Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Daniel seufzte in gespielter Enttäuschung, ehe der Schalk aus seinem Gesicht verschwand. »Aber Spaß beiseite. Ich dachte, du hast dich die ganze Zeit nach jemandem gesehnt, der dir mit Rat und Tat zur Seite steht.« Zu gut erinnerte er sich an die Telefonate, die er vom Orient aus mit seinem Sohn geführt hatte.
Immer wieder waren Fragen zu Behandlungsmethoden oder nicht eindeutig zu stellenden Diagnosen aufgetaucht, und Dr. Norden hatte versucht, seinem ganz auf sich allein gestellten Sohn aus der Ferne so gut es ging zu helfen.
»Das war ja auch so«, räumte Danny bereitwillig ein. »Trotzdem bin ich mir nicht sicher, wie es sich anfühlt, wenn wir beide gemeinsam unter einem Dach arbeiten. Das ist völliges Neuland für uns beide.«
»Wenn du willst, können wir ja tauschen«, ertönte in diesem Augenblick Annekas Stimme aus dem Hintergrund.
Sie hatte das Esszimmer eben in Begleitung der Zwillinge Jan und Dési betreten und die letzten Worte ihres großen Bruders aufgeschnappt. »Dann kannst du für mich in die Schule gehen und meine Mathearbeit schreiben«, bot sie Danny großzügig an.
»Und ich dachte schon, du hättest so große Sehnsucht danach, bei mir zu sein«, scherzte Daniel gut gelaunt.
Nach der langen Abwesenheit genoss er es unendlich, wieder zu Hause zu sein und mit seiner ganzen Familie am Tisch zu sitzen.
Sofort schlang Anneka die Arme um seinen Hals.
»Du weißt doch, wie gerne ich mit dir zusammen bin, Papilein«, versicherte sie schmeichelnd wie ein Kätzchen und schlüpfte auf den Stuhl neben ihm.
Gleich darauf gesellten sich auch noch Fee und Felix zum Rest der Familie an den Tisch. Die Haare des zweitältesten Sohnes der Nordens waren verstrubbelt, und der junge Mann sichtlich unausgeschlafen.
»Wie immer der Letzte!«, monierte Anneka erbarmungslos.
Jetzt, wo die Eltern aus dem Orient zurück waren, konnte das Geschwisterpaar die vornehme Zurückhaltung aufgeben und zu den scherzhaften Fehden zurückkehren, die sie nur allzu gerne austrugen.
Doch Felix war noch nicht in Form, um entsprechend zu parieren.
»Stimmt ja gar nicht«, gähnte er und ließ sich auf den letzten freien Stuhl am Tisch fallen. »Gestern hat Danny am längsten geschlafen.«
»Das zählt nicht. Gestern war Sonntag«, erwiderte der junge Arzt und schenkte Mutter und Bruder Kaffee ein.
Unter ausgelassener Heiterkeit nahm das Frühstück seinen Lauf, ehe der allgemeine Aufbruch kam. Dr. Daniel Norden ließ seiner lärmenden, hektischen Kinderschar den Vortritt und schickte Danny schon mal voraus in die Praxis.
»Ich schau noch schnell bei Jenny in der Klinik vorbei«, setzte er Danny die Umstände auseinander. »Einer ihrer Rettungswagen ist offenbar verunglückt. Ich möchte in Erfahrung bringen, wie es dazu kommen konnte und ob etwas passiert ist.«
»Kein Problem«, stimmte Danny zu und war froh, dem väterlichen prüfenden Auge noch eine Weile zu entkommen. »Lass dir nur Zeit!« Mit einem Wangenkuss verabschiedete er sich von seiner Mutter und winkte seinem Vater zum Abschied.
Daniel hingegen ließ sich Zeit. Bevor er in seinen Alltag eintauchte, wollte er sich noch ein paar ruhige Minuten mit seiner Frau gönnen.
»Wie sind deine Pläne für heute?«, erkundigte er sich, als endlich Ruhe eingekehrt war.
Fee trank einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht.
»Kalt!«, stellte sie angewidert fest und stellte die Tasse zurück auf den Tisch. »Ich werde mal ins Arbeitszimmer gehen und nach dem Rechten sehen. Mich ein bisschen orientieren und mich wieder an den Alltag gewöhnen«, gab sie zu und zupfte gedankenverloren an einem Faden, der von der Stoffserviette neben ihrem Teller weg stand. »Ein paar Telefonate führen. Solche Sachen.«
»Was ist? Dir liegt doch etwas auf dem Herzen.« Daniel Norden kannte seine Frau gut genug, um ihren Gesichtsausdruck richtig zu deuten.
