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Ein Opfer der Mutterliebe. Hendrik ConscienceЧитать онлайн книгу.

Ein Opfer der Mutterliebe - Hendrik Conscience


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vielleicht irgend ein unseliges Geheimniß auf dieser Familie? Wenn ich alles wohl erwäge, ist es kein Wunder, daß ich auf solche Gedanken komme. Frau van Hochfeld lebt in einem Zustand beinah völliger Schwachsinnigkeit; was sie spricht, hat oftmals keinen vernünftigen Inhalt oder ist lächerlich, sie muß sicher ihren Verstand verloren haben. Wie kommt es nun, daß Herr van Hochfeld und Pauline allein dies nicht zu wissen scheinen? Wenigstens benahmen sie sich, als ob sie nichts davon bemerkten. Und dennoch, wenn die Frau mit ihren verglas’ten Augen Pauline anstarrt und in einen Abgrund von Träumereien zu versinken scheint, dann sucht Herr van Hochfeld beinah ängstlich, sie aus ihrem schwermüthigen Zustande zu befreien. Er erzeigt ihr alle Liebe und Aufmerksamkeit, als ob sie ihn verstehn könnte, er späht nach ihren leisesten Wünschen um sie zu erfüllen. Macht er sich so aus freien Stücken zum Sclaven einer Irrsinnigen? Anfangs war ich mehr als einmal in Versuchung, ihn danach zu fragen, aber der flehende Blick meines Freundes hielt mich immer wieder zurück und ich begriff bald, daß Bescheidenheit in dieser Hinsicht eine bindende Pflicht für mich sei. Was bedeutet nun diese ganze Geschichte? Ja, ja, es muß ein schreckliches Geheimniß auf ihm lasten. Ein Verbrechen etwa, ein Strafurtheil? Sollte ein unauslöschbarer Flecken auf ihrer Ehre ruhn? Daraus ließe sich dann auch das Wort: »unmöglich« erklären und dann freilich müßte mein armer Sohn aller Hoffnung entsagen . . . Welch peinliche Ungewißheit! . . Horch wer kommt da? Der Diener des Herrn von Hochfeld? Die Antwort auf mein Schreiben?«

      Wirklich trat in diesem Augenblick der erwartete Bote ein und überreichte im Auftrage seines Herrn ein ziemlich umfangreiches Paket, sich gleich darauf wieder entfernend.

      Hastig erbrach Herr Sommer Siegel und Umschlag des Pakets, welches eine Anzahl verschiedener Pariere enthielt; ein Brief an der frischen blauen Dinte kennbar, fiel zur Erde, er raffte ihn eilig auf, setzte sich wieder und las mit steigender Aufmerksamkeit und Verwunderung:

      Hochverehrter Herr Sommer.

      »Sie beschuldigen mich der Falschheit, des Hochmuths und der Grausamkeit und behandeln mich, als sei ich der schlechteste und boshafteste Mensch von der Welt. Sie bedeuten nicht, wie mein Herz unter diesen schweren Anschuldigungen leiden muß, da ich doch in voller Wahrheit das Zeugniß ablege, daß ich Sie und Ihren Herrn Sohn liebe und hochachte, als gute, vortreffliche und edelherzige Menschen, auf deren Freundschaft ich den größten Werth lege. Doch ich verzeihe Ihnen, denn Sie sind Vater, und an dem endlosen Schmerz meiner armen Pauline kann ich ermessen, wie Ihr Friedrich leiden muß.

      Ewig wollen Sie mich verachten und hassen, sagen Sie, wenn ich Ihnen nicht über die Gründe meiner Weigerung Aufklärung gebe? Wie schwer wird es mir, diese Gründe zu offenbaren, die ich so gern bis zum Lebensende einer mir über Alles theuren Persönlichkeit, verborgen gehalten hätte! Doch beginne ich jetzt voraus zu sehn, daß mein Geheimniß nicht so lange bewahrt bleiben kann. Und wenn es mir gelänge, der Offenbarung desselben auszuweichen, so müßte ich Pauline tief unglücklich machen, müßte sie zu einem liebeleeren Dasein, zum Verzichten aus das ehrliche Glück während ihres ganzen Lebens verurtheilen. Eine solche Selbstsucht meinerseits, eine solche Aufopferung des lieben unschuldigen Kindes erschrecken mich.

      Was nun auch die Folge meiner Eröffnungen sein möge, ich werde Ihnen jetzt erklären, weßhalb die Verbindung Ihres Sohnes mit Paulinen eine Unmöglichkeit ist. Vielleicht werden Sie mir dann Ihre Freundschaft zurückschenken, jedenfalls werden Sie erkennen, daß ich nicht aus eigner Wahl, nicht freiwillig Ihnen entgegengetreten bin.

      Dieses also ist der Grund meiner Weigerung: Pauline ist nicht unser Kind, sie ist die Tochter eines armen Steinhauers aus Beersel, bei Brüssel.«

      Herr Sommer ließ mit einem lauten Schrei des Erstaunens den Brief aus der Hand fallen.

