Neu-Land. Иван ТургеневЧитать онлайн книгу.
ihre Partie. . . Dagegen klemmte Kallomeyzew gemächlich sein rundes Monocle zwischen Augenbraue und Nase, und heftete den Blick auf das Studentlein, das seine Befürchtungen nicht zu theilen gewagt. Doch dadurch Neshdanow in Verwirrung zu bringen, war schwer; es geschah im Gegentheil, daß dieser sich aufrichtend den Kopf emporhob und auch seinerseits den Blick scharf auf den Beamten der großen Welt richtete: – und eben so plötzlich, wie er in Marianne eine Gesinnungsgenossin erkannt, sah er jetzt in Kallomeyzew seinen Feind! Das fühlte auch Kallomeyzew; er ließ das Monocle fallen, wandte sich ab und versuchte zu lächeln . . .; nur Anna Sacharowna, welche ihn insgeheim tief verehrte, hatte sich in Gedanken auf seine Seite gestellt, so daß sie den ungebetenen Nachbar, der sie von Kolja getrennt, noch mehr zu hassen begann.
Das Diner ging bald zu Ende. Die ganze Gesellschaft begab sich auf die Terrasse, um dort den Kaffee einzunehmen; Ssipjagin und Kallomeyzew zündeten Cigarren an; Ssipjagin offerirte auch Neshdanow eine echte Regalia, dieser schlug sie jedoch aus.
– Ach ja! – rief Ssipjagin; – ich hatte es vergessen: – Sie tauchen nur die eigenen Cigaretten!
– Ein merkwürdiger Geschmack, – bemerkte Kallomeyzew durch die Zähne.
Neshdanow wurde feuerroth – »den Unterschied zwischen einer Regalia und einer Cigarette kenne ich sehr gut, aber ich will Niemandem verpflichtet sein« – wäre ihm fast entfahren . . . Er hielt jedoch an sich, aber zugleich schrieb er auch diese zweite Grobheit in das »Debet« des Feindes.
– Marianne! – rief Valentine Michailowna plötzlich mit lauter Stimme aus; – mach’ doch keine Umstände vor unserm neuen Hausgenossen gegenüber . . . rauche mit Gott Deine Pachitos. Dazu ist um so weniger Grund vorhanden – fügte sie, sich zu Neshdanow wendend, hinzu – da ja in Ihren Kreisen alle Damen, wie ich gehört habe, rauchen.
– Ganz recht, – antwortete Neshdanow trocken: – Das war das erste Wort, das er an Frau Ssipjagin richtete.
– Ich rauche aber gar nicht, – fuhr sie, die sammetnen Augen freundlich zusammendrückend, fort . . . – Ich bin hinter dem Jahrhundert zurückgeblieben.
Marianne nahm langsam und bedächtig, der Tante gleichsam zum Trotz, zuerst eine Pachitos, daraus das Kästchen mit den Zündhölzchen und begann dann zu rauchen. Neshdanow tauchte ebenfalls eine Papiros, indem er sich bei Marianne Feuer holte.
Es war ein prachtvoller Abend. Kolja und Anna Sacharowna begaben sich in den Garten; die Uebrigen blieben, die schöne Luft genießend, noch fast eine Stunde auf der Terrasse. Man unterhielt sich überaus lebhaft. . . Kallomeyzew griff die Literatur an; Ssipjagin bewahrte auch hier seinen Freisinn, vertheidigte ihre Unabhängigkeit, suchte ihre Nützlichkeit zu beweisen, erwähnte sogar Chateaubriand’s, indem er darauf hinwies, daß der Kaiser Alexander Pawlowitsch ihm den St. Andreas-Orden verliehen! Neshdanow blieb dem Streite fern und Valentine Michailowna sah ihn mit einem Ausdruck an, als ob sie seine bescheidene Zurückhaltung einerseits billige, andererseits aber – sich darüber ein wenig wundere.
Zum Thee gingen Alle wieder in’s Gastzimmer hinüber.
– Wir haben die schlechte Gewohnheit, Alexei Dmitritsch, – sagte Ssipjagin zu Neshdanow, – des Abends Karten zu spielen, und noch dazu ein verbotenes Spiel. . . stellen Sie sich vor, das Pharao. Ich fordere Sie nicht auf. . . Marianne wird übrigens so gut sein und uns etwas vorspielen. Ich hoffe, Sie lieben die Musik. Ja? Und ohne die Antwort abzuwarten, ergriff Ssipjagin die Karten. Marianne setzte sich an’s Klavier und spielte, weder gut, noch schlecht, einige »Lieder ohne Worte« von Mendelssohn – Charmant! Charmant! quel toaché! – schrie Kallomeyzew von weitem, wie mit heißem Wasser übergossen, auf; doch geschah dies nur aus Höflichkeit. Neshdanow besaß, ungeachtet der von Ssipjagin geäußerten Hoffnung, gar keine Liebe für Musik.
