Herz und Wissen. Уилки КоллинзЧитать онлайн книгу.
der noch nicht beruhigt war, wieder an, fuhr dann aber plötzlich zurück und ergriff Benjulia mit dem Ausrufe: »Halt! Halt!« am Arme.
»Nun, was haben Sie?« fragte der Doctor, sofort stehen bleibend.
»Nichts«, sagte Ovid, vor einem durch die Ueberbleibsel eines von dem schweren Fuße seines Begleiters zermalmten Käfers gebildeten Flecke auf dem Kieswege zurückfahrend. »Sie traten den Käfer, ehe ich es hindern konnte.«
Benjulia war buchstäblich sprachlos vor Erstaunen, daß er hier – nicht im Irrenhause – einen erwachsenen Menschen fand, dem etwas an der Erhaltung des Lebens eines Käfers lag; aber sein Berufsinstinct kam ihm zu Hilfe. »Sie sollten London lieber auf der Stelle verlassen«, sagte er. »Suchen Sie reine Luft auf und bleiben Sie den ganzen Tag im Freien.« Dann den zertretenen Käfer mit der Spitze seines Stockes umwendend, meinte er: »Nur ein ganz gewöhnlicher Käfer.«
Ovid kam wieder auf das durch den kleinen, leider mißlungenen Act der Barmherzigkeit abgebrochene Thema zurück: »Sie kannten meinen Onkel in Italien; da kommt es mir sonderbar vor, daß ich früher nie etwas davon gehört habe.«
»Ja, ich kannte ihn, und seine Frau gleichfalls.« Auf die letzten Worte legte der Doctor einen besonderen Nachdruck.
»Nun?«
»Nun, ich kann nicht sagen, daß ich für ihn oder für sie ein besonderes Interesse empfand, und es ereignete sich später nichts, was mir die Bekanntschaft in’s Gedächtnis; zurückgerufen hätte, bis Sie mir vorhin erzählten, wer die junge Dame sei.«
»Meine Mutter muß Sie doch daran erinnert haben?«
»Nicht, daß ich wüßte. Damen in ihrer Stellung haben in der Regel wenig Neigung, von einein Verwandten zu sprechen, der —« Er hielt inne. »Ich möchte nicht grob sein; sagen wir also: der unter seinem Range geheirathet hat.«
Ovid mußte sich gestehen, daß dem so war. Hatte doch seine Mutter (vor der Ankunft des Testamentes) selbst ihm gegenüber selten ihres Bruders und noch seltener seiner Familie Erwähnung gethan. Mrs. Gallilee’s Schweigen hatte allerdings noch einen andern Grund, der aber nur ihr bekannt war. Robert hatte das Geheimniß ihrer Schulden besessen und ihr schwere pecuniäre Verpflichtungen auferlegt; der bloße Klang seines Namens war daher für seine liebenswürdige Schwester verletzend gewesen, da derselbe sie an jenes demüthigende Gefühl erinnern mußte, das man in der Gesellschaft als das Gefühl der Dankbarkeit kennt.
Da Carmina noch immer wartete und Ovid einsah, daß aus Benjulia nichts weiter herauszubringen war, so reichte er ihm die Hand, um sich zu verabschieden, allerdings mit dem Gefühle, daß es ihm nicht gelungen war, sein Gemüth vollständig zu beruhigen.
Der Doctor nahm die dargebotene Hand ganz bereitwillig und wiederholte dann seine sonderbare Frage – »Ich bin doch nicht grob gewesen, wie?« wobei man es ihm ansah, daß er dieselbe nur der Form wegen stellte.
Ovid ging mit seiner natürlichen Hochherzigkeit freundlich darauf ein. »Ich fürchte, ich bin derjenige, der grob gewesen ist«, sagte er. »Wollen Sie mit mir zurückkommen, und sich Carmina vorstellen lassen?«
Benjulia lehnte aber dies freundliche Anerbieten in der ihm eigenthümlichen Weise ab.
»Nein, ich danke Ihnen«, erwiderte er ruhig. »Ich möchte lieber den Affen sehen.«
Capitel XIV
Währendem war Zo die unschuldige Ursache einer Meinungsverschiedenheit zwischen Maria und der Duenna, diesen beiden sich so unähnlichen Persönlichkeiten geworden.
Da des Kindes Gemüth ganz von dem kranken Affen erfüllt war, so fühlte es eine natürliche Neugier, die anderen, gesunden Affen zu sehen. Ehe die Gouvernante Zo’s Wünschen willfuhr, fragte dieselbe ihre junge Freundin aus Italien, ob diese Neigung hätte, das Affenhaus zu besuchen. Carmina, eingedenk des Versprechens ihres Cousins, ließ ihre Augen den Weg hinunter schweifen; da aber Ovid nicht zurückkam, ja nicht einmal zu sehen war, blieb ihr nichts übrig, als sich in die Umstände zu fügen, und sie that dies nicht ohne einen leichten Anflug von Gereiztheit, den Miß Minerva nicht unterließ, ihrem Gedächtnisse einzuregistriren.
