Aufzeichnungen eines Jägers. Иван ТургеневЧитать онлайн книгу.
sitze, wie es sich trifft. Man sagt mir: ›Sag dies und das‹, und ich sage es. Einmal stellte ich einen Blinden dar . . . Unter jedes Augenlid hat man mir eine Erbse gesteckt . . . Gewiß!«
»Und was bist du nachher gewesen?«
»Nachher wurde ich wieder Koch.«
»Warum hat man dich zum Koch degradiert?«
»Weil mein Bruder durchgebrannt war.«
»Und was bist du beim Vater deiner ersten Herrin gewesen?«
»Bei dem hatte ich verschiedene Ämter: Erst war ich Diener, dann Vorreiter, Gärtner, einmal auch Piqueur.«
»Piqueur . . .? Bist auch mit Hunden ausgeritten?«
»Bin auch mit Hunden ausgeritten, einmal stürzte ich aber mit dem Pferd, und das Pferd nahm Schaden. Der alte Herr war sehr streng: Er ließ mich mit Ruten züchtigen und nach Moskau zu einem Schuster in die Lehre bringen.«
»Wieso in die Lehre? Du warst doch wohl nicht als kleines Kind Piqueur geworden?«
»Ja, ich war einige und zwanzig.«
»Was ist es für eine Lehre mit zwanzig Jahren?«
»Das geht schon, wenn’s der Herr befiehlt. Aber er starb zum Glück bald, und so kam ich wieder aufs Land.«
»Wann hast du denn die Kochkunst erlernt?«
Sutschok hob sein mageres gelbes Gesicht und lächelte.
»Braucht man denn das zu lernen . . .? Die Weiber kochen doch!«
»Nun«, sagte ich, »du hast schon manches erlebt, Kusjma! Was machst du nun als Fischer, wo es keine Fische gibt?«
»Ich kann mich nicht beklagen, Väterchen. Ich danke Gott, daß man mich zum Fischer gemacht hat. Einen anderen, einen ebenso alten Mann wie ich, Andrej Pupyrj, hat man in die Papierfabrik, an die Bütte gestellt, die Herrin hat es befohlen. Es sei Sünde, sein Brot umsonst zu essen . . . Pupyrj hatte aber auf Gnade gehofft: Sein Großneffe sitzt im herrschaftlichen Kontor als Kontorist; der hatte versprochen, es der Gnädigen zu melden, sie daran zu erinnern. So hat er sie daran erinnert . . .! Pupyrj hatte sich vor seinem Neffen bis zur Erde verbeugt, ich habe es selbst gesehen.«
»Hast du Familie? Bist du verheiratet gewesen?«
»Nein, Väterchen, niemals. Die selige Tatjana Wassiljewna, Gott schenke ihr ewige Ruhe, erlaubte niemandem zu heiraten. Gott bewahre! Sie pflegte zu sagen: ›Ich lebe doch auch unverheiratet, heiraten ist Dummheit! Was wollen die Leute?‹«
»Wovon lebst du denn jetzt? Bekommst du ein Gehalt?«
»Was für ein Gehalt, Väterchen . . . Ich kriege meine Verpflegung und muß auch dafür Gott danken! Ich bin sehr zufrieden. Gott schenke unserer Herrin ein langes Leben!«
Jermolai kam zurück.
»Das Boot ist in Ordnung«, sagte er düster. »Hol deine Stange, du!«
Sutschok lief nach der Stange. Während meines Gespräches mit dem armen Alten hatte der Jäger Wladimir ihn mit einem verächtlichen Lächeln angesehen.
»Ein dummer Mensch«, sagte er, als jener gegangen war, »ein durch und durch ungebildeter Mensch, ein Bauer und weiter nichts. Man kann ihn gar nicht als zum Hofgesinde gehörig ansehen . . . Er hat auch alles gelogen . . . Wie soll er Schauspieler gewesen sein, urteilen Sie doch selbst! Es war vergebliche Mühe, mit ihm zu sprechen.«
Nach einer Viertelstunde saßen wir schon in Sutschoks Flachboot. (Die Hunde hatten wir unter der Aufsicht des Kutschers Jehudiel in einem Haus zurückgelassen.) Wir hatten es nicht sehr bequem, aber die Jäger sind nicht wählerisch. Am hinteren stumpfen Ende stand Sutschok und ›stieß‹; ich und Wladimir saßen auf dem Querbänkchen; Jermolai hatte vorn an der äußersten Spitze Platz gefunden. Trotz des Werges befanden sich unsere Füße bald im Wasser. Zum Glück war es windstill, und der Teich lag wie schlafend da.
