Nicht aus noch ein. Уилки КоллинзЧитать онлайн книгу.
sie hätte die Entdeckung, die Sie jetzt gemacht haben, ein halbes Jahr vor ihrem Tode auch gemacht, glauben Sie, daß das die Jahre, die Sie mit ihr zusammen gewesen sind, ausgestrichen und die Zärtlichkeit verlöscht haben würde, welche einer für den andern in immer höherem Grade empfand, je länger das mit einander Verkehren dauerte?«
»Was ich darüber denke,« sagte Wilding sich einfach und fest an der nackten Thatsache haltend, »kann die Wahrheit eben sowenig ändern, als ich den Himmel herunter zu reißen vermag. Die Wahrheit ist, daß ich der Besitzer von irdischen Gütern bin, die einem Andern zugehören.«
»Er kann schon todt sein,« sagte Vendale.
»Er kann auch leben,« sagte Wilding. »Und wenn er lebt, habe ich ihn nicht unschuldiger weise – das gebe ich Ihnen zu, unschuldiger weise – um Vieles gebracht? Habe ich ihn nicht um die ganze glückliche Zeit, die ich an seiner Stelle verlebt habe, gebracht? Habe ich ihn nicht um die namenlose Freude gebracht, die meine Seele erfüllte, als die theure Frau« – er streckte seine Hand nach dem Bilde aus – »mir vertraute, daß sie meine Mutter sei? Habe ich ihn nicht um alle die Sorgfalt gebracht, die sie über mich ausgoß? Habe ich ihn nicht um alle Verehrung und alle Pflichten gebracht, die ich ihr mit Stolz weihte? Darum frage ich mich selbst und frage auch Sie, George Vendale, wo ist er? Was ist aus ihm geworden?«
»Wer kann es wissen!«
»Ich muß es versuchen, ihn ausfindig zu machen. Ich muß Nachforschungen anstellen. Ich darf nie ermüden und von solchen Nachforschungen abstehen. Ich will von den Interessen meines Antheils am Geschäft leben – ich sollte sagen von den seinigen – und alles Andere für ihn zurücklegen. Wenn ich ihn finde, kann ich mich seiner Großmuth unterwerfen; aber hingeben will ich ihm Alles. Ich will es, das schwöre ich, so wahr ich sie geliebt und geehrt habe,« sagte Wilding achtungsvoll die Hand, die er küßte, nach dem Bilde hinstreckend und dann sich mit derselben die Augen bedeckend. »So wahr ich sie geliebt und geehrt und eine Welt von Beweggründen habe, ihr dankbar zu sein.« Und damit brach er ab.
Der Compagnon erhob sich von dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte und stellte sich neben Wilding indem er seine Hand sanft auf dessen Schulter legte. »Walter, ich habe Sie schon früher als einen rechtlichen Mann mit reinem Gewissen und feinfühlendem Herzen gekannt. Ich schätze es für ein großes Glück, daß mir der Vorzug geworden ist, meine Arbeit mit seinem des Vertrauens so würdigen Mann gemeinsam zu verrichten. Ich bin dankbar dafür. Schalten Sie über mich, wie über Ihre rechte Hand und verlassen Sie sich auf mich bis in den Tod. Denken Sie nicht schlechter von mir, wenn ich Ihnen eingestehe, daß ich von einem unklaren Gefühl beherrscht werde, Sie mögen es vielleicht ein unvernünftiges nennen. Ich habe viel mehr Theilnahme für die Dame und für Sie, der Sie nicht zu derselben in vorausgesetzter verwandtschaftlicher Beziehung stehen, als ich für den unbekannten Mann empfinde (wenn er überhaupt zum Mann herangewachsen ist), der ohne es zu wissen, seiner Stelle entsetzt wurde. Sie haben recht gethan, nach Mr. Bintrey zu schicken. Meine Meinung wird theilweise, ja ich bin davon überzeugt, vollständig die seinige sein. Thun Sie in diesem ernsten Geschäft keinen übereilten Schritt. Das Geheimniß muß ängstlich von uns bewahrt werden, denn es leichtsinnig verbreiten hieße soviel, als betrügerische Ansprüche aufmuntern, einem Schwarm Von Schelmen das Thor öffnen und die Losung zu falschen Eiden und Complotten geben. Ich habe für jetzt nichts weiter zu sagen, Walten als Sie zu erinnern, das sich darum hauptsächlich Antheil an dem Geschäft genommen habe, um Sie von einer Last der Arbeit zu befreien, der ihr jetziger Gesundheitszustand nicht gewachsen ist, daß ich Ihr Compagnon geworden bin, um zu arbeiten und daß ich Letzteres gesonnen bin zu thun«
Mit diesen Worten klopfte er seinem Gefährten in einer Weise auf die Schulter, die seiner Rede den besten Nachdruck gab und verließ ihn. George Vendale begab sich in das Comptoir und suchte später M. Jüles Obenreizer auf.
