Die erste Liebe. Иван ТургеневЧитать онлайн книгу.
die Augen zu und begann zu lecken.
– Was für ein rosiges Züngelchen es hat, bemerkte Sinaïde, den Kopf fast bis zum Fußboden geneigt und dem Thiere von der Seite dicht unter die Nase schauend.
Das Kätzchen hatte sich satt getrunken und fing an zu schnurren, indem es graziös die Pfötchen bewegte. Sinaïde erhob sich und sagte, zum Kammermädchen gewendet, in gleichgültigem Tone: trage es fort.
– Für das Kätzchen – das Händchen! sagte mit selbstgefälligem Lächeln der Husar, seinen mächtigen, fest in der Uniform eingeschnürten Oberkörper streckend.
– Beide, erwiderte Sinaïde und streckte ihm ihre Hände entgegen. Während er dieselben küßte, blickte sie mich über die Schultern an.
Ich blieb unbeweglich auf einem Flecke stehen und wußte nicht – ob ich lachen, Etwas sagen, oder in Schweigen verharren sollte. Auf einmal fiel mir, durch die halbgeöffnete Thür, die Gestalt unseres Dieners Fedor in die Augen. Er machte mir ein Zeichen. Mechanisch begab ich mich zu ihm hinaus.
– Was willst Du? fragte ich.
– Die Mama schickt mich nach Ihnen, sagte er flüsternd. Sie ist böse, daß Sie nicht mit der Antwort zurückkehren.
– Bin ich denn so lange hier?
– Ueber eine Stunde!
– Ueber eine Stunde! wiederholte ich unwillkürlich, kehrte in’s Gastzimmer zurück, und begann mich mit Verbeugungen und Kratzfüßen zu empfehlen.
–– Wohin denn? fragte mich die junge Fürstin, hinter dem Husaren hervorblickend.
– Ich muß nach Hause. Ich werde also melden, setzte ich hinzu, mich an die Alte wendend, daß Sie uns um Ein Uhr mit Ihrem Besuche beehren werden.
–– Ja, mein Lieber, sagen Sie das.
Die Fürstin griff hastig nach ihrer Tabaksdose und nahm mit solchem Geräusch eine Prise, daß ich fast zusammenschrak. – Sagen Sie das, wiederholte sie hustend und mit ihren feuchten Augen blinzelnd.
Ich verbeugte mich nochmals, drehte mich um und verließ das Zimmer mit jener Empfindung von Unbehaglichkeit im Rücken, welche sehr junge Leute zu haben pflegen, wenn sie wissen, daß man ihnen mit den Blicken folgt.
– Vergessen Sie nicht, Monsieur Woldemar, uns zu besuchen, rief Sinaïde mir zu und lachte dann wieder auf.
– Warum lacht sie nur beständig? dachte ich, während ich in Begleitung Fedor‘s, der mir schweigend, jedoch mißbilligend folgte, nach Hause zurückkehrte. Meine Mutter schalt mich und konnte nicht begreifen, was ich so lange bei der Fürstin gemacht habe. Ich ließ mich in keine Erörterungen ein, sondern begab mich auf mein Zimmer. Mir wurde auf einmal recht schwer um’s Herz . . . Ich hatte Mühe, meine Thränen zurückzuhalten . . . Ich war eifersüchtig auf den Husaren!
V
Die Fürstin machte, wie sie zugesagt hatte, meiner Mutter einen Besuch und gefiel derselben nicht. Ich war bei dem Zusammentreffen Beider nicht zugegen, bei Tische aber erzählte meine Mutter dem Vater, diese Fürstin Sassekin scheine ihr »une femme très vulgaire« zu sein, sie sei ihr sehr lästig gewesen mit ihren Bitten um Fürsprache beim Fürsten Sergius, sie stecke in Processen und Händeln »de vilaines affaires d'argent« und müsse eine große Intriguantin sein. Meine Mutter setzte hinzu, sie habe trotzdem die Fürstin nebst Tochter auf den morgenden Tag zum Mittagsessen eingeladen (beim Worte »Tochter« steckte ich die Nase in den Teller) – da sie doch einmal unsere Nachbarin und von Familie wäre. Hierauf entgegnete ihr mein Vater, er besinne sich nun, wer diese Dame sei; er habe in seiner Jugend einen verstorbenen Fürsten Sassekin, einen vortrefflich erzogenen, jedoch faden und hohlen Menschen gekannt; man habe demselben, seines langen Aufenthaltes in Paris wegen, in der Gesellschaft den Beinamen »le Parisien« gegeben; es sei ein sehr reicher Mann gewesen, habe jedoch sein ganzes Vermögen verspielt – und, aus welchem Grunde wisse man nicht, vermuthlich ans Berechnung – (wobei, meinte mein Vater mit kaltem Lächeln, er eine bessere Wahl hätte treffen können) die Tochter eines Beamten geheirathet und sich darauf in Speculationen eingelassen, die ihn vollends ruinirt.