Wir bewegten uns langsam vorwärts. Der Alte hatte große Mühe, aus dem zähen Schlamm seine lange Stange herauszuziehen, die ganz von den grünen Fäden der Wasserpflanzen umschlungen war; die dicht beieinander gedrängten runden Blätter der Sumpflilien hinderten auch die Bewegung unseres Bootes. Endlich erreichten wir das Schilf, und nun ging das Vergnügen los. Die Enten erhoben sich mit großem Lärm von der Teichoberfläche, durch unser plötzliches Erscheinen auf ihren Besitzungen erschrocken, und die Schüsse knallten ihnen nach. Es war lustig, zu sehen, wie die kurzschwänzigen Vögel sich in der Luft überschlugen und schwer auf das Wasser plumpsten. Wir konnten alle angeschossenen Enten natürlich nicht holen: Die leicht verwundeten tauchten unter; manche, die sofort getötet waren, fielen in einen so dichten Maier, daß selbst Jermolais Luchsaugen sie nicht entdecken konnten; dennoch füllte sich unser Boot um die Mittagsstunde bis an den Rand mit Wild.
Wladimir schoß, zum großen Trost Jermolais, gar nicht so vorzüglich; nach jedem Fehlschuß wunderte er sich, untersuchte seine Flinte, blies in den Lauf und erklärte uns schließlich den Grund, warum er fehlgeschossen habe. Jermolai schoß wie immer glänzend; ich, meiner Gewohnheit nach, ziemlich schlecht. Sutschok betrachtete uns mit den Augen eines Menschen, der von jung auf in herrschaftlichen Diensten steht; ab und zu rief er: »Da, da ist noch eine Ente!« und kratzte sich fortwährend den Rücken, aber nicht mit den Händen, sondern durch eine bloße Bewegung der Schulterblätter. Das Wetter war herrlich; weiße, runde Wolken schwebten langsam und hoch über unseren Köpfen dahin und spiegelten sich klar im Wasser; das Schilf rauschte um uns herum; der Teich glänzte stellenweise in der Sonne wie Stahl. Wir wollten schon ins Dorf zurückkehren, als wir plötzlich ein recht unangenehmes Abenteuer erlebten.
Wir hatten schon längst merken können, daß das Wasser allmählich in unser Flachboot hereinsickerte. Wladimir hatte den Auftrag, es mittels einer Schöpfkelle zu entfernen, die mein umsichtiger Jäger einem Bauernweib, das sich gerade auf etwas vergaffte, entwendet hatte. Die Sache ging ordentlich, solange Wladimir seine Pflicht nicht vernachlässigte. Aber gegen das Ende der Jagd stiegen die Enten wie zum Abschied in solchen Schwärmen auf, daß wir kaum Zeit hatten, unsere Gewehre zu laden. Im Eifer des Gefechts achteten wir nicht mehr auf den Zustand unseres Bootes, als plötzlich, infolge einer heftigen Bewegung Jermolais (er bemühte sich, einen erschossenen Vogel aus dem Wasser zu holen und beugte sich mit dem ganzen Körper über den Rand), unser altersschwaches Schiff sich auf die Seite neigte, sich mit Wasser füllte und feierlich sank, glücklicherweise an einer nicht tiefen Stelle. Wir schrien auf, aber es war schon zu spät. In einem Augenblick standen wir bis an den Hals im Wasser, umgeben von den schwimmenden Körpern der toten Enten. Heute kann ich mich nicht des Lachens enthalten, wenn ich an die erschrockenen und blassen Gesichter meiner Genossen zurückdenke (auch mein Gesicht zeichnete sich damals wohl kaum durch besondere Röte aus); aber damals kam es mir gar nicht in den Sinn, zu lachen. Ein jeder von uns hielt sein Gewehr über den Kopf, und Sutschok hob, wohl aus Gewohnheit, alles seinen Herren nachzumachen, seine Stange über den Kopf. Jermolai brach als erster das Schweigen.
»Verflucht!« murmelte er und spuckte ins Wasser. »Eine schöne Bescherung! Das hast du, alter Teufel, angestellt!« fügte er, wütend an Sutschok gewandt, hinzu. »Was hast du auch für ein Boot«
»Verzeihung!« stammelte der Alte.
»Auch du bist nett«, fuhr mein Jäger fort und wandte sein Gesicht Wladimir zu: »Wie hast du aufgepaßt? Warum hast du nicht das Wasser geschöpft? Du, du, du . . .«
Wladimir dachte aber gar nicht an eine Rechtfertigung: Er zitterte wie Espenlaub, seine Zähne klapperten, und er lächelte ganz blöde. Wo war jetzt seine Beredsamkeit, sein raffiniertes Anstandsgefühl, sein Bewußtsein der eigenen Würde!
Der verdammte Dostschannik schwankte leicht unter unseren Füßen . . . Im Augenblick des Schiffsunterganges kam uns das Wasser furchtbar kalt vor, aber wir gewöhnten uns bald daran. Als der erste Schreck vergangen war, sah ich mich um: Ringsum, zehn Schritte um uns, wuchs Schilf, in der Ferne, über den Spitzen des Schilfes war das Ufer zu sehen. Es ist schlimm, dachte ich mir.
»Was sollen wir anfangen?« fragte ich Jermolai.
»Das werden wir schon sehen; übernachten werden wir hier nicht«,