Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
verblasst und würden schon bald nicht mehr zu sehen sein. Wie die Werte, die Melina Keinath einmal ausgemacht hatten.
»Haben Sie Ihren Mann aus Liebe geheiratet?«, fragte Daniel Norden nach einer Weile.
Melina nickte.
»Ja«, sagte sie leise.
»Was ist aus dieser Liebe geworden? Auch sie war doch einmal ein Wert in Ihrem Leben.«
Sie biss sich auf die Unterlippe und starrte unverwandt auf ihre Hände. Als Dr. Norden schon dachte, keine Antwort mehr zu bekommen, hob sie endlich den Kopf. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Die strenge Anspannung war daraus verschwunden und hatte einer riesigen Erschöpfung und Trauer Platz gemacht.
»Unsere Liebe hat sich verändert. Wie so vieles im Leben. Aber sie ist immer noch da.« Sie seufzte tief und gab sich plötzlich einen Ruck. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen? Ich habe schon zu viel Zeit verloren.« Melina war aufgestanden.
In ihrem Lächeln stand deutlich die Dankbarkeit geschrieben, die sie für den Arzt empfand, der ihr so nachdrücklich ins Gewissen geredet hatte. Doch über ihre Lippen kam kein weiteres Worte. Noch nicht. Zuerst musste sie mit ihrem Mann sprechen.
*
Der Abend war herrlich und nach getaner Arbeit beschloss Danny spontan, seine Freundin Tatjana zu einem Spaziergang im Englischen Garten einzuladen.
»Das ist ja eine nette Idee!«, lobte sie ihn, als er vor der Universität, wo sie Orientalistik studierte, auf sie wartete. »Ich kenne da ein nettes, kleines Bistro am Eingang zum Englischen Garten. Dort gibt es ganz besondere italienische Brote, die mit lauter leckeren Sachen belegt sind. Getrocknete Tomaten, Thunfischaufstrich, Mozzarella und Rucola«, geriet sie unversehens ins Schwärmen. »Und dann erst die Kuchen und Torten. Die musst du sehen! Wagenradgroße Heidelbeer- und Mohnkuchen. Das ist fantastisch.« Seit Tatjana während einer Operation Netzhautchips eingesetzt worden waren, konnte sie die Köstlichkeiten zwar nicht klar und deutlich sehen, ihr Aussehen aber doch erahnen, was natürlich besonders verführerisch war. »Mal abgesehen von der witzigen Einrichtung, die kunterbunt durcheinandergemixt ist. Indische Sessel stehen neben Nierentischen, altmodische Kronleuchter scheinen mit ultramodernen Stehlampen um die Wette.«
Mit einem Herzen voller Zärtlichkeit lauschte Danny den lebhaften Worten seiner Freundin. Ihre Begeisterung über die zurückgewonnenen Fähigkeiten machten ihm fast genauso viele Freude wie ihr.
»Die Einrichtung ist doch nur ein Vorwand«, neckte er sie schelmisch. »Aber ich kenne dich inzwischen und weiß, dass du immer nur ans Essen denkst.« Dabei stupste er sie in die schlanke, durchtrainierte Körpermitte.
»Aus dir spricht nur der Neid«, konterte sie frech. »Im Gegensatz zu dir kann ich es mir nämlich auch leisten.«
Sie quietschte erschrocken auf, als er sie packte und übermütig kitzelte, bevor er sie an sich zog und leidenschaftlich küsste. An seinen Lippen lächelnd erwiderte Tatjana seinen Kuss, ehe sie Hand in Hand weiterschlenderten.
Die Verliebtheit umgab sie wie eine strahlende Aura, die auch den anderen Fußgängern nicht verborgen blieb. Fast jeder drehte sich nach dem glücklichen Paar um und wünschte sich, Teil dieses geheimen Pakts zu sein.
»Möchtest du dir den Bauch gleich vollschlagen oder erst spazieren gehen?«, fragte Danny, als sie an Tatjanas Lieblingscafé vorbeikamen.
»Lass uns das schöne Wetter ausnutzen«, siegte nach kurzer Überlegung ihre Liebe zur Bewegung und Natur, und übermütig lachend zog sie Danny weiter.
»Wie ist es dir heute ergangen?«, fragte sie, als sie Hand in Hand an der Isar entlangschlenderten, die sich wie eine große Ader durch den Parkt zog.
