Südwärts. Ernest Henry ShackletonЧитать онлайн книгу.
durchbrochen hatte, blieb sie in einer weichen Eisscholle stecken. Die Maschinen liefen volle Kraft zurück, konnten aber nichts ausrichten, sodass alle Mann helfen mussten, das Schiff »rauszuhauen«. Wegen der Verschläge für die Hunde mittschiffs mussten die Männer sich achtern versammeln, wo sie in dem begrenzten Raum ums Steuerrad herum alle auf einmal von einer Seite auf die andere rannten. Es war eine leicht groteske Angelegenheit, wie die Männer unter Rufen und Lachen übereinander purzelten, ohne viel zu bewirken. Das Schiff blieb weiter feststecken, während alle Mann auf Kommando lossprangen, kam dann aber schließlich frei, als alle doppelt so hart aufstampften. Wir waren jetzt in der Lage, jede Öffnung, die sich auftun würde, zu nutzen. Das Eis um uns herum war fest, und da es nicht danach aussah, dass wir an diesem Tag noch weiterkommen sollten, ließ ich ein Stahlseil und den Motorschlitten für eine Testfahrt auf die Eisscholle bringen. Der Motor funktionierte einwandfrei und legte in einer Stunde etwa sechs Meilen über Unebenheiten und Spalten im Eis zurück, die mit ein oder zwei Fuß lockerem Schnee bedeckt waren. Die Eisoberfläche schien schlechter beschaffen, als wir es bei Eis auf Festland oder Barriere erwartet hatten. Der Motorschlitten wand sich an dem 500 Faden langen Stahlseil selbst zurück und wurde wieder an Bord gehievt. »Der Ausguck im Mastkorb wurde ständig von den Luftspiegelungen genarrt. Alles hatte etwas Unwirkliches. Eisberge hingen kopfüber in der Luft. Die Landmasse wirkte wie eine silberne oder goldene Wolkenschicht. Wolkenbänke sahen wie Land aus, Eisberge tarnten sich als Inseln oder Nunataks, und wir konnten die ferne Barriere im Süden erkennen, obwohl sie sich eigentlich außer Sichtweite befand. Am Schlimmsten war jedoch der trügerische Anschein offenen Wassers, verursacht durch die Spiegelung weit entfernten Wassers, oder weil die Sonne in einem bestimmten Winkel auf eine glatte Schneefläche fiel, oder auf Eisklippen hinter dem Horizont.«
Die zweite Februarhälfte brachte keine grundlegende Veränderung unserer Situation. Früh am Morgen des 14. Februars ließ ich die Kessel ordentlich anheizen und schickte alle Mann mit Eispickeln, Spießen, Sägen und Spitzhacken auf die Eisscholle. Wir arbeiteten den ganzen Tag und auch den Großteil des nächsten, um das Schiff mit einem anstrengenden Kraftakt in die vor uns liegende Wasserrinne zu bekommen. Die Männer brachen das junge Eis vorm Bug auf und zogen es mühevoll beiseite. Nach vierundzwanzig Stunden Arbeit hatten wir das Schiff ein Drittel der Strecke bis zur Rinne vorangebracht. Aber noch immer trennten die Endurance etwa vierhundert Yard massiven Packeises vom Wasser. Widerstrebend musste ich eingestehen, dass jede weitere Anstrengung vergeblich war. Jede Öffnung, die wir schlugen, fror wegen der für diese Jahreszeit ungewöhnlich niedrigen Temperaturen sofort wieder zu. Das junge Eis war elastisch, sodass das Schiff es nicht mit einem kräftigen Schlag des Bugs spalten konnte. Darüber hinaus hinderte es das alte Eis an jeglicher Bewegung. Das Einstellen unserer Bemühungen war für alle eine große Enttäuschung. Die Männer hatten viele Stunden lang unermüdlich gearbeitet und einen Erfolg verdient. Doch diese Aufgabe überstieg unsere Kräfte. Ich gab die Hoffnung, wieder freizukommen, nicht auf, rechnete aber nun mit der Möglichkeit, den Winter in den unwirtlichen Fängen des Packeises verbringen zu müssen. Die Sonne, die seit zwei Monaten über dem Horizont gestanden hatte, ging um Mitternacht des 17. Februars unter. Auch wenn sie nicht vor April verschwinden würde, warnten ihre schräg einfallenden Strahlen uns vor dem Kommen des Winters. Gelegentlich öffneten sich Wasserlöcher und Rinnen, aber sie froren immer wieder schnell zu.
Wir legten uns weiterhin einen Vorrat an Robbenfleisch und Tran zu. Die Jagdausflüge über die Eisschollen stellten zudem eine willkommene Betätigungsmöglichkeit für die Männer dar. Die drei Krabbenfresserrobben, die wir am 21. Februar schossen, waren Kühe und wurden nicht von einem Bullen begleitet. Am Loch, aus dem sie gestiegen kamen, war Blut zu sehen. Wir vermuteten, dass der Bulle einem Schwertwal als Beute gedient hatte. Diese aggressiven Tiere waren in den Wasserrinnen und Eislöchern häufig anzutreffen, und wir blieben stets skeptisch, ob sie zwischen einer Robbe und einem Menschen unterscheiden konnten oder wollten. Ein echsenartiger Kopf kam zum Vorschein, wenn der Wal mit bösen Augen eine Eisscholle ausspähte. Dann tauchte das Raubtier ab, um wenige Augenblicke unter einer unglücklichen Robbe, die auf dem Eis ruhte, wieder emporzuschießen. Worsley untersuchte eine Stelle, wo ein Schwertwal in zwölfeinhalb Zoll starkes Eis ein Loch von acht mal zwölf Fuß geschlagen hatte. Dort waren dicke Eisbrocken auf die Scholle geschleudert worden. Einmal war Wordie damit beschäftigt, die Dicke des Eises zu messen, als er dabei bis zur Hüfte ins Wasser fiel und in einer benachbarten Rinne ein Schwertwal zum Blasen auftauchte. Hastig zogen ihn seine Kollegen wieder heraus.