Fee schickte ihm einen langen versonnenen Blick.
»Es gibt in der Tat etwas, worüber ich nachdenke, seit wir aus dem Orient zurück sind«, gestand sie zurückhaltend, als sei sie selbst noch nicht ganz sicher.
»Willst du mit mir darüber sprechen?«, fragte Daniel und sah beiläufig auf die Uhr.
Viel Zeit hatte er nicht mehr. Das Programm des Vormittags war dicht gedrängt.
Und auch Fee verstand ohne Worte.
»Am besten, wir verschieben dieses Gespräch auf heute Abend, wenn wir Zeit haben«, machte sie einen Vorschlag, der Daniel einerseits ganz recht war. Andererseits machte er sich Gedanken.
»Wenn es dringend ist, nehme ich mir gerne jetzt die Zeit.«
Doch Felicitas winkte ab und stand auf, um die Teller zusammenzustellen.
»Es geht nur um ein paar Gedanken, die ich mir wegen meiner beruflichen Zukunft mache. Das ist weder besorgniserregend noch besonders eilig«, beruhigte sie ihren Mann lächelnd und begleitete ihn zur Tür.
»Dann muss ich mir also keine Sorgen machen?«, fragte Daniel vorsichtshalber noch einmal nach.
»Natürlich nicht«, versicherte Fee liebevoll. »Und bestell Jenny schöne Grüße von mir.«
»Sehr gerne.« Daniel küsste seine Frau zum Abschied.
Fürsorglich zupfte sie ihm einen Fussel von der Schulter und sah ihm nach, wie er den Gartenweg hinunterging.
Noch bevor er mit seinem Wagen die Ausfahrt hinuntergefahren war, war sie wieder im Haus verschwunden.
*
Auch Danny Norden machte sich nicht auf den direkten Weg in die Praxis, sondern gönnte sich einen kleinen Umweg über die Bäckerei Bärwald. Das hatte zwei Gründe: Der eine waren die besten Rosinenschnecken der ganzen Stadt. Und der andere hieß Tatjana Bohde.
»Tatjana, Besuch für dich!«, rief die Chefin Frau Bärwald schon, kaum dass Danny die schlichte Bäckerei mit dem angrenzenden Café betreten hatte. »Der junge Doktor ist da!« Vom ersten Augenblick an hatte die rundliche Frau einen Narren an dem freundlichen, charismatischen Mann gefressen und machte keinen Hehl aus ihrer Sympathie. »Wie geht es Ihnen, mein Lieber?«
»Wenn ich Sie sehe, geht die Sonne auf«, flirtete Danny übermütig zurück.
Frau Bärwald hätte seine Mutter sein können und wusste, wie diese Worte gemeint waren.
»Glauben Sie ja nicht, dass Sie deshalb die Rosinenschnecken billiger bekommen.« Sie zwinkerte ihm zu und packte fünf statt der üblichen vier Gebäckstücke in eine Papiertüte, als Tatjana durch den Vorhang trat, der die kleine Küche von der Bäckerei trennte.
Seit einem Unfall vor ein paar Jahren war die junge Frau blind. Mit beispiellosem Mut hatte sie ihr schweres Schicksal gemeistert. Sie studierte und bediente trotz ihrer Behinderung nebenbei im Café Bärwald. Mit ihren feinen Antennen und ihrer burschikosen, unerschrockenen Art hatte sie Danny in ihren Bann gezogen, als sie nach einem Sturz zu ihm in die Praxis gekommen war.
»Sie können mir nichts vormachen.« Tatjanas kecker Blick ruhte auf ihrer Chefin. »Dank Danny kann ich seit der Operation zumindest Umrisse erkennen. Aber ich hätte auch so gewusst, dass Sie ihm Mengenrabatt gegeben haben«, sagte sie Frau Bärwald auf den Kopf zu.
Die Bäckermeisterin errötete zart und lächelte.
»Sei nicht so streng mit einer alten Frau.« Sie reichte Danny die Tüte über den Tresen. »Immerhin bekomme ich nicht mehr halb so viele Komplimente wie du.«
»Na schön. Dann will ich mal nicht so sein«, lenkte Tatjana gut gelaunt ein. Es machte ihr nichts aus, dass sie von den Gästen des Cafés neugierig beobachtet wurde und ging auf Danny zu. »Hallo, Onkel Doktor«, neckte sie ihn zärtlich.
Ein besonderes Leuchten lag auf ihrem Gesicht, als sie die Hand mit den langen schlanken Fingern auf seine Wange legte