sprechen würde.
Und diese Frau spricht mit ihm, als sei er eine Frau: ohne Scham, ohne Hemmnis, ohne Bedenken.
Sie sei schon einige Monate in Rennes. Ob er das wisse?
Nein, er wußte es nicht. Und da er von ihrer Ehrlichkeit bezwungen wurde, sagte er, er habe auch gar nicht mehr an sie gedacht.
Jeannette zuckte ein wenig zusammen.
Dann fuhr sie fort: Sie sei hier, um den Haushalt zu lernen, bei Madame Bompard, einer entfernten Verwandten. Madame Bompard wohne in der Rue du Portier. Erinnere er sich des kleinen, einstöckigen, weinbelaubten Hauses inmitten des sauber gepflegten englischen Gartens?
Madame Bompard vermiete an Studenten.
Unter den Studenten war einer mit blonden Locken und weichen Händen. Einer von jenen Brutalen der Sensibilität. Ein Welschschweizer.
Er sei ihr täglich um die Schürze gestrichen. Stündlich.
Und endlich habe sie sich nicht mehr zu helfen gewußt.
Er habe ihr die Ehe versprochen. Ganz gewiß, das habe er getan. Und da sei sie ihm verfallen. -
Moreau stöhnt dumpf wie ein gepeinigtes Tier.
»Und?« fragt er. »Und?«
»– Ich werde ein Kind bekommen«, sagt sie leiser und neigt den Kopf. Die Veilchen fallen ihr aus den Haaren.
»Ich bin entehrt. Er hat mich schon verlassen …«
Moreau sprang wie ein brünstiger Hirsch brüllend durch das Dickicht, den Welschschweizer zu suchen.
Gerechtigkeit
Studiere ich darum Recht, um es nirgends zu finden?
Er kannte den Welschschweizer.
Er mußte ihn finden.
Er sah ihn mit einem alten Professor, der wie eine Turteltaube gurrte, in gelehrtem Gespräch sich seitwärts des Festes ergehen.
Mit einem Schrei riß er ihn zu sich heran und zwang ihn hinter ein Gebüsch.
»Lump, wirst du mir Rechenschaft geben?«
Der Welschschweizer ertrug zitternd den Schimpf.
»Wofür?«
»Für Jeannette.«
Da straffte sich seine weiche Gestalt.
Seine blonden Locken glänzten kupfern.
Seine zarten Hände wurden hart.
»Gern«, er verneigte sich höflich.
Sie zogen ihre Degen.
Moreau erfuhr, daß er eben würdigen Gegner vor sich hatte.
Ein Lump – nun gewiß – aber ein Lump, der auf der Stelle für sich einsteht.
Im zehnten Gang stieß Moreau ihm das Florett in die rechte Achselhöhle.
Der Schweizer erblaßte und klappte in die Knie.
Moreau holte einen Arzt und Träger.
Als er zurückkam, fand er Jeannette bei dem Welschschweizer.
Mit ihrem Brusttuch stillte sie die Wunde und schluchzte jubelnd.
Angeekelt und voller Zweifel über das Weib und das Recht des Weibes kehrte er in das Fest zurück.
Er hatte sich gerade einen Becher Roten geben lassen, als Geschrei von der Stadt her die Menschen aufmerken und sich zusammenrotten ließ.
Ein Reiter galoppierte auf einem Maultier gegen den Wald an.
»Es ist Krieg,« schrie er von weitem, »Krieg. Österreich hat uns den Krieg erklärt …«
Das Volk fiel zusammen und auseinander.
Krieg … Krieg … Krieg rollte das Wort wie ein Kugelblitz durch das Fest, Donner des Volkes hinter sich verbreitend.
Moreau lehnte an einem Baum.
Er gedachte des Zeichens an seiner Stirn.
Er hatte heute seinen ersten Feind besiegt – oh: nein, den zweiten, der König war sein erster Feind gewesen – und war doch unterlegen, weil eine Frau ihn verraten hatte.
»Alle Frauen sind Spione des Feindes«, sagte er.
Der Rausch der Zukunft stieg ihm wie Wein zu Kopf. Es lebe der Krieg Es lebe die Revolution Das künftige Jahrhundert ist im Anmarsch. Schon klingen seine ehernen Posaunen aus den gesprengten Toren des Himmels. Die Pauken rasseln und Engel schreiten über den Horizont mit silbernen Fahnen aus Mond und Sonne.
Die Musik spielte die Marseillaise.
Unter den dämmernden Zweigen tanzten die Studenten und Mädchen nach der Marseillaise.
Moreau stürzt nach Hause, um ein Manifest an die Bürger von Rennes aufzusetzen.
Kein Sou für den König Kein Krieg für den König Man wird die Republik erklären Sanken umsonst die Mauern der Bastille? Nieder mit dem König Kampf des Volkes Krieg