»Gut. Die Arbeit mit meinem Vater ist hochinteressant. Unsere Gespräche haben eine völlig neue Qualität bekommen.«
»Seid ihr immer einer Meinung?«
»Natürlich nicht. Schließlich komme ich frisch vom Studium und habe viele Dinge anders gelernt. Das ist für Dad genauso neu wie manche seiner Therapieansätze für mich. Nicht alles, was neu ist, ist gut.«
»Und nicht alles Alte muss auf Teufel komm raus bewahrt werden«, lächelte Tatjana. »Es freut mich wirklich, dass es so gut läuft für euch.«
Der Fluss neben ihnen murmelte leise. Ein paar Enten ließen sich in der Strömung treiben und schaukelten auf den Wellen. Kinder spielten am Ufer und warfen Steine ins Wasser, die gurgelnd und Kreise ziehend in der graublauen Tiefe versanken.
»An sich kann ich mich wirklich nicht beschweren«, erwiderte Danny, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander hergewandert waren.
Sein nachdenklicher Tonfall ließ Tatjana hellhörig werden.
»Aber?«
Danny seufzte leise. Er hatte darüber nachgedacht, ob er seiner Freundin von Victoria Bernhardt erzählen sollte und sich schließlich dafür entschieden. Da sie offenbar von Tatjana wusste, war es besser, sie einzuweihen und auf mögliche Attacken aus dieser Richtung vorzubereiten. So erzählte er seiner Freundin vom Besuch der schönen Jungunternehmerin.
»Oh, da scheint ja jemand schwer verliebt zu sein«, konstatierte Tatjana sachlich.
»Das hat mit Liebe nichts zu tun«, widersprach Danny. »Ich glaube, Victoria hat sich in eine fixe Idee verrannt und benimmt sich überdies wie ein verwöhntes Kind, das es gewohnt ist, alles zu bekommen, was es sich einbildet.«
»Und es sich nötigenfalls kauft«, gab Tatjana zu bedenken und bückte sich nach einem Ball, der ihr vor die Füße gerollt war.
Sie lächelte das Kind, das gekommen war, um ihn wieder zu holen, freundlich an.
Danny beobachtete Tatjana dabei. Trotz ihrer Behinderung strahlte ihr Gesicht eine solche Liebenswürdigkeit aus, dass sein Herz warm wurde vor Zärtlichkeit. Was für eine starke Persönlichkeit sie doch ist!, dachte er bei sich und er schätzte sich glücklich, dass sie ihn ausgewählt hatte, um sie ein Stück auf ihrem Lebensweg zu begleiten. Doch was sie dann zu ihm sagte, erschreckte ihn.
»Sie glaubt, dich zu lieben und wird alles dransetzen, dich zu bekommen. Und sag bloß nicht, dass dir das nicht klar ist!« Tatjana sah ihren Freund herausfordernd an. »Wenn es nicht ernst wäre, hättest du mir nicht davon erzählt.«
Sie hatte in allem Recht, was sie sagte. Danny blieb stehen und zog Tatjana an sich. Er sah ihr in die ungewöhnlichen, dunkelblauen Augen, tief wie zwei Seen.
»Dummerweise hat sie das Pech, dass ich dich liebe«, raunte er ihr zu und beugte sich vor, um sie zu küssen.
Zu seinem Erstaunen wich sie seinem Kuss aus.
»Nichtsdestotrotz ist ihr Angebot sehr großzügig. Offenbar hat sie dich wirklich in ihr Herz geschlossen.« Misstrauisch suchten Tatjanas fast blinde Augen in seinem Gesicht nach der Wahrheit, während ihre Gedanken weiterwanderten. »Wenn du ganz ehrlich bist zu dir selbst …, findest du dieses Angebot nicht doch ein klein wenig reizvoll? Eine eigene Praxis …, mal abgesehen davon, dass Victoria offenbar eine schöne, erfolgreiche Frau ist, mit der sich ein Mann sehen lassen kann.«
Empört schüttelte Danny den Kopf.
»Denkst du wirklich, ich bin käuflich?«, fragte er scharf.
»Sei ehrlich!« Eine von Tatjanas herausragenden Eigenschaften war ihre Beharrlichkeit.
Die stellte sie an diesem Tag wieder einmal unter Beweis.
Seufzend fügte sich Danny diesem Gespräch.
»Natürlich gefällt mir der Gedanke, eines Tages eine eigene Praxis zu haben«, räumte er ein, während sie weiter über den gekiesten Weg schlenderten. »Aber ich wäre nicht halb so stolz darauf, als wenn ich sie mir selbst erarbeitet, mir meine Sporen selbst verdient hätte. Nein, der Preis ist mir zu hoch. Ich bin nicht käuflich!«
Unversehens hatte sich die Runde wieder geschlossen und sie standen wieder vor dem kleinen Café, an dem sie ihren Spaziergang begonnen