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Herz und Wissen. Уилки КоллинзЧитать онлайн книгу.

Herz und Wissen - Уилки Коллинз


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bleiches Gesicht, so mager, herb und lang, nahm sich dem gegenüber aus, als ob es danach verlangte, stellenweise von einer discreten Hülle Verdeckt zu werden. Ihr grobes schwarzes Haar überragte wie ein Schutzdach die buschigen schwarzen Brauen und harten schwarzen Augen. »Die bekommt nie einen Mann«, so hieß es in den Domestikenräumen – »sie ist viel zu gelb und gelehrt, viel zu häßlich und arm.« Und doch, wenn das Geheimnißvolle wirklich interessant ist, so war sie ein interessantes Wesen. Die Leute, die mit ihr zu thun hatten, hatten die Empfindung von etwas Geheimnisvollem – etwas unheilverkündendem Geheimnißvollen in ihrer Natur, das jeder Entdeckung trotzte. Wäre die Wissenschaft im Stande, moralische Verderbtheit durch Analyse des Blutes zu entdecken oder die Willensfestigkeit zu seciren, so hätte Miß Minerva’s innere Natur vielleicht offenbart werden mögen; so aber enthüllte sich dem prüfenden Blicke nichts Auffälligeres als ein eigenthümlich reizbares Temperament, das möglichenfalls einer explosiven Kraft als Sicherheitsventil diente, die unter Umständen – wenn die Versuchung stark genug und die Gelegenheit günstig sein sollte – dennoch hervorbrechen mochte.

      »Sachte, Mr. Le Frank! Der Thee ist heiß und Sie möchten sich den Mund verbrennen. Wie soll ich Ihnen berichten, was geschehen ist?« Mit unendlichem Takte ließ Miß Minerva gerade im richtigen Momente den scherzhaft herausfordernden Ton fallen. »Denken Sie sich eben«, begann sie wieder, »eine Szene von der Bühne im Privatleben vorgehen. Die in Ihrem Concerte ohnmächtig Gewordene entpuppt sich als keine Geringere denn Mrs. Gallilee’s Nichte!«

      Der allgemeinen Thorheit, die nur einen günstigen Prospekt zu lesen braucht, um blindlings in Actien zu spekulieren, paart sich gleichförmig vertheilt die Beschränktheit, die nicht im Stande ist zu entdecken, daß zwischen Fiction und Wahrheit, sei es auf der Bühne oder draußen, irgend eine mögliche Beziehung existieren könne. Wie man ein Narr sein müßte, wenn man das, was in einer Zeitung steht, bezweifeln würde, so müßte man gleichfalls ein Narr sein, wenn man das, was in einer Novelle steht, glauben wollte. Mr. Le Frank folgte bei dieser Gelegenheit dem allgemeinen Beispiele etwas zu rückhaltlos, indem er wegen des eben Berichteten Zweifel aussprach, obgleich es sich dabei um etwas handelte, das nach dem Zeugnisse einer Dame ein Vorfall des wirklichen Lebens war. Weit entfernt indeß, dadurch verletzt zu sein, sympathisierte Miß Minerva herzlich mit ihm.

      »Ja, es ist wirklich zu theatralisch, um es zu glauben«, gab sie zu; »aber die junge iu Ohnmacht Gefallene ist thatsächlich mit der interessanten, aus Italien erwarteten Fremden eine und dieselbe Person. Sie kennen Mrs. Gallilee und wissen, wie sie ist – immer sympathetisch, für alle Nothfälle bereit. Sie hatte das erste Riechfläschchen zur Hand; sie war es, die die Geistesgegenwart besaß, die Ohnmächtige in eine horizontale Lage bringen zu lassen. »Man muß dem Herzen Luft machen«. sagte sie, damit die ganze Theorie der Ohnmachtsanfälle in sechs Worte zusammenfassend. Im nächsten Augenblicke, fuhr die Gouvernante fort, einen theatralischen Coup machend, ohne es zu wissen, »im nächsten Augenblicke bedurfte Mrs. Gallilee selbst des Riechfläschchens.«

      »Sie wollen doch nicht sagen, daß sie ohnmächtig geworden sei!« bemerkte Mr. Le Frank, der noch. immer nicht recht gläubig war.

      Miß Minerva hob den Zeigefinger, mit dem sie, wenn ihre Schülerinnen einer Aufmunterung bedurften, ihren Lectionen Nachdruck zu geben pflegte. »Mrs. Gallilee’s Seelenstärke widerstand dem Anfall wie ich Ihnen sagen wollte, als Sie mich unterbrachen, und Sie werden sofort verstehen, was sie das gekostet haben muß. Unsere interessante junge Dame war von einer abscheulichen alten Ausländerin begleitet, die vollständig den Kopf verlor, wie wahnsinnig die Hände rang und alle Heiligen anrief, was freilich nicht die geringste Wirkung hatte – dieselbe brachte aber einen Namen dazwischen, der selbst in Italien bemerkenswerth ist; und das war das Ernste bei der Sache. Versetzen Sie sich in Mrs. Gallilee’s Stelle —«

      »Wie vermöchte ich das!« unterbrach sie Mr. Le Frank bescheiden.

