Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian MorgensternЧитать онлайн книгу.
schleppenden Fittichen
grollend dahin.
So flügelschlug der düstere Dämon
schon seit Aeonen:
An seiner Seele frass das Nichts.
Umsonst griffen die Pranken
seines wühlenden Schaffenswahnsinns
hinaus in die unsägliche Leere.
Vom eigenen Leibe musste er nehmen,
wollte er schaffen –:
das hatte ihn jüngst quälend durchzuckt.
Und nun rang und rang er
gegen sich selber, der einsame Weltgeist,
daß er sich selbst verstümmle.
Bis sein Wollen, ein Löwe,
in seiner Seele aufstand
und ihm die Hand ans Auge zwang,
daß sie es ausriss mit rasendem Ruck.
Ströme Blutes schossen nach.
Der brüllende Gott aber krampfte
in sinnloser Qual die Faust um das Auge,
dass es zwischen den Fingern
perlend herausquoll.
Den glänzenden Tropfenregen
rissen die fallenden Schleier des Bluts
in wirrem Wirbeltanze
hinab, hinaus in die eisigen Nächte
des unausgründlichen Raums.
Und die perlenbesäten blutigen Schleier
kamen in ewigem Kreislauf wieder,
schlangen erstickend sich
um des flüchtenden Gottes Haupt,
zerrten ihn mit sich,
warfen ihn aus,
ein regelloses, tobendes Chaos.
Tiefer noch zürnte der gramvolle Gott.
Nicht Schöpfer und Herrscher,
Spielball war er geworden,
weil er, vom Schmerz bewältigt,
den heiligen Lebensstoff,
statt ihn zu formen, zerstört.
Aeonen hindurch
trug er die Marter der glühenden Schleier,
litt er in seiner eigenen Hölle.
Dann aber stand zum anderen Male
sein Wollen, ein Löwe,
in seiner Seele auf.
Sieben Kreisläufe des Chaos
rang er und rang er noch,
und dann
gab er den Arm dem Wollen frei.
Und er nahm sich auch noch
das andere Auge
aus dem unsterblichen Gotteshaupt
und warf die blutüberströmte,
unversehrte Kugel
mitten hinein ins unendliche All.
Da stand sie, glühend,
in unermesslicher Purpurründung,
und sammelte um sich
die tanzenden Blutnebel,
dass sie, ein einziger Riesenring
von Flammenschleiern,
um den gemeinsamen Kern
sich wanden und kreisten.
Der blinde Gott aber sass
und lauschte dem Sausen der Glut.
Aeonen kreiste der Ring:
Dann zerriss er.
Und um die glasigen Perlen
des zerkrampften Auges
ballten sich Bälle kochenden Bluts,
glühende, leuchtende Blutsonnen,
und andere Bälle,
die unter roten Dampfhüllen
langsam gerannen.
Durch die Unendlichkeit
schwangen sich zahllose Reigen
zahlloser Welten
in tönender Ordnung
um das geopferte, heile Auge.
Der blinde Gott aber
lauschte dem Klang der Sphären,
die seinen Preis jauchzten,
den Preis des Schaffenden,
und flog tastend mit seinen
schwarzen, schleppenden Fittichen
durch seine Schöpfung,
ein Schrecken den Menschlein
auf allen Gestirnen,
der große Lucifer.
DAS HOHELIED
Singen will ich den Hochgesang,
den mit Sterngoldlettern
der heilige Geist der Erkenntnis
in den schwarzen Riesenschiefer
nächtigen Firmaments
leuchtend gegraben,
den jauchzenden Hochgesang,
des Kehrreim von zahllosen Chören
von Weltengeschlechtern das All durchtönt:
Auf allen Sternen ist Liebe!
Siehe, ich mass auf dem Feuerfittich
rascher Kometen die Bahnen der Ewigkeit,
durch tausend Planetenreigen
flog ich zitternden Geistes,
spähte und lauschte hinab
auf die kreisenden Bälle
mit überirdischen Sehnsuchtsinnen.
Und entgegen schwoll mir allewig
aus unzählbarer Lebenden Brüsten:
Auf allen Sternen ist Liebe!
Sahst du je ein liebendes Paar
sich vereinen zu seligem Kuss,
sahst du je der Mutterlippe
stummes Segengebet des Kindes
reinen Scheitel inbrünstig weihen,
sahst du je die stille Flamme
heiliger Freundschaft im Kusse brennen –
oh dann sang auch deine Seele,
stammelte schauernd die süsse Gewißheit:
Auf allen Sternen ist Liebe!
Trunken bin ich von diesem Liede,
das aus der Harfe der Ewigkeit hallt.
Oh meine Brüder auf wandelnden Welten,
deren Sonnen purpurne Kränze
um die Muttersonne des Alls
ewigen Rhythmus' Sturmschwung reisst,
grüssen lasst euch durch Aeonen!
Tausendgestaltiger Sterblicher Hymnen
Ein' ich des Menschengeschlechts Dithyrambe.
Auf allen Sternen ist Liebe!
Liebe! Liebe! durch die Unendlichkeit