Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
ihr Mitgefühl.
»Weil ich müde und durstig bin.«
»Dann gehen Sie in ein Hotel.« Ihre Stimme hatte alle Härte verloren und war wenig überzeugend.
Wendy wollte Edgar von Platen nicht einlassen und merkte doch unwillig, wie sie einen Schritt zurücktrat und die Tür ein Stück weiter öffnete. Während sie noch mit sich haderte, ergriff Edgar schon die günstige Gelegenheit und schob sich an ihr vorbei in den Flur. Unbekümmert spazierte er durch ihr Reich.
»Hmm, Sie haben Suppe gekocht.« Er war in der Küche angekommen und warf einen Blick in den halbvollen Topf. »Wenn ich mit Ihnen essen darf, beseitige ich danach das Chaos.« Er schickte einen vielsagenden Blick auf die rot getupften Fliesen hinter dem Herd, das gesprenkelte Ceranfeld.
Wendy haderte mit sich. Sie ahnte, dass er wieder einmal pleite war.
»Also schön«, gab sie sich seufzend geschlagen. »Aber nach dem Essen gehen Sie wieder.«
»Versprochen!« Edgar strahlte siegessicher und machte sich sofort daran, den Tisch zu decken.
Er war ein paarmal in dieser Wohnung gewesen und hatte sich alles gemerkt, wie Wendy erstaunt und durchaus angetan feststellte.
Als sie gemeinsam am Tisch saßen, eine Flasche Wein und den Brotkorb zwischen sich, und die Suppe löffelten, erzählte Edgar von Platen ausschweifend und wortreich von seinen atemberaubenden Geschäftserfolgen der jüngsten Vergangenheit.
Erschöpft vom anstrengenden Arbeitstag hörte Wendy kaum zu. Seine Geschichten interessierten sie nicht, solange sie nicht ihr Geld zurückbekam. Das wäre frühestens dann der Fall, wenn das Geschäft in München ein Erfolg wurde.
Endlich war Edgar satt und lehnte sich zufrieden zurück, das Glas Wein in der Rechten. Er musterte Wendy eingehend.
»So eine schöne Frau«, murmelte er sinnend. »Ich wünschte wirklich, Sie würden mir eine zweite Chance geben.« Ein verlangender Ausdruck trat in seine Augen. »Hat die nicht jeder verdient?«
Urplötzlich bekam es Wendy mit der Angst zu tun. Auf keinen Fall sollte er sich neue Hoffnungen machen. Doch wie sollte sie ihm das auf wirkungsvolle und nachhaltige Art und Weise klarmachen?
Das Gesicht von Dr. Alexander Gutbrodt tauchte vor ihrem geistigen Auge auf. Und plötzlich hatte sie eine Idee.
»Es tut mir leid, aber Sie kommen zu spät«, erklärte sie kühl und tupfte mit der Serviette unsichtbare Suppenspuren aus den Mundwinkeln. »Mein Herz ist inzwischen vergeben.«
Doch auch diese Nachricht schien Edgar von Platen nur kurz zu beeindrucken.
»Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben«, brachte er unbekümmert ein weiteres Zitat an und bemühte sich noch nicht einmal, sonderlich enttäuscht zu wirken. »Wer ist denn der Glückliche?«
Wendy lächelte schadenfroh. Jetzt wollte sie es ihm erst recht heimzahlen.
»Ein Prüfer. Dr. Alexander Gutbrodt«, beantwortete sie seine Frage mit Genugtuung. »Er deckt Missstände auf und beseitigt sie. Und zieht natürlich die Menschen zur Rechenschaft, die dafür verantwortlich sind.« Mit voller Absicht drückte sich Wendy etwas vage aus. »Ich bin ganz sicher, dass er durch seine Arbeit gute Kontakte zur Polizei hat«, fügte sie aufs Geradewohl hinzu.
Die erhoffte Wirkung blieb nicht aus.
»Zur Polizei? Ist das Ihr Ernst?«, fragte Edgar heiser.
Er war blass geworden, und die hektischen roten Flecken, die plötzlich auf seinen Wangen tanzten, erinnerten Wendy an die Flecken auf den weißen Fliesen. »Und das macht Ihnen nichts aus?«
»Natürlich nicht. Warum auch? Schließlich habe ich nichts zu verbergen.« Ihre Augen wurden schmal. »Aber Ihrem Aussehen nach zu schließen, sieht das bei Ihnen anders aus. Ich könnte Alex ja mal einen Tipp geben. Zum Beispiel, wenn ich nicht bald mein Geld zurückbekomme«, erklärte sie und mimte völlige Entspannung.
Wenn möglich, wurde Edgar noch blasser.
