Familie Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Im selben Moment tauchte sein Vater hinter ihm auf.
Daniel Norden hatte keine Chance. Das Geschoss traf ihn mitten auf die Nase. Er stieß einen ärgerlichen Ruf aus. Vor Schreck schlug Janine die Hand auf den Mund.
»Tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid«, rief sie und sprang vom Stuhl auf, um ihrem Chef zu Hilfe zu eilen. Gleich darauf stellte sie erleichtert fest, dass nichts passiert war.
»Im nächsten Leben sollten sie Basketball-Profi werden«, empfahl er ihr. »Oder Rugby. Ihre Wurfkraft scheint enorm zu sein.«
»Hat was mit Stressabbau zu tun«, erklärte sie und kehrte an den Schreibtisch zurück. »Hier geht’s drunter und drüber.«
Erst jetzt dachte Daniel Norden wieder an die Aushilfe, die er bei Dr. Behnisch angefordert hatte.
»Wollte Jenny nicht eine Assistentin schicken?«, erkundigte sich.
»Die hustet wie ein ganzer Kindergarten. Da hab ich dankend auf Hilfe verzichtet.«
»Ich würde Ihnen ja gern Urlaub versprechen, wenn Wendy wieder da ist. Aber dann kommen wir vom Regen in die Traufe«, dachte Dr. Norden laut über einen Ausgleich nach.
Doch Janine winkte ab.
»Schon in Ordnung. Solange ich Sie ab und zu mit Papierbällen bewerfen darf …«
Sie zwinkerte ihm zu und beugte sich wieder über ihre Arbeit.
Daniel lachte kurz auf. Doch die Freude erreichte seine Augen nicht. So beschloss Danny, ihn zur Rede zu stellen.
»Hast du mal einen Augenblick Zeit?« Er winkte ihn mit sich ins Zimmer und schloss die Tür hinter ihm.
»Was gibt’s?«, erkundigte sich der Senior. »Eine unklare Diagnose? Ein schwieriger Patient?«
»Ein ungewöhnlich stiller Vater«, erklärte Danny grinsend.
»Na, hör mal. Das klingt ja, als wäre ich sonst ein Plappermaul.« Der Versuch, mit einem Scherz von seiner Stimmung abzulenken, scheiterte gründlich.
»Dad!« Danny zog eine Augenbraue hoch. »Mir kannst du nichts vormachen.«
Daniel setzte sich auf die Tischkante und verschlang die Finger ineinander. Er dachte kurz nach.
»Eigentlich gehört es sich nicht, dass ein Vater mit seinem Sohn über solche Themen spricht.« Es war ein letzter Versuch, dem Geständnis zu entgehen.
Er misslang.
»Dann bin ich halt jetzt nicht dein Sohn, sondern dein Vertrauter und Partner.«
Seufzend gab sich der Senior geschlagen.
»Also schön. Es geht um deine Mutter«, gestand er zögernd. »Seit Felix‘ Unfall und dieser unglaublich schweren Zeit haben wir uns voneinander entfernt. Manchmal weiß ich einfach nicht mehr, woran ich bei ihr bin.«
Dieses Geständnis überraschte Danny dann doch ziemlich.
»Wie kommst du denn auf so eine Idee?« Fast musste er lachen. »War das nicht früher genau umgekehrt?«
»Stimmt.« Daniel schnitt eine Grimasse. Er erinnerte sich gut an die Zeiten, in denen ihm die Frauen nachgestiegen waren und Fee kaum eine ruhige Minute gehabt hatte. Ein ganzes Leben schien seither vergangen zu sein, die Karten waren neu gemischt. Als er daran dachte, verging ihm das Lachen. »Na ja, zum einen ist da dieser neue Kollege … Götz Grabmann heißt er. Seit er in der Klinik ist, macht sie sich jeden Morgen besonders hübsch …«
Danny schickte seinem Vater einen ungläubigen Blick.
»Nicht dein Ernst, oder?«
»Was?«
»Deshalb machst du dir Sorgen? Da hätte ich bei Tatjana keine ruhige Minute mehr, so viele Männer, wie sie bei der Arbeit trifft.«
»Ist ja schon gut.« Ärgerlich winkte Daniel ab. »Das ist noch nicht alles. Matthias hat mich heute früh in die Klinik zu einem Patienten gerufen. Dabei hat er mir von Eugen Körber erzählt. Er ist ein Jugendfreund eurer Mutter. Sie hat ihn auf der Trauerfeier gestern wiedergesehen. Nachdem er mit einer Bauchfellentzündung zusammengebrochen ist, hat sie dafür gesorgt, dass er in die Klinik gebracht wird.«
»Ja und?« Danny verstand das Problem nicht.