      Miß Minerva sah ihn mit einem momentanen Durchleuchten von Argwohn in den schwarzen Augen an. Es bestand das stillschweigende, keinerseits je offen anerkannte Uebereinkommen unter diesen beiden Unterweisern der Jugend, jedes mal, wenn sich das Gespräch um Mrs. Gallilee drehte, dieselbe ergebene Bewunderung zu bekunden, einerlei was sie in ihrer Privatmeinung wirklich von ihr halten mochten. Mit der Heiterkeit der Unschuld hielt Mr. Le Frank den forschen Blick Miß Minerva’s aus, die dann fortfuhr:

      »Der Taufname der jungen Dame – ich sagte Ihnen ja wohl, daß sie eine Italienerin sei – ist Carmina. Mrs. Gallilee schien ein Schlag zu treffen, als sie ihn hörte. Mit wundervollem Takte klärte sie die Alte auf und trat sofort in ihre Rechte als Mrs. Carmina’s Tante ein. »Ich bin Mrs. Gallilee«, war Alles, was sie sagte; und das Resultat« – Miß Minerva machte eine Pause und deutete nach der Decke – »das Resultat finden Sie dort oben. Als ich die Ehre hatte, unseren reizenden Gast zu sehen, lag sie auf dem Sopha und wurde von der abscheulichen Alten angefächelt. Nein, Mr. Le Frank, ich bin noch nicht zu Ende – ein Act dieses Dramas aus dem Privatleben bleibt noch zu berichten. Unter den Concertbesuchern befand sich ein Arzt, der sich beeilte, seine Dienste anzubieten, um die Ohnmächtige wieder in’s Leben zurückzurufen, er hat die interessante Patientin jetzt in Behandlung. Können Sie errathen, wer ist?«

      Mr. Le Frank, der bei dem Hausarzt der Familie ein Billet zu seinem Concerte untergebracht hatte, schien ein vorsichtiges Rathen nach dieser Richtung die meiste Aussicht auf Erfolg zu Versprechen.

      »Derselbe ist ein Verehrer der Musik«, begann er.

      »Im Gegentheil, ein Feind derselben«, warf die Gouvernante ein.

      »Ich meine den Hausarzt«, beharrte der Pianist.

      »Und ich meine« – Miß Minerva pausierte wieder – »ich meine Mr. Ovid Vere.«

      Es mag dahin gestellt sein, in welcher Form sich das Staunen des Musiklehrers bekundet haben würde, wenn nicht in demselben Augenblicke, als Miß Minerva ihn mit der Klimax ihres Berichtes überwältigte, ein kleiner rosiger älterer Herr mit rundem Gesichte, grauem Krauskopfe und süßem Lächeln in Begleitung zweier Mädchen in’s Zimmer gekommen wäre. Es waren unbedeutendere Personen – blos Mr. Gallilee und seine Töchter.

      »Wie geht’s Ihnen, Mr. Le Frank Hoffentlich hat Ihnen das Concert ein anständiges Sümmchen eingebracht. Sie werden entschuldigen, daß ich meine beiden Billets fortgegeben habe. Ich schlafe bei Musik immer ein, warum, weiß ich wirklich nicht. Da haben Sie Ihre Schülerinnen wohlbehalten wieder, Miß Minerva. Als das holde junge Wesen gebracht wurde, kam es mir vor, als ob wir nur im Wege ständen; das arme Ding bedurfte der Ruhe und nicht unser, und meine Frau und Ovid waren ja mit ihrer Gewandtheit und Aufmerksamkeit gerade am Platze. So setzte ich denn den Hut auf – ich bin immer nützlich, Mr. Le Frank; erfreue mich des großen Vortheils nie etwas zu thun zu haben – und sagte, »Kinder, wir wollen ausgehen«. Da wir kein bestimmtes Ziel hatten – das ist wieder ein Vortheil bei mir – so schlenderten wir umher und befanden uns, ganz ohne es beabsichtigt zu haben, in einer Conditorei. I, bei wem war es doch nur gleich?«

      So redete Mr. Gallilee in einer Stimme, die das seltsamste Gemisch von hohen und weichen Tönen war – ein weiches Falsetto hatte Mr. Le Frank sie einmal genannt – und als er jetzt innehielt, um sein Gedächtniß ein wenig anzustrengen benutzte seine älteste Tochter – sie war zwölf Jahr alt und suchte sich stets auszuzeichnen – die günstige Gelegenheit, den weiteren Bericht in die Hand zu nehmen. Miß Maria, so nach ihrer Mutter genannt, war eins der gelungenen Producte der Gegenwart – ein artiges Kind, das nie Schläge bekommen; sie hatte die großen runden Augen, wie wir sie auf Gemälden sehen, das holde Benehmen und die vollkommenen Grundsätze, von denen wir in Büchern lesen; nannte jeden »lieber« oder »liebe«; wußte ganz genau, wie viel Procent Sauerstoff die Luft, die sie athmete, enthalten mußte, und hatte sich – o, der Armen! – niemals die Schuhe naß gemacht oder das Gesicht beschmutzt.

      »Wir waren in Timbal’s Conditorei, liebe Miß Minerva«, sagte sie, »und haben dort Eis gegessen.«

      Da Mr. Gallilee so jedes weiteren Kopfzerbrechens wegen des Namens der Conditorei überhoben war, wandte er sich an seine jüngste Tochter – sie war zehn Jahre alt und eins der ungelungenen Producte der Gegenwart – ein seltsam langsames, schüchternes Kind; das Ebenbild des Vaters, jedoch ohne dessen Lächeln; unheilbar einfältig oder eigensinnig – die Freunde


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