Frühlingsfluthen. Иван ТургеневЧитать онлайн книгу.
hätte mit Orgeade und Confect gehandelt, während das liebe Wesen mit den freundlich-schelmischen Augen ihn durch die Thüre anblickt, die Sonne durch die mächtige Blätterschicht der vor dem Fenster auf der Straße wachsenden Castanien dringend, das ganze Zimmer mit dem grünlichen Golde der Mittagsstrahlen füllt und das Herz in der süßen Lust der Trägheit, der Sorglosigkeit und der Jugend, der urwüchsigen Jugend, schwelgt!
Der vierte Gast verlangte eine Tasse Caffee.
Man mußte sich an Pantaleone wenden (Emil war vom Herrn Klüber noch nicht zurückgekehrt), Sanin setzte sich wieder neben Gemma. Frau Lenora schlummerte immer fort, zur großen Freude ihrer Tochter.
»Bei der Mutter vergeht während des Schlafens die Migraine,« bemerkte sie. Sanin sprach flüsternd über sein »Geschäft«, erkundigte sich in allem Ernst nach den Preisen verschiedener Conditorwaaren; Gemma theilte ihm ebenso ernst diese Preise mit und unterdessen lachten Beide innerlich, als ob sie fühlten, daß sie die lustigste Komödie spielten. Plötzlich ließ auf der Straße ein Leierkasten die Arie aus dem Freischütz: »Durch die Felder, durch die Auen . . . « hören. Die weinerlichen Klagetöne des Instrumentes erklangen zitternd und pfeifend in der regungslosen Luft.
Gemma fuhr auf . . . »Er weckt die Mutter!« Sanin lief sofort auf die Straße, gab dem Leiermann einige Kreuzer, hieß ihn schweigen und sich entfernen. Als er zurückgekehrt war, dankte ihm Gemma mit leichtem Kopfnicken und, nachdenklich lächelnd, fing sie selbst, kaum hörbar, die hübsche Melodie von Weber, in welcher Max alle Bedenken der ersten Liebe ausdrückt, zu singen an. Dann fragte sie Sanin, ob er den Freischütz kenne, ob er Weber liebe und fügte hinzu, daß, obgleich sie selbst Italienerin sei, sie solche Musik über Alles liebe. Von Weber kam das Gespräch auf Poesie und Romantik, auf Hoffmann, welcher zu jener Zeit von Allen gelesen wurde . . .
Und Frau Lenora schlummerte immer zu, ja schnarchte selbst ein wenig, und die Strahlen der Sonne, in schmalen Streifen durch die Laden dringend, bewegten sich und wanderten zwar unmerklich, doch rastlos auf der Diele, über die Möbel, über das Gewand Gemmas, über die Blätter der Blumen.
XII
Es zeigte sich, daß Hoffmann in nicht allzu großem Ansehen bei Gemma stand, daß sie ihn sogar. . . langweilig fand! Das phantastisch dunkle, nordische Element seiner Erzählungen war nur wenig ihrer lichten, südlichen Natur zugänglich. »Das sind lauter Märchen, das Alles ist für Kinder geschrieben!« äußerte sie nicht ohne Geringschätzung. Der Mangel an Poesie bei Hoffmann wurde von ihr ebenfalls dunkel empfunden. Doch eine Erzählung, deren Namen sie übrigens vergessen, gefiel ihr außerordentlich; eigentlich gefiel ihr aber bloß der Anfang dieser Erzählung; ihr Ende hatte sie entweder nicht gelesen, oder ebenfalls vergessen. Es handelte sich um einen jungen Mann, der irgendwo, ich glaube in einer Conditorei, einem Mädchen von erstaunlicher Schönheit, einer Griechin, begegnet; diese wird vom einem geheimnißvollem sonderbaren, und bösartigen Greise begleitet. Der junge Mann verliebt sich vom ersten Blicke in das Mädchen; sie sieht ihn so trostlos an, als ob sie ihn anflehte, sie zu befreien . . . Er entfernt sich für einen Augenblick – in die Conditorei zurückgekehrt, findet er weder das Mädchen noch den Greis; leidenschaftlich forscht er nach den Beiden, er findet beständig ganz frische Spuren von ihnen, eilt ihnen nach – und vermag auf keine Weise, nirgends, nie sie einzuholen. – Die Schöne entschwindet ihm für alle Ewigkeit – und nicht im Stande ist er, ihren flehenden Blick zu vergessen, und es plagt ihn der Gedanke, daß vielleicht sein ganzes Glück seinen Händen entschlüpft ist. . .
Schwerlich hat Hoffmann seine Erzählung in dieser Weise beendet, doch so hatte sie sich bei Gemma gestaltet, war so in ihrer Erinnerung geblieben.
»Es scheint mir,« sagte sie, »daß solches Begegnen und Trennen häufiger in der Welt vorkomme, als wir denken.« Sanin schwieg und sprach einen Augenblick nachher. . . über Herrn Klüber. Es war das erste Mal, daß er desselben erwähnte; bis zu diesem Augenblicke hatte er sich seiner nicht einmal erinnert.