Als er in Sohosquare einbog und seine Schritte nach der Nordseite hinrichtete, schoß eine dunkle Röthe in sein sonnengebräuntes Antlitz, welche Wilding wenn er ein besserer Beobachter, oder weniger mit seinen eignen Sorgen beschäftigt gewesen wäre, auch bemerkt haben müßte, als sein Compagnon eine gewisse Stelle in dem Brief ihres Schweizer Correspondenten las, die ihm gefiel, nicht so deutlich als das Uebrige auszusprechen.
Eine Colonie von Bergbewohnern hat sich lange in dem schmalen kleinen Stadttheil Londons Soho eingeschlossen. Schweizer Uhrmacher, Schweizer Schmelzarbeiter, Schweizer Juweliere, Schweizer Verkäufer von Instrumentenkasten und von Schweizer Spielsachen der verschiedensten Art wohnten hier dicht neben einander. Schweizer Professoren der Musik, der Malerei und fremder Sprachen, Schweizer Stickereien, Schweizer Botengänger und andere Schweizer Dienstboten, die nie zu Hause waren; betriebsame Schweizer Wäscherinnen und Stärkerinnen, geheimnißvolle Schweizer Einwohner beiderlei Geschlechts; Schweizer von gutem Ruf und Schweizer von schlechtem Ruf; Schweizer, die das höchste Vertrauen verdienen und Schweizer, die bei Leibe kein Vertrauen verdienen; alle diese verschiedenen Schweizer Bestandtheile vereinigen sich zu einem Mittelpunkt in dem Stadttheil Soho. Schäbige Schweizer Speisehäuser, Kaffeehäuser und Wirthshäuser, Schweizer Getränke und Speisen, Schweizer Gottesdienst für den Sonntag und Schweizer Schulen für die Wochentage sind alles hier zu haben. Selbst die einheimischen Englischen Wirthshäuser kehren eine Art von Wesen nach außen, das wie geradebrechtes Englisch aussieht: Sie kündigen an ihren Fenstern Schweizer Liqueur und Branntwein an und dulden hinter ihrem Schenktisch manchen Abend im Jahr Schweizer Liebeleien und Schweizer Schlägereien.
Als der neue Theilhaber von Wilding und Co. an einer Thür, welche auf messingnem Schild die kurze Inschrift Obenreizer aufwies, die Glocke zog, – es war die Thür eines soliden Hauses, in dessen unterem Stockwerk sich eine Schweizer Uhren-Niederlage befand, – sah er sich auf einmal von einer vollständig Schweizerisch eingerichteten Häuslichkeit umgeben. Ein großer für den Winter errichteter Ofen aus weißen Kacheln nahm die Feuerstelle in dem Zimmer ein, in welches man ihn zu treten bat. Der unbedeckte Fußboden war mit einem niedlichen Muster ausgelegt, zu dem verschiedene Holzarten angewendet worden. Der Raum trug vorherrschend das Gepräge des Kahlen, viel gescheuerten und das kleine geblümte Teppichviereck vor dem Sopha, wie das mit Sammet überkleidete Kaminbrett mit seiner gewaltigen Uhr und seinen Vasen voller künstlicher Blumen, stimmten mit dem herrschenden Geschmack überein. Es machte den Eindruck, als ob – schildern wir kurz die Wirkung, die das Ganze ausübte – als ob ein Pariser eine Milchkammer zur Wohnstube umgestaltet hätte. Unter dem Zifferblatt der Uhr floß künstlich nachgemachtes Wasser über ein Mühlrad. Der Eingetretene hatte noch nicht eine volle Minute davorgestanden, um den Fall desselben mit seinen Augen zu folgen, als Mr. Obenreizer ihn an den Ellenbogen anstieß und in sehr gutem, sehr geschickt gekürztem Englisch sagte: »Wie geht es »Ihnen? Sehr erfreut!«
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