Das adelige Nest. Иван ТургеневЧитать онлайн книгу.
Lawretzky und drückte ihr freundlich die ausgestreckte Hand, »wie befinden Sie sich?«
»Setzen Sie sich, mein theurer Feodor Iwanitsch, ach, wie bin ich froh! Erlauben Sie erstens, Ihnen meine Tochter vorzustellen, Liese.«
»Ich habe mich Elisabeth Michailowna schon selbst vorgestellt,« unterbrach sie Lawretzky,
»Monsieur Panschin . . . Sergei Petrowitsch Gedeonowsky . . . aber setzen Sie sich doch, ich sehe Sie vor mir und traue auf Ehre meinen Augen nicht. Wie befinden Sie sich?«
»Wie Sie sehen, ich strotze vor Gesundheit; aber auch Sie, Cousine, Sie sind in den acht Jahren nicht magerer geworden!«
»Wenn man es bedenkt, wie lange wir uns nicht gesehen haben,« sprach Maria Dmitriewna sinnend, »woher kommen Sie jetzt? Wo ließen Sie . . . das heißt, – ich wollte sagen,« verbesserte sie sich eilig, – »ich wollte sagen, bleiben Sie lange bei uns?«
»Ich komme jetzt aus Berlin,« entgegnete Lawretzky, – »und reise morgen auf mein Gut – wahrscheinlich auf lange Zeit.«
»Sie werden doch, wie selbstverständlich, in Lawriky wohnen?«
»Nein, nicht in Lawriky; ich habe aber, ungefähr fünfundzwanzig Werst von hier, ein kleines Dörfchen; dorthin will ich mich begeben.«
»Es ist das kleine Dörfchen, das Sie von Glaphira Petrowna geerbt haben?«
»Dasselbe.«
»Aber um Gottes willen, Jegor Iwanitsch! Sie haben in Lawriky ein so schönes Haus.« Lawretzky runzelte kaum merklich die Stirn« .
»Ja . . . aber in jenem Dörfchen ist auch ein kleines Häuschen; und für jetzt brauche ich nichts mehr. Dieser Ort – ist für mich jetzt der passendste.«
Maria Dmitriewna ward wieder so verlegen, daß sie sich sogar gerade richtete und die Arme spreizte. Panschin kam ihr zu Hilfe und begann ein Gespräch mit Lawretzky. Maria Dmitriewna beruhigte sich, stützte sich auf die Lehne des Sessels und schaltete nur von Zeit zu Zeit ein kleines Wörtchen ein. Bei alle dem blickte sie so trübselig auf ihren Gast, seufzte so bedeutungsvoll, und schüttelte so traurig den Kopf, daß jener es nicht aushielt und sie endlich ziemlich scharf fragte, ob sie gesund sei.
»Gott sei Dank!« entgegnete Maria Dmitriewna – »und warum diese Frage?«
»So, mir schien es, daß Sie sich nicht ganz wohlfühlten.«
Maria Dmitriewna machte eine würdevolle und etwas beleidigte Miene. – »Wenn es so ist,« dachte sie, »so ist es mir ganz einerlei; Dir scheint, Freund, Alles, wie der Gans das Wasser zu sein; ein Anderer hätte vor Schmerz die Auszehrung bekommen und Du wirst bald vor Fett platzen.«
Mit sich selbst machte Maria Dmitriewna keine Ceremonien, gegen Andere aber und laut brauchte sie gewähltere Ausdrücke.
Lawretzky sah in der That nicht einem Schlachtopfer des Geschickes ähnlich. Von seinem rothwangigen, echt russischem Gesichte, mit hoher weißer Stirn, etwas dicker Nase und bereiten, regelmäßigen Lippen, wehten Steppengesundheit, feste, langdauernde Kraft. Er war vortrefflich gebaut und die blonden Haare auf seinem Kopfe lockten sich, wie bei einem Jünglinge. In seinen blauen hervorstehenden und etwas unbeweglichen Augen bemerkte man, wenn auch nicht Tiefsinn oder Müdigkeit, aber doch etwas Aehnliches, und seine Stimme klang zu gleichmäßig.
Panschin ließ inzwischen das Gespräch nicht stocken. Er lenkte es auf die Vortheile der Zuckersiedereien, worüber er ohnlängst zwei französische Brochüren gelesen hatte, und begann mit ruhiger Bescheidenheit deren Inhalt mitzutheilen ohne übrigens diese selbst auch nur mit einem einzigen Worte zu erwähnen.
»Ach, das ist ja Fedia!« erklang plötzlich in der Nachbarstube hinter der halb offenen Thür die Stimme von Martha Timotheewna. – »Fedia, in der That!« – Und die Alte eilte in das Gastzimmer. Lawretzky hatte nicht Zeit, sich vom Stuhle zu erheben, als sie ihn schon umarmt hatte. – »Laß Dich doch betrachten, laß Dich doch betrachten!« sagte sie, sich von seinem Gesichte entfernend. »Ach, wie gut siehst Du aus! Aelter bist Du geworden, aber wirklich nicht häßlicher. Warum küssest Du aber meine Hände? – Küsse mich selbst, wenn Dir meine runzeligen Wangen nicht zuwider sind. Nicht wahr, nach mir hast Du nicht gefragt; ob wohl die Tante noch lebe oder nicht? Und doch bist Du in meinen Armen geboren, Du Taugenichts. Nun, das ist aber alles einerlei; wie solltest Du an mich denken? Recht hast Du aber gethan, daß Du gekommen bist. Was aber,« fügte sie hinzu, sich zu Maria Dmitriewna wendend, »hast Du ihm schon etwas Vorgesetzt?«
»Ich habe nichts nöthig,« beeilte sich Lawretzky zu sagen.
