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Punin und Baburin. Иван ТургеневЧитать онлайн книгу.

Punin und Baburin - Иван Тургенев


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im Garten herumzulaufen.

* * *

      Der zum Gute meiner Tante gehörige Garten zwar alt und groß und endigte an einer Seite mit einem Weiher fließenden Wassers, in welchem nicht nur Karauschen und Gründlinge, sondern sogar prächtige Salblinge (la salveline), die heut zu Tage außerordentlich selten geworden sind, plätscherten und spielten. Am jenseitigen Ufer war der Weiher mit dichtem Schilfrohr und Weidengebüsch eingerahmt, während zu beiden Seiten sich am Abhange längs demselben kräftiges Haselnußgebüsch, Geisblatt und Dorngesträuch hinzog, das sich mit dem auf dem Boden kriechenden Wachholder und Liebstöckel zu einem fast undurchdringlichen Ganzen verband. Dort schlug im Frühling die Nachtigall, Drosseln pfiffen ihr munteres Lied und der unermüdliche Kukuk ließ seinen eintönigen Ruf erschallen; dort war es selbst im Sommer kühl und schattig und mein größtes Vergnügen, mich in diesem Dickicht zu vertiefen, wo ich meine heimlichen Lieblingsplätze hatte, die – so glaubte ich damals wenigstens – nur mir allein bekannt waren.

      Kaum hatte ich nun Großmutters Cabinet verlassen, so eilte ich spornstreichs in eins jener Verstecke, das ich »die Schweiz« getauft hatte. Ich stutzte plötzlich, denn ich sah zu meiner höchsten Verwunderung durch das dichte Geflechte der halbvertrockneten Sträuche und grünen Zweige, daß außer mir noch sonst Jemand meine »Schweiz« entdeckt hatte. Eine ungeheuer lange Figur in einem gelben Flauschrock und einer hohen altmodischen Mütze stand gerade auf meinem heimlichen Lieblingsplätzchen. Leise schlich ich mich näher heran und blickte in ein mir ganz fremdes, ebenfalls unförmlich langes, welkes bartloses Gesicht, mit ungewöhnlich kleinen, entzündeten, rothen Augen und einer urkomischen Nase; lang und spitz hing sie über ein paar dicken Lippen herab. Und diese Lippen bebten und schwollen an, indem sie einen leise zitternden Pfiff hervorstießen, während die langen Finger der knöchernen Hand, die er in gleicher Höhe etwa mit der Brust hielt, eine kreisartige Bewegung beschrieben. Ich drängte mich noch näher heran, um besser sehen zu können . . . Der Unbekannte hielt in jeder Hand eine kleine flache Schale, etwa in der Art derjenigen, mit denen man die Kanarienvögel zum Singen zu bringen sucht. Da brach ein trockener Ast unter meinem Fuße; der Unbekannte fuhr zusammen, heftete seine blöden Augen auf das Dickicht, stolperte, indem er zurücktreten wollte; stieß gegen einen Baum, stöhnte laut auf und blieb stehen.

      Ich trat auf den kleinen freien Platz hinaus. Der Unbekannte lächelte.

      »Guten Tag,« sagte ich.

      »Guten Tag, junges Herrchen!«

      »Mir mißfiel, daß er mich so ohne Umstände »junges Herrchen« zu nennen wagte. Was fiel ihm ein, mich so familiär zu behandeln!

      »Was machen Sie hier?« fragte ich ihn, einen strengen Ton anzunehmen suchend.

      »Je nun, sehen Sie,« antwortete er, ohne daß er zu lächeln aufhörte, »ich fordere die Vögelchen zum Singen auf.« Und dabei zeigte er mir die Lockschälchen. »Die Finken antworten ganz prächtig. Sie, der Sie noch so jung an Jahren sind, muß der Vogelgesang sicherlich in Entzücken versetzen. Wenn Sie zuhören wollen, so will ich zu zwitschern anfangen, o, jene dort werden mir sogleich antworten – wie wunderbar angenehm das ist!«

      Und dabei fing er an, seine Schälchen an einander zu reiben. Wirklich antwortete ihm ein munterer Finke sogleich von einer in der Nähe stehenden Eberesche her. Der Unbekannte lächelte mir wieder schweigend zu und winkte mit den Augen nach oben.

      Dieses Lächeln und Winken, jede Bewegung des Unbekannten, seine lispelnde schwache Stimme, »die eingebogenen Kniee und mageren Hände, ja selbst seine unförmliche Mütze wie sein langer Flausch athmeten so viel Gutmüthigkeit, blickten so ungetrübt, unschuldig und drollig, daß ich ihn schon viel freundlicher fragte:

      »Sind Sie schon lange hier?«

      »Erst seit heute.«

      »Sind Sie nicht vielleicht derselbe, von dem . . .«

      »Herr Baburin mit der gnädigen Frau gesprochen hat,« vervollständigte er meine Frage. »Derselbe, derselbe.«

      »Ihr Kamerad heißt Baburin und Sie ?«

      »Mich nennt man Punin; Punin ist mein Name. i Er Baburin und ich Punin.« Und er setzte seine Schälchen wieder in Bewegung. »Hören Sie, hören Sie wohl den Finken; ei, der Schelm, wie laut er zwitschert.«

      Wie es kam, weiß ich nicht, aber dieser Sonderling gefiel mir mit einem male ganz außerordentlich.

