Der Dunkelgraf. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.
und fuhr auf sicherer, von Sandbänken unbedrohter Bahn Angesichts der Inselkette, an Oster- und Wester-Langeroog und Baltrum vorüber, nach Norderney und Juist zu, während die Nacht sich allmälig und spät dämmernd niedersenkte und der Mond seine zauberische Strahlenfülle auf die unermeßliche Nordsee niedergoß.
Die erste Erscheinung, welche auf dem Schiffe die Aufmerksamkeit des jungen Reisenden, wie seines Dieners in hohem Grade auf sich lenkte, war ein anderer Reisender, welcher mit dem Kapitän sehr gut bekannt, sogar vertraut schien, äußerst gut gekleidet war, und mit dem jungen Grafen eine auffallende Aehnlichkeit hatte, nur daß der Erstere etwas älter aussah und auch wirklich war, sonst hätte man beide für Zwillingsbrüder halten können, und wie diese Aehnlichkeit Ludwig und seinem Diener auffiel, so schien sie auch dem andern Theil aufzufallen. Der Kapitän hatte um so mehr für schicklich gehalten, die Reisenden einander vorzustellen; er konnte dies, denn er hatte den Namen des Jüngeren derselben in dessen Paß gelesen; da aber zufällig der Kanzlist, welcher diesen Namen mit großem Fleiße geschnörkelt, das r im Namen Varel nicht r, sondern ı geschrieben hatte, so war es nicht zu verwundern, daß der Kapitän statt Graf Varel – Graf Vavel las, und unter diesem veränderten Namen ihn seinem Reisenden vorstellte. Ludwig vernahm den Irrthum, fand sich aber nicht veranlaßt, denselben zu berichtigen, um so mehr, als jener ihm dazu gar nicht Zeit ließ, sondern alsbald den Namen des Reisenden nannte: Herr Leonardus Cornelius van der Valck, Sohn von Herrn Adrianus van der Valck, berühmten Kauf- und Handelsherrn zu Amsterdam.
Es gereicht mir zur Freude, mein Herr, nahm Ludwig verbindlich das Wort: Ihre werthe Bekanntschaft zu machen, und wie ich hoffe, einen Reisegefährten in Ihre Vaterstadt zu finden, und dies doppelt, da ich den Namen Ihres Hauses bereits rühmlich nennen hörte, ja ich glaube nicht zu irren, daß ich unter andern an dasselbe sogar empfohlen und gewiesen bin, und dessen guten Rath in einigen geschäftlichen Angelegenheiten mir zu erbitten haben werde.
Der Fremde entgegnete mit einer entsprechenden Offenheit: Mein Herr Graf, ich, wie mein väterliches Haus sind ganz zu Ihren Diensten, und mich besonders wird es freuen, wenn ich nach meiner Rückkehr Sie selbst bei uns einführen darf. Wenn Sie, wie ich vermuthe, noch nicht in Amsterdam waren, so wird es Ihnen immer von Nutzen sein, in dieser großen und jetzt noch dazu sehr aufgeregten Stadt einen kundigen Führer zu haben.
Gewiß, mein Herr, und ich werde Ihnen von Herzen dankbar für jeden Dienst sein, den Sie mir erweisen zu wollen so gütig sind.
Der Kapitän endete die anfangs unvermeidliche steife Förmlichkeit der ersten Unterredung durch den Vorschlag, den zwar etwas kühlen, aber prächtigen Abend auf dem Verdeck bei einer Kumme Punsch zu verplaudern, welcher die Zustimmung aller Theile erhielt, und ein gegenseitiges näheres Bekanntwerden in freundliche Aussicht stellte. Ein gut angebrachtes Segeltuch hemmte den rauhen Luftzug, einige am Mast aufgehangene Laternen streuten freundliche Helle auf die Gruppe der neuen Bekannten nieder, und bald kam lebendiges Gespräch in Gang. Auch die Diener wurden nicht vergessen, jedem ward sein reichlicher Theil von dem heißen, anregenden Tranke, doch hielten sie sich in angemessener Entfernung und plauderten unter sich nicht minder vergnügt wie die Gebieter, und sorgten dafür, daß die kurzen weißen niederländischen Thonpfeifen nicht ausgingen.