»Obwohl sie darauf bestanden hat, bei der Operation zu assistieren, hat sie mir am Abend kein Wort davon erzählt.« Daniel hielt inne und musterte seinen Sohn forschend. »Findest du das nicht merkwürdig?«
Nachdenklich wiegte der Junior den Kopf, als das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte und ihn ablenkte.
»Janine, was gibt’s?«, fragte er nach einem Blick auf die Nummer in den Hörer.
»Noah ist hier. Er will mit dem Senior sprechen.«
»Oh.« Danny sah zu seinem Vater hinüber und zog eine Augenbraue hoch. »Aufstand der Frauen im Hause Norden?!?«
Janine lachte.
»Vielleicht haben sie ja allen Grund dazu.«
»Was soll denn das …«, wollte Danny einen scherzhaften Streit vom Zaun brechen, als er die Geste seines Vaters bemerkte. Ganz folgsamer Sohn kam er dem stummen Wunsch nach. »Schicken sie ihn rein.«
*
Als Tatjana Bohde gegen Mittag in den Kiosk kam, wunderte sie sich nicht schlecht. Wie immer summte und brummte es im Geschäft wie in einem Bienenstock. An der Theke hatte sich eine lange Schlange gebildet. Einen Moment stand sie still und ließ die Stimmung auf sich wirken, nahm jede Schwingung auf, die ihr zuflog.
»Du liebe Zeit, was ist denn hier los? Und wo steckt Lenni?« Auch diesmal ließ sie ihre Sensibilität nicht im Stich.
Oskar reichte dem Kunden das Wechselgeld und schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln, ehe er Tatjanas Frage beantwortete.
»Zu Hause, im Bett.«
Tatjana erschrak.
»Ist sie krank?«
»Müde«, erwiderte er und wandte sich an den nächsten Kunden. »Einen Augenblick bitte. Ich muss schnell kassieren.« Er war schon auf dem Sprung nach draußen, als Tatjana ihn davon abhielt.
»Das übernehme ich.« Kurzerhand nahm sie ihm die Kellnerbörse ab und ging hinaus in den Garten. Routiniert übernahm sie die Bedienung der Gäste, nahm Bestellungen auf, kassierte ab und brachte Speisen und Getränke nach draußen. Zu zweit gelang es ihnen, das Chaos zu bändigen. Der Strom der Besucher ebbte ab, und ein wenig Ruhe kehrte ein.
»Jetzt erzähl doch mal. Warum ist Lenni nicht gekommen?«, wollte sie von Oskar wissen, als sie gemeinsam an einem der Tische unter Palmen saßen.
Er zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Ehrlich? Ich hab keine Ahnung.« Er zuckte mit den Schultern und steckte das Tuch wieder ein. »Zuerst hat sie sich bei mir beschwert, dass ich ihr nicht helfen will. Jetzt interessiere ich mich fürs Geschäft und bringe Ideen ein, und dann mache ich plötzlich zu viel Arbeit«, seufzte er aus tiefstem Herzen. »Egal, was ich tue, ich kann’s ihr einfach nicht recht machen.«
Tatjana hatte aufmerksam zugehört. Die Schilderung überraschte sie nicht.
»Wahrscheinlich hat sich die liebe Lenni selbst überschätzt mit der vielen Arbeit im Kiosk, kann es aber weder vor sich noch vor dir eingestehen. Und dass du das alles auch noch spielend wegsteckst, ärgert sie doppelt.«
»Aber das tu ich doch gar nicht«, stöhnte Oskar verzweifelt. »Du hast ja gesehen, was heute hier los war. Am liebsten würde ich sechs Wochen in Urlaub gehen.«
Tatjana lachte belustigt auf.
»Ihr zwei seid mir schon solche Herzchen.« Schnuppernd hob sie die Nase. »Ich lass mir was einfallen!«, versprach sie noch, ehe sie sich suchend umsah. Das Parfum, das ihr um die Nase wehte, kam ihr sehr bekannt