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Geschichte des Grafen Hugo von Craenhove. Hendrik ConscienceЧитать онлайн книгу.

Geschichte des Grafen Hugo von Craenhove - Hendrik Conscience


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      Geschichte des Grafen Hugo von Craenhove und seines Freundes Abulfaragus

       I

      Die zwei Hirten

      Um das Jahr 1360 lag noch zwischen den Dörfern Wyneghem und Santhoven, drei Stunden von Antwerpen, ein wüster und dunkler Wald. Die Eiche, der Gott der nordischen Wälder, schoß ihre stolze Krone gen Himmel; der treue Epheu klammerte sich in Liebeskränzen üppig um seinen rauhen Stamm, während die duftigen Blumenkelche des Geisblattes seinen breiten Fuß als mit goldenem Kleide schmückten. Kinder Einer Mutter grünten dort gleichfalls: die Buche mit ihren glänzenden Blättern, die Bitte mit silbernem Stamme, die zitternde Pappel und die zartere Trauerweide, die wie eine trauernde Jungfrau sich mit ihrem hängenden Laube über die Seen beugte.

      Am Ende des Waldes war Alles lieblich: da schoß der Brombeerstrauch seine purpurnen Ranken von Stamm zu Stamm, und wob einen undurchdringlichen Schleier, an dessen Fuß Schlüsselblume und Maßliebchen wie verlorene Perlen glänzten.

      Aber tiefer in dieser einsamen und wüsten Schöpfung änderte sich Alles: – der Boden schien die Zeichen einer Naturumwälzung an sich zutragen. Da und dort erhoben sich nackte Sanddünen; zerstreute Moräste und gährende Sümpfe zerstörten halb verrottete Stämme entwurzelter Weiden . . . und statt des lieblichen Geisblattes sah man hier nur fahles am Boden fortwucherndes Moos, das die umstehenden Bäume zu einer Gesellschaft sterbender Greise machte, mit Pilzen und Schwämmen wie mit Eiterbeulen überdeckt.

      Nie senkte die Sonne ihre heitern Strahlen auf diesen feuchten Boden; unheimliche Dunkelheit und entsetzliche Stille herrschte hier ununterbrochen; nur von Zeit zu Zeit ertönte das Aechzen einer Nachteule durch das Laub oder machte ein fliehender Fuchs die Blätter rascheln, und unterbrach so die Todtenstille, um sie noch schrecklicher zu machen.

      Neben diesem Walde lag eine unermeßliche Haide, und weiterhin, am Ende des Horizontes, wo der Himmel die Erde zu berühren scheint, hing ein undurchdringbarer Vorhang von Tannenbäumen.

*                   **

      Beim Anbruche eines Lenzmorgens im Jahre 1366, ehe die Sonne die nächtlichen Nebel durchbrochen hatte, befanden sich zwei Schafhirten aus der Haide. Der Eine war ein alter Mann, von mehr als sechzig Jahren mit weißem Haare und gekrümmten Rücken. Der Andere beinahe noch ein Knabe: siebzehn Jahre glänzten auf seinem angenehmen rosigen Gesichte, blaue Augen funkelten mit sanfter Gluth unter seiner breiten Stirne hervor und feine Haare, deren Farbe einer Mischung von Gold und Silber glich, fielen über seinen Hals. Beide waren in rauhe Stoffe gekleidet, und damit beschäftigt, Hosen aus schwerem Wolltuch zu nähen, während ihre Heerden in einiger Entfernung die spärlichen Haideblumen pflückten.

      Nach einiger Zeit legte der alte Hirte seine Arbeit nieder, zog ein Buch aus seiner Tasche und öffnete es. Der junge Hirte hatte kaum das Buch bemerkt, als die Nadeln seiner Hand entfielen; sein Auge erglänzte von dem Feuer der Neugierde, und sich seinem Kameraden nähernd, beugte er sich über die offenen Blätter des Buchs und betrachtete mit aufmerksamem Blicke die Buchstaben. Dann sprach er seufzend:

      »Du kannst lesen, Albrecht? In diesem Buche also hast Du gelernt, wie man die Winde drehen muß, wie man gut Wetter und schlecht Wetter macht, wie man das Vieh bezaubert und entzaubert . . . O ich gäbe zwanzig schöne Jahre meines Lebens, wenn ich die Zeichen verstünde, wie Du!«

      Der alte Hirte lächelte bei dieser Betheurung und antwortete:

      »Nun, Bernhard, glaubst Du auch an das Geschwätze der alten Weiber von Santhoven? Weil ich lesen kann, macht man mich zu einem Zauberer und doch habe ich in meinem Leben kein ander Buch in Händen gehabt, als das, was Du jetzt siehst. Weißt Du, was darin steht?«

      »Nein, o sage es mir!«

      »Nun, es ist das Leiden unseres Herrn. Als ich noch jung war, wohnte ich bei einem alten Geistlichen, der hat das Buch für mich geschrieben und mich mit vieler Mühe die Zeichen verstehen gelehrt. Der gute Mann, Gott habe seine Seele, hat hinter dem Buche einige unbekannte Heilmittel für kranke Schafe hinzugefügt. Sieh, Bernhard, in der Kenntniß dieser Heilmittel besteht alle meine Zauberkunst.«

      Diese Erklärung befriedigte den jungen Bernhard nicht.

