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Der Dunkelgraf. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.

Der Dunkelgraf - Ludwig Bechstein


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und verlangend streckte auch das Kind eines seiner rosigen Händchen nach dem Becher und Angés beugte sich liebevoll zu ihm nieder und ließ es nippen, froh des willkommenen Anlasses, die Thränen der Rührung und Freude zu verbergen, die ihr aus den schönen Augen stürzten.

      Das Schiff segelte, während die Mittagsstunde nahte, ohngefähr in der Breite von Harlingen, als der Matrose, der die Wache hatte, nach Seemannsbrauch die Annäherung eines Schiffes ankündigte, welches der »vergulden Rose« nachkomme. Da nun gerade auf der Breite Harlingen zwischen zwei sandigen Untiefen nur ein schmales Fahrwasser sich befindet, so galt es Vorsicht, mit dem gleichen Lauf haltenden Schiffe einen in der Möglichkeit liegenden Zusammenstoß zu vermeiden. Der Kapitän dankte daher seinen Gästen für die Güte, seinen Geburtstag mit ihm gefeiert zu haben, und stieg, von Ludwig und Leonardus begleitet, zum Steuerbord hinauf, während Angés mit dem Kinde sich freundlich grüßend in ihre abgesonderte Kajüte zurückzog. Das Schiff, welches dem Lauf der »vergulden Rose« in gerader Richtung folgte, war ein kleiner Schnellsegler, und Ludwig rief erstaunt aus: Ah! die Jacht! die Jacht!

      Wessen Jacht? fragten Fluit und Leonardus.

      Kennen Sie nicht die wohlbekannte Flagge des Souveräns, der auf dieser Jacht herumfährt, und uns zuletzt, wenn es ihm möglich wäre, in den Grund segeln würde? fragte Ludwig.

      Fluit setzte sein Augenglas an und rief: In der That! die reichsgräfliche Flagge von In- und Kniphausen! Des Grafen Jacht, der der liebste und thätigste Freund unsers Herrn Erbstatthalters ist. Oranien boven! Oranien boven!

      Dieser volksthümliche Ausruf, der den ehrlichen Fluit als einen der Partei des Erbstatthalters und seines Hauses ergebenen Mann bezeichnete, war zugleich das Signal, das nahende Schiff durch Aufhissen einer oranischen Flagge zu begrüßen, und augenblicklich flatterte diese auch dort auf der Jacht im Tauwerk empor. Zugleich erhielt der Steuermann Befehl, so viel als möglich links beizudrücken und der leichten Jacht das Fahrwasser freizugeben.