Gemma ihrerseits schwieg, wurde nachdenkend und ein wenig auf den Nagel ihres Zeigefingers beißend, wandte sie die Augen nach der Seite. Dann lobte sie ihren Bräutigam, erwähnte der von ihm auf Morgen vorbereiteten Landpartie und, nach einem raschen Blick auf Sanin, schwieg sie wieder.
Sanin wußte nicht, worüber er sprechen solle.
Emil kam geräuschvoll hereingelaufen und weckte Frau Lenora . . . Sanin war froh, daß er gekommen. Frau Lenora stand vom Sessel auf. Es erschien Pantaleone und eröffnete, daß das Mittagessen fertig sei. Der Hausfreund, der Exsänger und Diener, verwaltete ebenfalls das Amt des Koches.
XIII
Sanin blieb auch nach dem Mittagmahle. Wieder unter dem Vorwand der großen Hitze – ließ man ihn nicht fort, und als diese vergangen, schlug man ihm vor, nach dem Garten zu gehen, um im Schatten der Akazien Caffee zu trinken. Sanin willigte ein. Er fühlte sich sehr wohl. In der einförmigen und ruhigen Strömung des Lebens sind große Reize enthalten – und er überließ sich ihnen mit Entzücken, nichts Besonderes vom heutigen Tage verlangend, aber auch nicht über den künftigen nachdenkend und des gestrigen sich nicht erinnernd. Welchen Werth hatte schon die bloße Nähe eines Mädchens wie Gemma? Er wird sie bald verlassen, und wahrscheinlich für immer; doch so lange derselbe Kahn, wie in der Romanze von Uhland, sie Beide auf den bemeisterten Lebensfluthen dahin führt – freue Dich, genieße, Wanderer! Und Alles erschien dem glücklichen Wanderer angenehm und lieb.
Frau Lenora schlug ihm vor, sich mit ihr und Pantaleone in »tresette« zu messen, sie lehrte ihn dieses einfache italienische Kartenspiel – gewann von ihm einige Kreuzer – und er war zufrieden; Pantaleone ließ auf die Bitte von Emilio den Pudel alle seine Kunststücke durchmachen – und Tartaglia sprang über den Stock, »sprach«, d. h. bellte, nieste, machte die Thüre mit der Nase zu, brachte einen ausgetragenen Pantoffel seines Herrn – und stellte endlich, mit alter Soldatenmütze auf dem Kopf, den Marschall Bernadotte dar, welcher für seinen Verrath die bittersten Vorwürfe vom Kaiser Napoleon I. hören muß. Napeleon stellte natürlich Pantaleone vor – und gab ihn äußerst gelungen: er kreuzte die Arme über die Brust, setzte sich den dreieckigen Hut tief bis zu den Augen auf – und sprach grob und anmaßend, französisch, doch Himmel! welches Französisch! Tartaglia saß vor seinem Herrscher ganz zusammengekauert, mit eingeklemmtem Schwanz, verlegen blinzelnd und die Augen, unter dem Schirm der schief ausgesetzten Soldatenmütze, zusammendrückend; von Zeit zur Zeit, wenn Napoleon die Stimme erhob, stellte sich Bernadotte auf die Hinterpfoten. »Fuori, traditore!« schrie endlich Napoleon in seinem scenischen Eifer vergessend, daß er bis zu Ende seinem französischen Charakter treu zu bleiben habe – und Bernadotte lief kopfüber unter den Divan, doch sprang er sofort mit freudigem Bellen hervor, auf diese Weise gewissermaßen bekannt gebend, daß die Vorstellung zu Ende sei. Alle Zuschauer lachten sehr viel – doch Sanin am meisten.
Gemma war ein allerliebstes, nettes, unausgesetztes, doch stilles, mit kleinen drolligen Aufschreien untermischtes Lachen eigen . . . Sanin wurde es so wohlig von diesem Lachen ums Herz – todtgeküßt hätte er sie für dieses Aufschreien!
Endlich kam die Nacht. Man mußte vernünftig sein! Nachdem er mehrere Mal sich von Allen verabschiedet und Jedem wiederholt »auf morgens« gerufen hatte (mit Emil wechselte er selbst Küsse) ging Sanin nach Hause und trug das Bild des Jungen, bald lachenden, bald nachdenkenden, ruhigen und selbst kaltblütigen – und doch stets so anziehenden Mädchens mit sich fort! Ihre Augen bald weit geöffnet, hell und freudig wie der Tag, bald von den Augenwimpern halb bedeckt, dunkel und tief wie die Nacht, schienen immer ihn anzublicken, sonderbar und süß alle anderen Gebilde und Vorstellungen durchdringend.
An Herrn Klüber, an die Ursache, die ihn in Frankfurt zu bleiben bewogen – kurz an Alles, was ihn die Nacht vorher so beunruhigt hatte – dachte er kein einziges Mal.
XIV
Ein paar Worte sind endlich über Sanin selbst zu sagen.
Erstens war er gar nicht übel: stattlicher, schlanker Wuchs, angenehme, ein wenig verschwindende Gesichtszüge, freundlich bläuliche Augen, helles, goldenes Haar, weiße mit frischem Roth eingehauchte Gesichtsfarbe – und vor Allem jener gutmüthig lustige, vertrauende, aufrichtige, vom ersten Anblick selbst etwas