      »O laß’ mich das Buch mal in den Händen halten!« rief er mit Ungeduld.

      Sobald der alte Hirte ihm dasselbe gegeben, warf Bernhard sich in das Haidegras, legte das Buch auf seine Kniee und begann mit fieberhafter Aufmerksamkeit die Blätter eins nach dem andern umzuwenden. – Es war etwas Sonderbares in der Haltung des jungen Hirten und besonders in der festen Unbeweglichkeit seines Kopfes, an welchem die blonden Haare wallend niederfielen. Mit wohlwollendem Lächeln betrachtete der alte Albrecht seinen jungen Kameraden und fragte endlich:

      »Du hast also großes Verlangen, zaubern zu lernen, Bernhard?«

      Dieser hob seinen glühenden Kopf empor und antwortete:

      »Zauberei! O nein, nein! Aber ich gebe zwei Finger meiner rechten Hand dem, der mich lesen lehrte.«

      »Ich würde es Dich wohl lehren, wenn wir unsre Heerde oft am selben Platze könnten weiden lassen, doch das geschieht keine zehn Mal im Jahre, darum glaube ich nicht, daß Du es je lernen würdest.«

      Das letzte Wort betrübte den jungen Hirten sehr: er gab mit innigem Verdruß das Buch zurück, nahm seine Nadeln wieder auf und ließ das Haupt in tiefstem Mißmuth sinken, während eine Thräne in seinem Auge glänzte.

      Eine Zeitlang herrschte ein peinliches Stillschweigen wischen den zwei Hirten; bald aber ergriff den alten Albrecht Mitleiden und er sprach zu seinen weinenden Kameraden:

      »Bernhard, Dein Wunsch lesen zu lernen, ist eine sonderbare Krankheit. Ich sehe nicht ein, wie Du Dich so betrüben kannst; ein Zufall hat mich so gelehrt gemacht, aber dieß Glück wiederfährt nicht jedem; – und warum solltest Du Dich nicht trösten, da Ritter und Edelfrauen, Bürger und Bauern ebenso unwissend sind, als Du? Und wärest Du gelehrt, wo würdest Du ein Buch finden, da Du nicht reich genug bist, eines zu kaufen?«

      Bernhard machte bei diesen Worten eine Bewegung der Verzweiflung; seine Stirne umwölkte sich.

      »Gewiß, Bernhard,« fuhr der alte Albrecht fort, »Deine Wißbegierde ist nicht natürlich; sie hat zweifelsohne ihre verborgenen Gründe. Du bist ein wunderbares Kind! Niemand weiß, von wannen Du gekommen, Du kennst weder Vater, noch Mutter, Du sprichst und thust nicht, wie wir. Noch so jung und ein so geheimnisvolles Leben! Ich habe Mitleiden mit Dir, denn ich sehe wohl: Du leidest und bist unglücklich!«

      Der rührende Ausdruck, mit welchem er die letzten Worte gesprochen, ergriff den jungen Hirten sehr. Vielleicht war es ihm ein Bedürfnis, sein Herz auszuschütten. Er näherte sich seinem Kameraden, drückte seine Hand und sprach in traurigem Tone:

      »Albrecht, niemand kennt mich an diesem Orte. Gelobe mir strenge Verschwiegenheit und Du sollst mich kennen lernen; ich werde Dir sagen, warum der Schmerz meine Brust erfüllt. – Ich bin von edlem Blute, Albrecht; Du wirst es nicht glauben, aber Dein Kamerad, der Schafhirte Bernhard, kann sich Burggraf von Reedale nennen.«

      »Du bist von edlem Blute! Burggraf von Reedale!« rief der alte Hirte verwundert. »Sprich, ich kann schweigen.«

      Bernhard trocknete die Thräne, die in seinem Auge glänzte, und setzte sich auf der Haide nieder und als sein Kamerade das Gleiche gethan, begann er also: —

      »Ja setze Dich nieder, Albrecht, denn meine Geschichte ist lang und traurig: ich bin jung, doch habe ich schon viel gelitten.

      »Höre: – Noch ist es keine zehn Jahre her, daß ich mit meinem Vater und meiner Mutter ein adlig Schloß in der Nähe von Grimberghe in Brabant bewohnte. Da verbrachte ich meine Tage mit allen Uebungen, die einem Edelknaben geziemen; mein Vater, der ein berühmter Kriegsheld war, lehrte mich den Degen führen und ein wildes Roß bändigen. Ich war noch sehr jung und doch verwunderten sich erfahrene Ritter schon damals über meine Gewandtheit. Wir waren aber arm und unsre Tafel wurde nicht oft unseren adligen Stand verrathen haben, wenn wir nicht durch unaufhörliches Jagen die Wälder gezwungen hätten, ihr bestes Wildpret zu liefern. Um seinem Fürsten, dem Herzog von Brabant, Jan dem Siegreichen, mit Ehren in den Krieg gegen die Vlamingen zu folgen, hatte mein Vater sein Landgut bei


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