Unterdessen hatten sich Ssipjagin, seine Frau, Kallomeyzew und Anna Sacharowna an den Kartentisch gesetzt. . . . Kolja kam den Eltern gute Nacht zu wünschen und entfernte sich, nachdem er den Segen der Eltern und ein großes Glas Milch statt des Thees erhalten; der Vater rief ihm noch nach, daß der Unterricht bei Alexei Dmitritsch schon morgen beginnen werde. Als Ssipjagin nach Verlauf einiger Zeit bemerkte, daß Neshdanow allein in der Mitte des Zimmers saß und mit gespannten Mienen in einem photographischen Album blätterte, rief er ihm zu, daß er durchaus keine Umstände machen und in sein Zimmer gehen möge, da er doch wahrscheinlich von der Reise müde sein werde und daß in seinem Hause die Devise Freiheit herrsche.
Neshdanow machte von der Erlaubniß Gebrauch und verließ, nachdem er sich von Allen verabschiedet, das Zimmer; in der Thür stieß er auf Marianne und empfand von Neuem, indem er ihr in die Augen blickte, daß er mit ihr wie mit einem guten Freunde leben werde, obgleich sie bei dieser Begegnung ganz ernst geblieben war und sogar die Brauen gerunzelt hatte.
Er fand sein Zimmer von duftiger Frische erfüllt: die Fenster waren den ganzen Tag offen geblieben. Im Garten schlug, seinem Fenster gerade gegenüber, kurz und klangvoll die Nachtigall, der nächtliche Himmel leuchtete warm über den abgerundeten Wipfeln der Linden in dem Schein des eben aufsteigenden Mondes. Neshdanow zündete ein Licht an; ein Schwarm von kleinen grauen Nachtfaltern drang aus dem dunklen Garten in’s Zimmer und kreiste und schwirrte um das Licht, der Wind aber trieb sie immer von Neuem von der blau-gelben, flackernden Flamme fort.
»Es ist doch merkwürdig!« dachte Neshdanow, bereits im Bette . . . »Es sind doch, wie es scheint, gute, freisinnige, sogar humane Menschen . . . und doch ist das Herz so schwer. Kammerherr Kammerjunker . . . Nun, über Nacht kommt Rath . . . Fort mit der Sentimentalität.«
In diesem Augenblick schlug der Wächter im Garten laut und hartnäckig an das Brett – es ertönte sein gedehnter Ruf: »Acht—u—ung!«
– Paß a—auf! – antwortete eine andere allmählich verhallende Stimme.
– Herr, mein Gott! – als ob man in der Festung wäre!
Achtes Capitel
Neshdanow erwachte sehr früh, kleidete sich rasch an, ohne den Diener abzuwarten, und stieg in den Garten hinab. Der Garten war groß und schön und wurde vortrefflich unterhalten. Gemiethete Arbeiter reinigten mit Schaufeln die Wege, von dem hellen Grün der Gewächse hoben sich die rothen Kopftücher der harkenden Bauernmädchen ab. Neshdanow war bis an den Teich gekommen: der Morgennebel hatte sich bereits verzogen, nur hie und da erhoben sich in den schattigen Uferbuchten noch dunstige Flocken. Die noch niedrig am Himmel stehende Sonne warf rosige Streiflichter auf die breite, seidige, bleifarbene Wasserfläche. Mehrere Zimmerleute machten sich an einem Floß zu schaffen; hier schaukelte auch ein neues, bunt gestrichenes Boot und theilte seine Bewegung dem sich kräuselnden Wasser mit. Nur selten vernahm man gleichsam verhaltene menschliche Stimmen: überall fühlte man sich von der Morgenstille und von dem rüstigen, steten Gange der Morgenarbeit, von der Ruhe und der Regelmäßigkeit geordneten Lebens angeweht. Und da stand nun Neshdanow plötzlich am Kreuzungsweg der Alleen der personifizirten Ordnung und Regelmäßigkeit selbst gegenüber – da stand Ssipjagin vor ihm.
Er war in einem erbsfarbenen Rock in Form eines Schlafrockes, in einer bunten Mütze und stützte sich auf ein englisches Bambusrohr; sein eben rasirtes Gesicht athmete zufriedene Selbstgenügsamkeit; er hatte sich aufgemacht, sein Gut zu besichtigen Ssipjagin begrüßte Neshdanow in freundlich höflicher Weise.
– Ah! – rief er aus; – ich sehe, Sie gehören zu den Jungen und Frühzeitigen! Er wollte mit dieser nicht ganz passenden sprichwörtlichen Redensart wahrscheinlich seine Billigung ausdrücken, daß Neshdanow, wie er selbst, sich früh aus dem Bette gemacht. – Wir trinken um acht Uhr Alle zusammen im Eßzimmer den Morgenthee und frühstücken dann um zwölf Uhr; um zehn Uhr werden Sie Kolja die erste Stunde in der russischen Sprache geben, um zwei Uhr aber – in der Geschichte. Morgen am 9. Mai ist sein Namenstag und die Stunden werden ausfallen; heute aber bitte ich den Unterricht zu beginnen!
Neshdanow neigte den Kopf – Ssipjagin aber verabschiedete sich von ihm nach französischer Art, indem er die Hand erhob und dieselbe mehrere Mal rasch an Lippen und Nase führte – und ging dann pfeifend und das Rohr keck schwingend weiter – nicht wie ein hochangesehener Beamter oder Staatsmann – sondern wie ein gutmüthiger russischer country-gentleman.
Bis