Am 22. Februar erreichte die Endurance den südlichsten Punkt auf ihrer Drift und berührte auf einer Länge von 35° W den 77. Breitengrad.
Der Sommer war vorüber, ja, eigentlich hatten wir gar keinen richtigen Sommer erlebt. Die Temperaturen blieben Tag und Nacht im Keller und das Packeis fror rund ums Schiff immer fester zu. Am 22. Februar um 2 Uhr maß das Thermometer – 23° Celsius. Einige Stunden zuvor hatten wir im Süden einen herrlichen goldenen Nebel beobachtet, wo die Strahlen der untergehenden Sonne den vom Eis aufsteigenden Dampf anstrahlten. Unter solchen Bedingungen verschwinden alle gewohnten Perspektiven, und die niedrigen Kämme des Packeises mit dem Nebel dazwischen vermittelten die Illusion eines wilden Gebirges wie im Berner Oberland. Es konnte keinen Zweifel mehr geben, dass die Endurance für den Winter eingeschlossen blieb. Leichte Brisen aus Ost, Süd und Südwest konnten die Eisschollen nicht am Zusammenfrieren hindern. Die Robben verschwanden und die Vögel verließen uns. Das Land am Horizont schien noch immer schönes Wetter zu haben, aber es lag für uns jetzt außer Reichweite, und es war müßig, den hinter uns liegenden Landungsstellen nachzutrauern.
»Wir müssen auf den Frühling warten, der uns vielleicht mehr Glück beschert. Hätte ich vor einem Monat vorausgeahnt, dass uns das Eis hier festhalten würde, hätte ich unser Basislager an einem der Landungsplätze an dem großen Gletscher aufgeschlagen. Aber es schien kein Grund zu der Annahme zu geben, dass sich das Schicksal als dermaßen unfreundlich erweisen würde. Diese ruhige Wetterlage mit extremer Kälte ist während des Sommers höchst außergewöhnlich. Meine Hauptsorge gilt jetzt der Drift. Wo werden die unsteten Winde und Strömungen das Schiff während der langen, vor uns liegenden Wintermonate hintreiben? Es wird Richtung Westen gehen, das war klar, aber wie weit? Und würde es möglich sein, gleich zu Beginn des Frühlings aus dem Packeis auszubrechen und die Vahselbucht oder einen anderen geeigneten Landungsplatz zu erreichen? Diese Fragen waren für uns von großer Tragweite.«
Am 24. Februar stellten wir die routinemäßigen Schiffswachen ein und machten die Endurance zum Winterquartier. Die ganze Besatzung verrichtete tagsüber ihren Dienst und schlief nachts, außer einer Wache, die nach den Hunden schaute und achtgab, ob sich irgendetwas im Eis bewegte. Um Steuerruder und Schiffsschraube schafften wir einen freien Raum von zehn mal zwanzig Fuß, indem wir das zwei Fuß starke Eis zersägten und die Blöcke mit einer vom Schiffzimmermann gebauten Greifzange aus dem Wasser hoben. Crean benutzte die Blöcke, um für die Hündin Sally, die die Expedition um einen kleinen Wurf Welpen verstärkt hatte, eine Eishütte zu bauen. Hin und wieder tauchten Robben auf, und wir erlegten alle, die in unsere Reichweite kamen. Sie bedeuteten sowohl Brennstoff als auch Nahrung für Mannschaft und Hunde. Es wurde Order gegeben, achtern die Laderäume zu leeren und die Vorräte zu überprüfen, um genau zu wissen, womit wir für die Belagerung durch den antarktischen Winter gerüstet waren. Am nächsten Tag verließen die Hunde das Schiff. Ihre Hütten wurden auf der Eisscholle errichtet, entlang eines Drahtseils, an dem wir ihre Leinen befestigten. Die Tiere schienen von Herzen froh zu sein, das Schiff verlassen zu dürfen, und kläfften laut und fröhlich, als sie ihre neuen Quartiere bezogen. Kaum hatten wir mit dem Training für die Gespanne begonnen, gab es schon große Rivalitäten zwischen den Schlittenführern. Die flachen Eisschollen und gefrorenen Wasserrinnen in der Nähe des Schiffs waren hervorragende Sportplätze. Hockey und Fußball gehörten zu unseren beliebtesten Abwechslungen, und alle Mann nahmen voller Eifer an diesen Spielen teil. Am 26. Februar stieg Worsley mit einigen Mann auf die Eisscholle und begann eine Reihe von Iglus und »Hundlus« um das Schiff herum zu bauen. Diese kleinen Gebäude wurden nach Eskimoart aus großen Eisblöcken und dünnen Eisplatten für die Dächer errichtet. Darauflegte man Planken oder gefrorene Robbenfelle, verteilte über allem Schnee und presste ihn in die Ritzen, und zum Schluss goss man Wasser drüber, um dem ganzen Gebilde Festigkeit zu verleihen. Innen wurde das Eis geglättet und für die Hunde mit Schnee bestreut, die jedoch lieber draußen schliefen,