      »O Himmel, was ist das nun,« seufzte er; »Fräulein Pauline das Kind eines Steinhauers? Sie ist also arm? besitzt nichts? Aber weßhalb hat man uns . . . «

      Er griff von Neuem nach dem Briefe und las weiter: »Diese unerwartete Mittheilung überrascht Sie, nicht wahr? Sie klagen mich jetzt wohl der Arglist an« und glauben, daß ich die niedrige Herkunft des Mädchens Ihnen verborgen gehalten in der schlau berechneten Hoffnung, daß, nachdem die Liebe Ihres Sohnes zu ihr fest und innig geworden, er nicht mehr von ihr würde lassen können. Der Schein trügt Sie auch dieses Mal; nur mit Kummer sah ich die gegenseitige Zuneigung entstehn und wachsen, denn ich war und bin überzeugt, daß eine Verbindung zwischen ihnen unmöglich ist.

      »Aber werden Sie fragen, weßhalb habe ich Sie von diesen Verhältnissen nicht früher in Kenntniß gesetzt? Ein anderer noch wichtigerer Grund hielt mich davon zurück. Meine Frau und ich leben in dem Bann eines verwickelten und sonderbaren Geheimnisses, worüber zu sprechen mir nicht gut möglich wäre.

      Auch in diesem Briefe kann ich, Ihnen den Schleier davon nicht lüften, es würde zu weit führen, da die Geschichte meines ganzen Lebens gewissermaßen darin verflochten ist. Doch lesen Sie, wenn ich bitten darf, ruhig und mit gutem Herzen die beigefügte Handschrift; ich habe mich in früheren Zeiten vielfach mit der Literatur befaßt, auch sogar einen Band Gedichte herausgegeben. Diese Geistesrichtung ist es ohne Zweifel, welche mich angetrieben hat, die trüben Geschicke niederzuschreiben, denen meine Frau und ich auf unserem Lebenswege unterworfen worden. Erscheint Ihnen die Schrift zu ausführlich, so mögen sie mit der 35. Seite beginnen. Sie werden die Herkunft und das Loos von Thereschen Bloempap, so heißt Pauline, darin verzeichnet finden. Und weiter werden Sie die Ueberzeugung gewinnen daß ich dringende Ursache hatte, vor der Offenbarung meines Geheimnisses zurückzuschrecken. In der Hoffnung, daß Sie mir Ihre Achtung nicht länger versagen werden, was auch immer Ihre sonstigen Beschlüsse seien, verbleibe ich Ihr ergebener Diener und Freund

David van Hochfeld.«

      Mit niedergeschlagenen Augen blieb Herr Sommer eine Zeitlang in tiefes Nachdenken versunken; die unerwartete Mittheilung hatte ihn mächtig ergriffen.

      »Thereschen Bloempap! murmelte er; das schöne, feingebildete und geistvolle Mädchen die Tochter eines Steinhauers! Es ist unglaublich . . . Und er verbarg mir dieses Alles bis zum letzten Augenblick! Ein anderes Geheimniß zwang ihn zu schweigen, sagt er, das schwer auf ihm und seiner Frau lastet. Was das nur sein mag? doch da ist ja die Handschrift, sie wird mir Aufklärung geben.van Hochfeld

      Im Begriff nach dem Paket zu greifen, wurde er von seinem Diener unterbrochen, welcher ihm das Frühstück servierte.

      »Ich habe eine eilige Arbeit, Baptist,« sagte der alte Herr, »und will nicht gestört sein, wer immer kommen möge nach mir zu fragen, sag’, daß ich nicht zu Haus bin, bis auf weiteren Befehl.«

      Hastig trank er eine Tasse Caffee, setzte sich bequem in seinen Sessel, suchte nach dem Anfang des Manuscriptes und las was folgt:

       II

      Unser Leben

      Ich bin geboren zu Brüssel in der Bodenbrockstraße. Mein Vater war Kaufmann, er handelte mit Brabandter Spitzen und hatte sich ein ausreichendes Vermögen erworben, um seinem einzigen Sohne ein unabhängiges Leben zu sichern.

      Da meine Mutter starb, als ich noch ein kleines Kind war, vereinigten sich in mir alle Gefühle seines liebereichen Herzens. Er sparte nicht Geld noch Mühe, um meine Erziehung ausreichend und früh zu vollenden, und so kehrte ich bereits mit 24 Jahren nach Hause zurück mit dem Diplom als Doktor der Rechte, nicht in der Absicht, mich praktisch der Rechtspflege zu widmen, denn ich hatte nicht nöthig, Geld zu verdienen, sondern nur um ein behagliches Leben durch geistige und wissenschaftliche Fortentwickelung zu verschönern und auszufüllen.

      Unserm Hause gegenüber wohnte ein Herr Steurs, ein wohlhabender Fabrikant von Broncewaaren, der seit langen Jahren der nächste Freund meines Vaters war. Er hatte eine einzige Tochter, etwas jünger als ich, deren Spiele ich in meiner Kinderzeit oftmals getheilt. Und später, als ich auf der Universität war, schwebte das Bild des lieblichen kleinen Mädchens in Stunden des Heimweh’s mir wie eine süße Erinnerung vor der Seele.

      Jetzt, nach Brüssel zurückgekehrt, hatte ich oftmals Gelegenheit, Maria zu sehn, ich war inzwischen ein ernster junger Mann, sie eine blühende Jungfrau geworden. Die ersten Blicke, die wir wechselten, waren für uns beide gewissermaßen die Verboten einer Zukunft voll Liebe und Glück, an dem Funken der Kinderfreundschaft


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