      Wie fast alle Knaben war ich Fremden gegenüber entweder sehr scheu, oder machte mich überwichtig; mit diesem hier aber fühlte ich mich gleich so vertraut, als ob wir jahrelang bekannt gewesen wären.

      »Kommen Sie mit mir,« sagte ich ihm, »ich weiß ein noch viel besseres Plätzchen, als dieses hier; da ist auch eine Bank, auf die wir uns setzen und von dort das Floß sehen können.«

      »O, recht gern, kommen Sie,« antwortete mein neuer Freund. Ich ließ ihn vorausgehen. Im Gehen warf er den Körper hin und her, den Kopf hintenüber und ging mit Riesenschritten vorwärts.

      »Ich bemerkte, daß hinten unter seinem Rockkragen eine Art Quaste hing.

      »Was haben Sie denn da hinten hängen ?« fragte ich ihn.

      »Wo ?« fragte er seinerseits und befühlte sich den Kragen. »Ach, das da? ei, das ist eine Quaste, wahrscheinlich soll das hübscher aussehen, deshalb ist sie auch wohl dort angenäht. Mir kann’s schon recht sein; sie hindert mich ja weiter nicht.«

      Ich führte ihn zu meiner Bank und wir setzten uns nebeneinander hin.

      »Hier ist’s schön!« sagte er mit Wohlbehagen tief aufathmend. »Wunder – wunderschön, hier wird Einem so wohl und so weh!«

      Ich blickte ihn von der Seite an.

      »Sagen Sie doch um’s Himmels Willen, was haben Sie da für eine Mütze?« rief ich unwillkürlich. »Zeigen Sie doch!«

      »Ei, recht gern, junges Herrchen, recht gern.«

      Er nahm seine Kopfbekleidung ab; ich streckte die Hand aus, sie zu nehmen, blickte ihn an und brach in ein lautes Lachen aus. Punin war vollkommen kahlköpfig, kein Haar auf seinem spitzzulaufenden, glänzendweißen Schädel zu sehen, nur einige wenige dünne Haare waren noch auf dem Hinterkopfe geblieben.

      Er fuhr mit der Hand über denselben hin und lachte mit mir. Wenn er lachte, verzog sich sein Gesicht gerade als ob er sich verschluckt hätte, sein Mund öffnete sich weit, die Augen schlossen sich und drei Reihen Runzeln liefen von unten nach oben wie Wellen über – seine Stirn.

      »Nicht wahr,« sagte er endlich, »ein Kopf wie ein Ei?«

      »Ein richtiges Ei, da haben Sie recht,« bestätigte ich ihm entzückt. »Und, sind Sie schon lange so ?«

      »Ach, schon lange – und was für Haare ich hatte! Das reine goldene Fließ, wie jenes, nach welchem die Argonauten über’s Meer schifften.«

      Obgleich ich erst zwölf Jahre alt war, so wußte ich doch schon aus meinen mythologischen Studien, wer die Argonauten waren; mich setzte daher diese Bemerkung im Munde eines so ärmlich gekleideten Menschen noch mehr in Erstaunen.

      »Sie haben also die Mythologie studirt?« fragte ich ihn, das Ungethüm von Mütze, das die Gestalt eines alten wattirten Helms hatte, in der Hand drehend und wendend.

      »Auch die hab’ ich studirt, mein liebes, junges Herrlein! Ach, manches hab’ schon im Leben durchgemacht. Jetzt aber geben Sie mir, bitte, mein Sturm- und Wetterdach zurück, meinen kahlen Schädel zu schützen.«

      Er stülpte sein Ungethüm wieder auf und fragte mich, während er seine struppigen weißlichen Augenbrauen glattstrich, wer ich denn eigentlich wäre und wer meine Eltern?

      »Ich bin der Enkel der hiesigen Gutsbesitzerin,« antwortete ich, »ich bin ihr einziger Enkel, Papa und Mama sind beide todt.«

      Punin schlug gottesfürchtig ein Kreuz. »Gott verleih’ ihnen die ewige Ruh’ und das Himmelreich! Eine Waise also und – ein Erbe! Ja, ja, das adelige Blut war mir bei Ihnen gleich bemerkbar; das fällt gleich in die Augen, wallt und kocht . . . sch . . . sch . . . sch . . . sch!« Er bewegte seine dünnen Finger auf und ab, um zu zeigen; wie das Blut wallt.


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