      Ludwigs Falkenblick erkannte den Erbherrn, wie er auf dem Bug seines Schiffes stand und durch das Fernrohr nach der »vergulden Rose« blickte. Ludwig drehte sich, da er nicht wünschte, von Jenem gesehen und erkannt zu werden, rasch um und verließ das Steuerbord, und zwar mit einem sehr frohen Dankgefühl und einem verklärten Blick gen Himmel. Er gedachte mit tiefer Empfindung der leidenden Erbherrin, und konnte sich getrost sagen, daß ihr Zustand sich merklich gebessert haben müsse, sonst werde Graf Wilhelm sie gewiß nicht unter der Pflege fremder Hände zurückgelassen haben. Der überaus günstige Nordostwind, der den ganzen Morgen über geweht, hatte die gut segelnde schöne Susanne überaus rasch vorwärts gebracht und südwestwärts getrieben; sie hatte erst am frühen Morgen des heutigen Tages den Jahdebusen verlassen, freilich aber durch ihren nicht tiefen Gang den für leichtere Fahrzeuge kürzeren Wasserweg zwischen der Küste und dem Wangerland einschlagen können. Als die schöne Susanne der »vergulden Rose« ziemlich nahe vorbei rauschte, erfolgten die üblichen Grüße, die der Brauch vorschrieb, und bevor noch zwei Stunden vergingen, war die Jacht, die stricten Curs nach Amsterdam zu hielt, der vergulden Rose außer Sicht. Dieser Kauffahrer, eine einmastige Pinke, schwebte jetzt in ziemlicher Nähe der sechs Seemeilen langen und fast zwei Meilen breiten Untiefe, die einst ein bevölkertes, blühendes Land gewesen war. Nicht ohne geheimes Grauen sieht der Schiffer, wie über diesen weit gedehnten Meeresstrich die Wellen eine andere Gestalt annehmen, sich eigenthümlicher kräuseln, als auf offener See, oder im günstigen tiefen Fahrwasser. Immer ist ein unheimliches Rollen und Rauschen, stärker als an andern Strichen der See vernehmbar, und es ist gar kein Wunder, wenn ein nervösgereiztes Ohr, zumal das eines Sagengläubigen, die Glocken aus der Tiefe von den Kirchthürmen der versunkenen Dörfer mit grellem und schauerlichem Klange läuten hört. Sinnend und ernst blickten die Freunde auf das schöne unermeßlich lang gedehnte, wogenüberströmte, tiefliegende Riff, das bis nach Stavoren hinauf sich erstreckte, und der Kapitän murmelte, gleichsam als trauriger kummerbeschwerter Cicerone halblaut vor sich hin: al daar verdronken – verdronken en’t jaaren van een duizend twee honderd en zeventwintig, en een duizend twee honderd en zeventachtig. – Dort breitete sich vor Stavoren die lange weiße Düne, der Frauensand, auf dem ein junges Saatengrün oder einst in das Meer geworfener Waizen als unfruchtbarer Dünenhafer aufzuschießen begann, und sperrte den Hafen, hemmte dem früher so blühenden Verkehrsort das Anlegen größerer Schiffe. Jetzt lief die »vergulde Rose« ein in das riesige Wasserbecken der Zuider-See. Der Abend sank nieder, als die Höhe von Enkhuizen erreicht war, und als abermals ein schöner Morgen, nur etwas nebelhaft aufglühte, steuerte das Schiff durch den Pampus und das Y, dann tauchte nach kurzer Fahrt schier phantastisch der Mastenwald des Hafens von Amsterdam durch den Nebel der Frühe, und das Klingen unzähliger Glockenspiele von den Thürmen der gewaltigen Großstadt machte einen eigenthümlichen Eindruck. Das Getön war ebenfalls phantastisch, verworren, und bald wurde es überlärmt vom vollen sich früh entwickelnden Leben der Straßen, von tausend und abertausend Karren und Schleifen, dem Wälzen der Fässer, dem Geschrei der Ausrufer und Straßenverkäufer, dem ganzen lauten Getriebe einer steten Messe. Ludwig und die Uebrigen nahmen herzlich dankenden Abschied von dem biedern Kapitän, nicht ohne Hoffnung auf ein Wiedersehen, und Ersterer dankte dem Himmel, schon beim Ausschiffen einen ortskundigen, berathenden Freund zur Seite zu haben, denn wie überall in großen Städten lauerte auch hier im Hafen der Betrug, die unersättliche Habgier und das Diebesgelüst, das in jedem Ankömmling ein Ziel für die Beraubung sieht, in tausendfacher Gestalt. Aber Alles, was sich in solcher Absicht an die Ausgeschifften herandrängte, stob von dannen, als Leonardus in derben wohlverständlichen Lauten der Muttersprache das lungernde und lauernde Gesindel zurückdonnerte, und nun manch grollendes: Zy zyn geene patrioten, zy zyn van den verdoemten voornaamsten – zy zyn Oranje äppels – Gekken! und dazu ein dem Verdrusse Luft machendes Hohngelächter. Mit großer Gewandtheit und Uebersicht ordnete Leonardus Alles an; ein zurückgeschlagener Wagen ward genommen für ihn, Ludwig, Angés und Sophie, das wenige Gepäck ward untergebracht, Philipp bestieg den Braunen und führte die schöne Isabella dem Wagen nach, die freudig wieherte, als sie nach dem langen ermüdenden Stehen im Schiffsraum wieder sichern Boden unter ihren Hufen fühlte. Und nun ging es bald rascher, bald langsamer durch wimmelvolle Straßen und über geräuschvolle Märkte, bis endlich das Gasthaus erreicht wurde, in welchem Leonardus dem Freund und der Geliebten eine ruhige Unterkunft zu bereiten gedachte. Alles zu Ordnende ordnete sich leicht und rasch. Die Fremden mietheten und bezahlten die ihnen nöthige Zimmerzahl gleich auf eine Woche voraus, und fanden die trefflichste Einrichtung und die berühmte holländische Reinlichkeit in sich selbst übertreffender Weise; Alles auf das Wünschenswertheste, als sei es längst vorausbestellt. Kein Stäubchen auf Gesimsen und Möbeln, jede Bequemlichkeit geboten, Schreibzeug, Federn, Papier, Oblaten und Siegellack, ja es fehlte nicht am Schreibtisch der Kalender, nicht auf dem Betpult die Bibel, und die Kaminsimse prangten mit den allerschönsten und buntesten Figuren, Männchen und Götzenbildern von Porzellan und Speckstein aus dem Reiche der Weltmitte und dem Sonnenlande Nippon. Prächtige starkbauchige Porzellanvasen hauchten in ihrer Eigenschaft als Räuchertöpfe köstlichen Wohlgeruch aus, und in zartgeformten Gefäßen dufteten Veilchen, des nahen Lenzes liebliche Erstlinge.

      Ein Plan ward rasch entworfen; Leonardus wollte zuerst das älterliche Haus begrüßen, den Besuch des Freundes anmelden, diesen dann selbst einführen, dann mit ihm zurückkehren und die Nachmittags- und Abendzeit benutzen, ihn und seine Angés den Genüssen zuzuführen, welche Amsterdam in so reicher Fülle darbietet. Wenn es sich einleiten lasse, solle Herr Adrianus von der Valck Angés sehen; sie solle suchen dessen Herz zu gewinnen, und zugleich wollte Leonardus versuchen, das Band zu lösen, das ohne seinen Willen und ohne ihn und seine Zustimmung zu befragen, der Vater um seine Freiheit geschlungen hatte. Angés hörte diese Pläne mit einem Gefühle von Wehmuth an, welches sie niederzudrücken strebte, aber als Leonardus geschieden war, vermochte sie ihre Thränen nicht mehr zurückzuhalten und sprach zu Ludwig, in dessen Gesellschaft sie mit dem Kinde völlig unbefangen blieb: Mein Geschick ist ein sehr schweres und hartes, mein brüderlicher Freund! Ich habe mir schon tausendfache Vorwürfe gemacht, daß ich meinem überwallenden Gefühle und dem geliebten Jugendfreunde folgte; aber ich bin vielleicht auch in etwas zu entschuldigen, wenn ich sein plötzliches Erscheinen in einem Augenblicke, welcher mich der Verzweiflung nahe brachte, für einen Wink Gottes hielt. Ich war nicht fähig, mit ruhigem und kaltem Blute zu überlegen bei der Mißhandlung, die mir


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