»Ich hatte nicht gedacht, dass Sie so gemein sein können.«
Er wirkte so betroffen, dass Wendy in der Tat ein schlechtes Gewissen bekam.
Einen Moment lang haderte er offensichtlich mit sich. Doch statt, wie sie insgeheim erhofft hatte, sofort zu gehen, schenkte Edgar die Gläser noch einmal voll. Wendy konnte nicht anders als seiner Aufforderung zu folgen und mit ihm anzustoßen. Sie brachte es nicht übers Herz, ihn rauszuwerfen und hoffte darauf, dass er gehen würde, wenn sein Glas erst leer war.
*
Als ihr Verlobter Manfred Holler den fürs Wochenende geplanten Ausflug überraschend und unter einem fadenscheinigen Vorwand abgesagt hatte, war die Gymnasiallehrerin Natascha Kilian ein bisschen enttäuscht. Doch das wäre kein Grund für sie gewesen, irritiert zu sein. Es war vielmehr Manfreds nachdenkliche Schweigsamkeit, die sie verwunderte.
Am Abend hatte sie sie noch auf die Kopfwunde geschoben, die sich ihr Verlobter in seinem Badezimmer zugezogen hatte, als er – so hatte er es ihr erzählt – in der Badewanne ausgerutscht war. Doch als Natascha ihn an diesem Morgen früh weckte, hatte wieder dieser merkwürdige Ausdruck in seinen Augen gestanden.
»Du bist ja schon wach?«, stellte Manfred fest, als er ihren Argwohn bemerkte und zog sie rasch in seine Arme.
Dieser liebevollen Geste konnte Natascha nicht wiederstehen, und sie schmiegte sich in seine starken Arme, an seine breite Brust, an der sie sich so beschützt und geborgen fühlte wie nirgendwo sonst auf der Welt. »Täusche ich mich oder riecht es schon nach Kaffee?«, murmelte Manfred in ihr dunkles duftendes Haar.
»Frische Brötchen stehen auch schon auf dem Tisch.« Natascha löste sich vorsichtig aus der Umarmung und klemmte sich eine Strähne hinters Ohr.
Verliebt betrachtete sie ihren Herrn Oberlehrer, wie sie Manfred gerne scherzend nannte. Er sah noch verschlafen aus, und das dunkle zerzauste Haar gab ihm etwas Jungenhaftes. Schlagartig waren ihre Sorgen vergessen, und unvermittelt packte sie der Übermut. Sie bohrte ihre Fingerspitzen in Manfreds Bauchdecke. Selten hatte Natascha einen Menschen kennengelernt, der so kitzlig war, und Sekunden später tobten die beiden wie ausgelassene Kinder im Bett.
»Willst du wohl aufhören, du Satansweib!«, keuchte Manfred lachend, als es Natascha gelungen war, ihn erneut an einer besonders kitzligen Stelle zu quälen.
»Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt«, ließ sie sich nicht erweichen. Während sie sich an Manfred festklammerte, liefen ihr Lachtränen übers Gesicht.
»Den Teufel halte, wer ihn hält! Er wird ihn nicht so bald zum zweiten Male fangen«, konterte Manfred lachend aus Goethes Faust.
Mit einer geschickten Drehung seines geschmeidigen, durchtrainierten Körpers wand er sich aus Nataschas Umklammerung und floh aus dem Bett. Da geschah es. Wieder sackten seine Beine unter ihm weg, und haltlos stürzte er zu Boden.
Schlagartig verstummte das Lachen im Zimmer. Wie versteinert saß Natascha auf der Matratze und starrte ihren Liebsten an.
»Um Gottes willen, Manfred!«, rief sie entsetzt. »Hast du dir wehgetan?« Hastig kletterte sie aus dem Bett und kniete sich auf den Boden neben ihm. Sie hatte sich furchtbar erschrocken und legte eine Hand auf seine Schulter. »Bitte, sag doch was!«
Manfred war kreidebleich und atmete schwer. Auch ihm war der Schreck in die Glieder gefahren. Glücklicherweise war er diesmal weich gefallen und hatte sich nicht wehgetan.
»Geht schon wieder«, seufzte er endlich und richtete sich mühsam auf. Das Gefühl in den Beinen war zurückgekehrt.
»Was war denn das?«, erkundigte sich Natascha argwöhnisch, während sie ihm auf die Beine half. »Du bist einfach umgefallen.«
»Unsinn!«, widersprach er so heftig, dass sie erschrak. »Ich bin über die Teppichkante gestolpert.«
»Oh, das hab ich gar nicht gesehen.« Verwirrt sah Natascha ihm nach, wie er langsam