Als sie bei dem Affenhause anlangten, zeigte sich Teresa in einem ganz neuen Charakter, indem sie zur Ueberraschung ihrer Begleiter ein Interesse an der Naturgeschichte bekundete.
»Sind in diesem großen Hause lauter Affen?« fragte sie. »Ich möchte nur wissen, wie das die Thiere aushalten.«
Sie hatte sich dabei an die Gouvernante als an die Gelehrteste von den Anwesenden gewandt, aber diese erwiderte, ihrer älteren Schülerin ermuthigend zulächelnd: »Maria wird Ihnen Auskunft geben. Ihre Studien in der Naturgeschichte haben sie mit den Gewohnheiten der Affen hinreichend bekannt gemacht.«
Die sonst so dicerete Maria erröthete wirklich bei dieser Aufforderung. Es war ja aber auch ihr höchster Lohn, wenn sie ihre Kenntnisse zum Wohle der Unglücklichen aus den unteren Klassen, denen nur eine unvollständige Erziehung zu Theil geworden, entfalten konnte, wobei sie natürlich die Lehrmethode ihrer Lehrerin nachahmte. Man hätte sich bei dem Tone liebenswürdig herablassenden Wohlwollens, in welchem sie jetzt eine Frau, die dem Alter nach ihre Großmutter hätte sein können, belehrte, veranlaßt fühlen können, ihr gleichfalls eine Lection – aber eine fühlbare – zu geben.
»Man hält die Affen in großen und luftigen Käfigen«, begann sie, »deren Temperatur sehr sorgfältig reguliert wird. Ich werde glücklich sein, Sie auf die Unterschiede unter denselben aufmerksam zu machen. Es ist Ihnen vielleicht nicht bekannt, daß man die einen als Simiadae unterscheidet, diejenigen nämlich, die keinen Schwanz und keine Backentaschen haben?«
Teresa, die bis soweit in stummer Verwunderung zugehört hatte, unterbrach plötzlich diesen Redefluß mit den Worten:
»Was für einen Unsinn schwatzt das Kind da? Ich möchte wissen, wie sich die Affen in diesem großen Gebäude amüsieren.«
Die wohlerzogene Maria ließ sich herab, ihr auch dies zu erklären.
»Sie haben Seile, an denen sie sich schwingen können, und die Besucher füttern sie durch die Gitter der Käfige. Ferner sind zu ihrem Zeitvertreib Baumäste angebracht, die ohne Zweifel viele von ihnen an die ungeheuren tropischen Wälder erinnern, in denen sie, wie uns die Reifenden berichten, herdenweise von Baum zu Baum wandern.«
Teresa erhob die Hand als Zeichen, daß sie innehalten möge. »Sie marschieren mit Siebenmeilenstiefeln, junges Fräulein. Erwägen Sie, was ich fassen kann, ehe Sie mich in solchem Tempo vollpfropfen.«
Maria war verwirrt, verlor aber noch nicht den Muth. »Verzeihen Sie«, wandte sie ein; »ich fürchte, ich verstehe Sie nicht recht.«
»Dann geht es Ihnen gerade so wie mir, entgegnete die Duenna rauh. »Ich verstehe Sie auch nicht. Ich für meine Person betrete dies Haus gewiß nicht. Man kann von keinem Christen erwarten, daß er sich um Bestien kümmert – aber was recht ist, ist recht, so lange die Welt steht. Wenn die Affen, wie ich gehört habe, widerliche Thiere sind, nicht einmal zum Essen gut genug, so ist das noch kein Grund, sie aus ihrer Heimath fortzuschleppen und in einen Käfig zu sperren. Sollen wir durchaus Geschöpfe in der Gefangenschaft sehen, dann mögen es solche sein, die es verdient haben – Spitzbuben und Dirnen. Die Affen haben es nicht verdient. Gehen Sie nur – ich werde solange an der Thür warten.«
Nach diesem mit bitterster Emphase vorgebrachten Proteste, dem Ausdruck einer tief wurzelnden, feindlichen Abneigung, die das Mitgefühl mit den eingesperrten Thieren nur als nächstliegendes Mittel ergriffen hatte, setzte sich die Alte triumphierend auf die nächste Bank.
Eine mit nur gewöhnlichen Kenntnissen ausgerüstete junge Dame hätte der alten Frau das Privilegium des letzten Wortes gelassen. Miß Minerva’s Schülerin aber, die gleichsam die Belehrung aus allen Poren schwitzte, war ja in einem Augenblicke wie durch ein eisiges Sturzbad erkältet worden. Hat doch selbst die größte irdische Vollkommenheit ihre schwachen Stellen, und Maria verlor die Geduld.
»Sie werden mir erlauben«, sagte sie, »Sie daran zu erinnern, daß der Wissenstrieb uns veranlaßt, die Gewohnheiten uns neuer Thiere zu studieren. Wir bringen sie in Käfige —«
Jetzt