»Nun, trinke wenigstens eine Tasse Thee. Du großer Gott! Und solltest keine Tasse Thee trinken. Liese geh’ und sorge dafür, aber schnell. Ich erinnere mich, er war, als kleiner Bursche, ein großer Vielfraß, – und auch jetzt liebt er wahrscheinlich zu essen!«
»Martha Timotheewna, ich habe die Ehre . . . « sagte Panschin von der Seite zu der, in Eifer gerathenen alten Dame tretend, und sie tief grüßend.
»Verzeihen Sie« mein Herr,« erwiderte Martha Timotheewna, »in meiner Freude habe ich Sie nicht bemerkt. – Deiner Mutter bist Du ähnlich geworden, der guten Frau,« fuhr sie, sich auf’s Neue zu Lawretzky wendend, fort, Du hattest nur Deines Vaters Nase, und Deines Vaters Nase ist Dir geblieben.« Bleibst Du lange bei uns?«
»Morgen, Tante, reife ich ab.«
»Wohin?«
»Zu mir nach Wassiliewskoie.«
»Morgen?«
»Morgen.«
»Nun, wenn morgen, so morgen. Du mußt es am Besten wissen, was Du zu thun hast. Höre aber, erst mußt Du kommen, um Abschied zu nehmen.« Die Alte kniff ihn in die Wange. – »Ich dachte nicht, Dich zu sehen; nicht, daß ich gerade zu sterben beabsichtigte; nein, ich lebe wenigstens zehn Jahre noch; wir alle, wir Pestoffs, wir leben lange. Dein Großvater nannte uns zweileberig; aber wer konnte es wissen, wie lange Du Dich noch im Auslande herumtreiben würdest. Nun, brav siehst Du aus, brav; hebst aus jeden Fall, wie früher, Deine zehn Pud mit einer Hand auf? Dein verstorbener Vater, verzeih’ es mir, war toll genug, etwas Gutes aber hat er gethan, daß er Dir einen Schweizer zum Hauslehrer gab; erinnerst Du Dich, wie ihr euch gegenseitig Faustschläge austheiltet? Gymnastik nennt man’s, nicht wahr? Aber was gackere ich da, wie eine Henne! Ich störe nur Herrn Panschin in seinen Dissertationen; übrigens laßt uns lieber Thee trinken! Ja; und kommt, ihn auf der Terrasse trinken; wir haben schöne Sahne – ihr habt ihresgleichen nicht in euren London und Paris. Kommt – kommt, und Du, Fedia, gieb mir den Arm. O, was für einen dicken Arm Du doch hast!«
Alle standen auf und gingen auf die Terrasse, mit Ausnahme Gedeonowsky’s, welcher sich still entfernte. Während des ganzen Gesprächs Lawretzky’s mit der Hausfrau, mit Panschin und Martha Timotheewna saß er in einem Winkel, aufmerksam mit den Augen blinzelnd und mit kindlicher Neugier die Lippen spitzend; er eilte jetzt die Nachricht von der Ankunft des neuen Geistes in der ganzen Stadt zu verbreiten. —
Folgendes geschah an diesem Tage, um elf Uhr Abends: Unten auf der Schwelle des Gastzimmers nahm Wladimir Nikolaitsch, eine günstige Gelegenheit benutzend, Abschied von Liesen und sprach zu ihr, sie an der Hand haltend: »Sie wissen, was mich hierherzieht, Sie wissen, warum ich so oft in Ihr Haus komme;« Liese antwortete ihm nichts und lächelte nicht, blickte aber, die Augenbrauen etwas erhebend, auf den Boden, ohne jedoch ihre Hand wegzuziehen.
Oben aber, im Zimmer von Martha Timotheewna, beim Lichte einer Ampel, die vor trüben, alten Heiligenbildern hing, saß Lawretzky, die Ellbogen auf die Kniee gestützt; die gute Alte strich, vor ihm stehend, von Zeit zu Zeit und schweigend seine Haare. Mehr als eine Stunde verbrachte er bei ihr, nachdem er von der Hausfrau Abschied genommen; kein Wort fast sagte er seiner alten guten Freundin und sie fragte ihn nicht aus . . .; was war auch zu fragen? Auch so verstand sie Alles, auch so nahm sie Theil an Allem, was sein Herz überfüllte.
Achtes Kapitel
Feodor Iwanitsch Lawretzky – (wir müssen den Leser um Erlaubniß bitten, auf einige Zeit den Faden der Erzählung zu unterbrechen) stammte aus einer altadligen Familie. Der Stammvater der Lawretzky