– Wenn sie mich nur nicht um Geld bittet, bemerkte meine Mutter.
– Sehr möglich, entgegnete mein Vater gelassen. – Spricht sie französisch?
– Sehr schlecht.
– Hm! Uebrigens bleibt es sich gleich. Du sagtest, däucht mir, Du habest auch die Tochter eingeladen; ich habe von Jemand gehört, sie sei eine sehr liebenswürdige und gebildete Dame.
– O! dann gleicht sie der Mutter nicht.
–– Und ebenso wenig dem Vater; der war zwar auch gebildet, aber dumm, schloß er.
Meine Mutter seufzte und wurde nachdenkend. Mein Vater schwieg. Ich fühlte mich sehr unbehaglich während dieses Gespräches.
Nach dem Essen begab ich mich in den Garten, doch ohne Flinte. Ich hatte mir vorgenommen, mich dem »Sassekinschen Garten« nicht zu nähern; eine unwiderstehliche Macht zog mich aber hin – und nicht umsonst. Kaum war ich dem Zaune näher gekommen, so wurde ich Sinaïde gewahr. Diesmal war sie allein. Sie hielt ein Buch in der Hand und ging langsam den Weg entlang. Sie bemerkte mich nicht.
Fast hätte ich sie so vorübergehen lassen; ich besann mich jedoch eines Besseren und hustete.
Sie drehte sich um, blieb aber nicht stehen; mit der Hand strich sie das breite, blaue Band ihres runden Strohhutes zur Seite, blickte mich an, lächelte still und vertiefte sich wieder in das Buch.
Ich zog die Mütze und nachdem ich mich einige Zeit auf demselben Flecke herumgedreht hatte, entfernte ich mich mit schwerem Herzen. »Que suis-je pour elle?« dachte ich (Gott weiß warum), französisch.
Bekannte Schritte ließen sich hinter mir hören; ich blickte mich um – mein Vater war es, der mir mit seinem gewohnten raschen und leichten Gange entgegenkam.
– Ist das die junge Fürstin? fragte er mich.
– Das ist sie.
– Kennst Du sie denn?
– Ich habe sie heute morgen bei ihrer Mutter gesehen.
Der Vater blieb stehen, drehete sich rasch auf den Absätzen herum und ging zurück. Als er bis zu Sinaïde gekommen war, grüßte er sie höflich. Sie grüßte ihn gleichfalls? ein Ausdruck von Erstaunen glitt über ihr Gesicht und sie ließ das Buch sinken. Ich sah, wie sie ihm mit den Augen folgte. Mein Vater kleidete sich immer elegant, nach eigenem Geschmacke und einfach; niemals aber war mir seine edle Gestalt vortheilhafter erschienen, niemals hatte sein grauer Hut das unmerklich dünner gewordene Lockenhaar besser bedeckt, als heute.
Ich wollte nochmals Sinaïde entgegengehen; sie blickte mich aber nicht einmal an, hatte das Buch wieder vorgenommen und entfernte sich.
VI
Den ganzen Abend und folgenden Morgen verbrachte ich in einem Zustande trüber Entmuthigung. Ich versuchte es, erinnere ich mich, etwas zu arbeiten, nahm den Kaidanow vor – doch gedankenlos schweiften meine Blicke über die weitläufigen Zeilen und Seiten des berühmten Lehrbuches hin. Zehn Mal hintereinander las ich die Worte: »Julius Cäsar zeichnete sich durch kriegerischen Muth aus,« – ich verstand nichts und warf das Buch fort.
Vor dem Essen rieb ich mir wieder Pomade in’s Haar und legte meinen neuen Rock und die Halsbinde an.
–– Wozu das? fragte die Mutter. – Noch bist Du nicht Student und Gott weiß, ob Du das Examen bestehen wirst. Vor Kurzem erst ist Dir die Jacke gemacht worden! Soll die denn fortgeworfen werden?
– Es werden ja Gäste kommen, stammelte ich halb in Verzweiflung.
– Unsinn!l schöne Gäste! Ich mußte mich fügen. Der Rock ward gegen die Jacke vertauscht, die Halsbinde nahm ich jedoch nicht ab. Die Fürstin nebst Tochter erschienen eine halbe Stunde vor der Tafel. Die Alte hatte über das grüne, mir bereits bekannte Kleid einen gelben Shawl geschlungen und sich eine altmodische Haube mit feuerrothem Bande ausgesetzt.