Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
mein Gott, Martha!«, rief Oliver erschrocken. Drohend wie zwei Gewitterwolken schoben sich seine Augenbrauen zusammen. »Warum warst du nicht längst bei dieser Sprechstunde? Das ist unverantwortlich. Du musst besser auf dich aufpassen. Ich brauche dich doch noch.«
»Ach, du siehst doch …« Martha wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihre Augen glänzten feucht, und sie winkte rasch ab. »Unkraut vergeht nicht.«
»Ich fahre gleich im Anschluss in die Klinik«, nutzte Daniel Norden die günstige Gelegenheit. Zufällig wusste er, dass die Kollegin an diesem Wochenende Dienst hatte. »Sie könnten gleich mitfahren. Die Diabetes-Ärztin Dr. Kathrin Kober wird sich mit Freuden um Sie kümmern.«
»Nicht nötig, lieber Doktor, nicht nötig.« Wie um Daniel ihre neu erwachte Energie zu beweisen, setzte sich Martha auf dem Sofa auf.
Doch diesmal erhielt Dr. Norden Schützenhilfe.
»Natürlich ist das nötig, liebe Martha«, erstickte Oliver Herrmann jeden Widerspruch im Keim, indem er aufstand und die Kostümjacke seiner späten Liebe brachte und ihr auch gleich dabei half, die Hausschuhe gegen ein schickes Paar Slipper zu tauschen. Marthas schwachen Protest erstickte er resolut im Keim.
Schmunzelnd beobachtet Daniel Norden die Prozedur. Das, was er in vielen Monaten nicht geschafft hatte, gelang diesem Herrn in wenigen Minuten. Und wieder einmal stellte er fest, dass die Macht der Liebe wahre Wunder bewirken konnte und an Durchsetzungskraft nicht zu überbieten war.
*
Als Wendy an diesem Samstagmorgen erwachte, brummte ihr der Kopf. Eine Weile lag sie reglos in ihrem Bett und versuchte herauszufinden, woher die Kopfschmerzen rührten. Und das ungute Gefühl in ihrem Magen, das sie bis in ihren verworrenen Traum hinein verfolgt hatte.
Als sie ein Geräusch in der Wohnung hörte, fuhr sie wie von der Tarantel gebissen hoch.
»Meine Güte, was habe ich getan?«, flüsterte sie entsetzt. Mit einem Schlag war ihr alles wieder eingefallen. »Wie konntest du das nur tun? Annemarie? Wie konnte dir das passieren? Schließlich bist du kein dummer Teenager mehr sondern eine erwachsene Frau. Du musst den Verstand verloren haben!«
Selten hatte sie ein schlechteres Gewissen gehabt und strafte sich selbst mit einer eiskalten Dusche. Doch das war bei Weitem noch nicht Strafe genug für ihre grenzenlose Naivität.
»Ich wusste es!«, setzte sie ihr Selbstgespräch vor dem Badezimmerspiegel fort. »Ich hätte ihn nicht reinlassen sollen.« Mit dem Zeigefinger deutete sie drohend auf ihr Spiegelbild. »Das hast du nun von deinem ewigen Mitgefühl, von deinem butterweichen Herz.« Sie verdrehte die Augen. »Und dann noch der viele Wein. Oh, ich glaube, mir wird schlecht.« Einen kurzen Augenblick liebäugelte sie damit, ins Bett zurückzukehren und sich tot zu stellen.
Aber das ließ ihre Disziplin natürlich nicht zu. Möglichst ohne ein Geräusch zu machen, kehrte sie in ihr Schlafzimmer zurück, während Edgar von Platen offenbar bester Dinge und ein fröhliches Liedchen auf den Lippen, in der Küche rumorte. Obwohl Wendy die Auswahl ihrer Garderobe in die Länge zog, war sie doch viel zu schnell fertig.
»Es nützt alles nichts«, seufzte sie schließlich. »Diese Suppe muss ich selbst auslöffeln.« Zaghaft drückte sie die Klinke hinunter und ging mit weichen Knien hinüber in die Küche.
»Guten Morgen, meine Königin«, grüßte Edgar sie strahlend wie der junge Morgen persönlich.
Er hatte nicht nur sein Versprechen eingelöst und die Küche von den Suppenflecken befreit und auf Vordermann gebracht. Auch darüber hinaus spielte er den perfekten Hausmann und hatte den Tisch gedeckt, Kaffee und Eier gekocht.
»Ich wusste nicht, ob du ein weich gekochtes Ei magst oder lieber ein hartes. Deshalb hab ich dir zwei gemacht. Das mit dem Kreuzchen obendrauf ist das weiche.«
»Morgen«, erwiderte Wendy einsilbig. Den Tag mit Edgar von Platen beginnen zu müssen, war mehr, als sie verkraftete. Noch dazu, wenn sie sich daran erinnerte, zu was sie sich hatte breitschlagen lassen. Obwohl es draußen sommerlich warm war, zog sie die dünne Strickjacke fröstelnd eng um sich.