Der Kapitän war ein kräftiger Mann von etwa fünfzig Jahren, und hieß Richard Fluit; er war aus dem Haag gebürtig; das Schiff, welches er führte, hieß »de vergulde Rose« und war Eigenthum des Handelshauses van der Valck. Das Gespräch lenkte sich bald genug den Tagesfragen zu, und Fluit und Leonhard waren sehr gespannt auf Nachrichten vom dermaligen Stande der Dinge in Amsterdam, da sie in Hamburg, welches vor einigen Tagen verlassen worden war, nichts Bestimmtes hatten erfahren können. Man hatte nur davon gesprochen, daß Pichegru sich mit seinem Heere gegen die Schelde zu bewegen Anstalten treffe, und Jourdan nach der Sambre aufbrechen wolle. Die erbitterte Stimmung der sogenannten Patrioten gegen die Partei des Erbstatthalters dauere im Haag wie in Amsterdam fort, ohne daß man von wichtigen oder entscheidenden Vorfällen vernommen habe. Bei alledem, nahm der Kapitän das Wort: macht das kriegerische Wesen uns Kauffahrern, die wir es allesammt zum Henker wünschen, tausendfache Plackerei, nächstdem, daß es die Handelschaft hemmt und den Verkehr untergräbt. Sonst stand unser einem frei, an Bord zu nehmen, wen man wollte, und Güter zu laden, welche man wollte; jetzt wird uns ein schwerer körperlicher Eid bei jedem Auslaufen aus dem Hafen abgenommen, und muß jeder Kapitän noch ein besonderes Certificat bei sich führen, daß er diesen Eid geleistet. Darum muß ich jetzt Namen, Rang und Stand, wie Bestimmungsort meiner Schiffsreisenden besonders aufzeichnen und dieselben vorlegen, sobald sie verlangt werden. Ich muß sogar den Sohn meines ehrenwerthen Prinzipals ebenso, wie Sie, Herr Graf, ersuchen, nächstdem, daß ich Ihren Paß bereits gelesen, Ihren werthen Namen eigenhändig in dieses mein Passagierbuch einzutragen, Sie haben aber dafür den Vortheil, dann zu Amsterdam von aller sonst ebenso häufigen als lästigen Paßportplackerei befreit zu bleiben.
Meine Unterschrift steht zu Befehl, Herr Kapitän, antwortete Graf Ludwig: doch wünschte ich Näheres über diese Verpflichtung zu erfahren.
Der Kapitän öffnete seine Schreibtafel, zog einen untersiegelten Stempelbogen hervor und las: »Ich Richard Fluit, gelobe und schwöre zu Gott, dem Allmächtigen, daß ich auf das unter meinem Befehl segelnde Kauffahrteischiff, »de vergulde Rose« genannt, Eigenthümer Mynheer Adrianus van der Valck, Kauf- und Handelsherr zu Amsterdam, welches von Amsterdam nach Hamburg bestimmt ist, weder für meine eigene Rechnung, noch für oder von Jemanden, er sei auch wer er wolle, einige mir unbekannte Handelsgüter, viel weniger das Mindeste von Contrebanden, noch Militär-Personen im Kriege befangener Puissancen[3], es sei in oder außer dem Hafen, noch unterwegs, oder sonst irgendwo auf meiner angedeuteten Reise einladen oder an Bord nehmen will, ingleichen, daß ich nichts weiter geladen habe, noch laden will, als in meinem Manifest benannt ist, und ebenso darauf sehen will, daß dergleichen von meinem Schiffsvolke nicht geschehe. Ich will auch auf meiner Reise kein nicht gehörig unterschriebenes Cognossement, oder das nicht gehörig an Ordre gestellt, oder worin die Waaren nicht richtig ausgedrückt sind, am wenigsten aber Passagiere und Güter ohne richtigen Ausweis an Bord nehmen, überhaupt aber meine Papiere und Documente in gebührender Ordnung halten. So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort.«
[3] Mächte.
Da müssen wir uns freilich kundgeben, daß wir nicht Contrebande oder gar militärische Ausreißer und Spione sind, lachte Leonardus, tunkte die Feder ein und bot sie höflich dem jüngeren vornehmeren Reisegefährten dar.
Als beide Herren die vorgeschriebene Form erfüllt hatten, betrachtete der Kapitän sinnend und vergleichend die Handschrift beider, und brach dann in den Ausruf aus: Merkwürdig, ganz merkwürdig! Nicht nur daß sich die Herren einander so ähnlich sind, als ob sie Brüder wären, auch Ihre Handschriften gleichen sich in einer auffallenden Weise. Da sehen Sie beide selbst.
Es war in der That so, wie Fluit gesagt; der junge Graf schrieb eine leichte fließende und dabei doch sichere Hand, und der junge Kaufmann keine kaufmännische, sondern eine, deren Ductus bis auf den flüchtigen charakteristischen Schnörkel am Schlußbuchstaben des Namens der des Grafen völlig gleich kam, so daß beide Namenaussteller selbst darüber verwundert waren. – Wer weiß, was das bedeutet! nahm Leonardus das Wort: vielleicht sollen wir näher mit einander bekannt werden, vielleicht zuletzt gar mit einander verwechselt! – Ha, da könnte Ihnen leicht etwas Schlimmes begegnen! warf der Kapitän im Tone leicht spottenden Scherzes hin, gegen den Sprechenden gewendet. Leonardus lächelte und erröthete: Ich will das ja nicht hoffen, erwiderte er. Das gäbe dann freilich keine Freundschaft!
Darf ich fragen, was die Herren meinen? nahm Ludwig das Wort, dem die entdeckte Aehnlichkeit eigene, fast beunruhigende Gedanken erregte: oder ist es unbescheiden, diese Frage zu thun, bei der sich doch mein Gesicht betheiligt sieht?
Warum nicht, Sie dürfen immer fragen, Herr Graf, antwortete Leonardus: und Sie finden mich auch bereit zu antworten. Fast scheint es mir nicht anders möglich, als daß wir Freunde werden müssen, und ich glaube nicht die mindeste Gefahr zu laufen, wenn ich Ihnen mein Geheimniß