»Soso, ich habe es also mit einem Morgenmuffel zu tun«, lachte er unbekümmert und schenkte Kaffee ein. »Hast du gut geschlafen?«
»Nein. Ich hatte fürchterliche Albträume.«
»Du Ärmste! Ich hatte eine perfekte Nacht.«
»Freut mich für dich.« Unwillig stellte Wendy fest, dass er sogar daran gedacht hatte, die Milch warm zu machen. Warum nur gab er ihr keinen Grund, wütend auf ihn zu sein? Schweigend rührte sie in ihrem Kaffee.
Als sich Edgar zu ihr gesetzt hatte, holte sie tief Luft. Besser, sie brachte es gleich hinter sich.
»Hören Sie, Edgar, ich weiß nicht, was gestern in mich gefahren ist …«
»Aber ich weiß es. Du liebst mich eben und wolltest es bisher nur nicht wahrhaben.«
»Das glauben Sie doch selbst nicht.«
Überrascht von ihrer unwirschen Reaktion hob Edgar abwehrend die Hände.
»Ruhig Blut. Das war doch nur ein Witz«, versuchte er sie zu beschwichtigen. Selbst mir ist inzwischen aufgefallen, dass du mich nicht sonderlich gut leiden kannst.« Ohne den Blick von Wendy zu nehmen, rührte er sinnend in seinem Kaffee. »Ich würde sagen, uns verbindet eine klassische Hassliebe. Du hasst mich und ich liebe dich.«
Wendys Kopf dröhnte noch immer und langsam aber sicher brachte sie dieser charakterlose Schönling zur Verzweiflung.
»Ich hasse Sie nicht«, stöhnte sie und stand auf, um im Erste-Hilfe-Schrank hinter der Tür nach einer Kopfschmerztablette zu suchen. »Sie sind mir einfach egal. Alles, was ich von Ihnen will, ist mein Geld zurück. Danach können Sie gerne auf Nimmerwiedersehen aus meinem Leben verschwinden.« Wendy hatte gefunden, wonach sie gesucht hatte und füllte an der Spüle ein Glas Wasser und schluckte die Tablette. Danach kehrte sie an den Tisch zurück.
»Du bist ganz schön wütend auf mich«, stellte Edgar überflüssigerweise fest und biss in die Scheibe Brot, die er großzügig mit Wendys bestem Schinken belegt hatte. »Und keine Sorge, ich weiß, dass es einen anderen Mann in deinem Leben gibt, dem ich unmöglich das Wasser reichen kann. Aber darf ich dich wenigstens daran erinnern, dass wir Brüderschaft getrunken haben?«
Entsetzt riss Wendy die Augen auf. Was war denn noch alles passiert, woran sie sich nicht erinnern konnte?
»Habe ich dich etwa geküsst?«, fragte sie vorsichtig.
Eine Wolke huschte über Edgar von Platens gut geschnittenes Gesicht.
»Dazu kam es leider, leider nicht. Obwohl ich es mir so gewünscht hatte.«
»Wenigstens etwas!«, seufzte Wendy, auch wenn sie nicht sonderlich erleichtert war.
Edgar von Platen fixierte seine Gastgeberin mit einem, wie er meinte, verliebten Blick und beugte sich weit über den Tisch. Je näher er kam, umso weiter wich Wendy zurück.
»Dann bekomme ich also wirklich keine zweite Chance?«, versuchte er hartnäckig noch einmal sein Glück.
Sie bestätigte seinen Verdacht mit einem so energischen Nicken, wie es ihr in Anbetracht ihres angeschlagenen Zustands möglich war.
»Hast du Alex schon wieder vergessen? Und das, was ich machen werde, wenn du mir mein Geld nicht zurückgibst?«, erinnerte sie ihn schonungslos.
Seufzend lehnte er sich zurück.
»Aber auf dein Wort kann ich mich trotzdem verlassen?« Zum ersten Mal, seit Wendy den smarten Geschäftsmann kannte, stand eine echte Sorge in seinen Augen. »Dass ich ein paar Tage bei dir wohnen kann, bis ich meine Geschäfte hier abgewickelt habe? Ein Hotel kann ich mir nicht leisten, das habe ich dir doch lang und breit erklärt.«
Natürlich hatte Wendy ihm diese Bitte in der Nacht zuvor sofort abgeschlagen. Aber Edgar hatte sich nicht beirren lassen und ihr im Gegenzug das schuldige Geld versprochen. Mit Engelszungen