Wegweiser durch das sächsisch-böhmische Erzgebirge. Berlet BrunoЧитать онлайн книгу.
Fremdenbesuch. – Das Erzgebirge ist bislang fast nur von Geschäftsreisenden und solchen Leuten besucht worden, die mit möglichster Schnelle durch Sachsen nach den böhmischen Kurorten eilten. Erst neuerdings sieht man zur Sommerzeit auf Strassen und Pfaden, in Thälern und auf Höhen Wanderer mit Seitentasche, Plaid und handfestem Regenschirm – sogenannte Touristen. Der Grund für die frühere Vernachlässigung des Erzgebirges mag einestheils darin gesucht werden, dass die Reiselust vormals überhaupt nicht so gross war, als heut zu Tage, und anderntheils darin, dass bis zur Eröffnung der erzgebirgischen Eisenbahnen diese Landschaft dem Fremden als schwer zugänglich erschien; wahrscheinlich aber hat dazu auch die Beschaffenheit des Gebirges mit beigetragen. Denn der Verfasser »der Lebensbilder aus dem Erzgebirge« hat Recht, wenn er sagt: »Der Harz hat des Wilden und Schaurigschönen unvergleichlich mehr als das Erzgebirge, auch ist dieses nicht ein süsses, anmuthiges Idyll, wie der Thüringer Wald.« Trotzdem findet sich im Erzgebirge genug des Schönen, sind doch Berg und Thal traulich und gemüthlich, wenn auch nicht gross und wild angelegt! Freilich bietet sich das Sehenswerthe hier nicht so von selbst dar und ist nicht auf einem engen Raum vereinigt; es will vielmehr gekannt und aufgesucht sein. Wer sich daher an der erzgebirgischen Landschaft laben will, darf sich nicht begnügen, nach Besuch guter Aussichtspunkte, die Thäler auf den angelegten Heerstrassen zu durchkreuzen, sondern muss sie flussaufwärts durchwandern; erst dann wird er deren Annehmlichkeiten inne werden. Das Muldenthal von Zwickau bis Schwarzenberg, das Zschopauthal von Flöha bis Annaberg zeigen schon von den Wagen der Eisenbahn, welche eifrigst den Windungen der Flüsse folgt, saftige Wiesen, schattige Wälder und reizend gelegene Ortschaften! Und überdies hat das Erzgebirge noch etwas vor den andern deutschen Mittelgebirgen voraus: es wird von einem fleissigen und anstelligen Völkchen bewohnt und ist der Sitz einer hervorragenden Industrie. Die Fabrik im stillen Thal, das Kunstgezeug auf rauher Höh', jedes Dörfchen, jedes Städtchen wird solches bezeugen! Ueberhaupt kann man in keinem Gebirge die Betrachtung des Gewerbefleisses so mit der Freude an der Natur – mithin das Nützliche so mit dem Angenehmen verbinden, als im Erzgebirge. Für Lehrer und Schüler, für Polytechniker und Bergstudenten, überhaupt für alle die, welche neben der Schönheit der Landschaft auch die gewerblichen Leistungen der Bewohner kennen lernen wollen, ist keine Reise mehr zu empfehlen, als die ins Erzgebirge.
Reisezeit. – Die günstigste Zeit zum Bereisen des Erzgebirges ist von Mitte Juni bis Ende September; letztgenannter Monat hat gewöhnlich die reinste Luft und die beständigste Witterung, auch zeigt sich in ihm eine Eigenthümlichkeit des Gebirges am besten: während im Niederlande Felder und Bäume schon kahl erscheinen, sind sie im Obergebirge noch mit frischem Grün bedeckt.
Sonnen-Auf- und Untergang. – Die Zeit des Sonnen-Auf- und Untergangs stellt sich in den Monaten Juni bis October folgendermassen:
Juni | Juli | |||||
1. | 16. | 26. | 1. | 16. | 26. | |
Sonnenaufgang | 3.55. | 3.49. | 3.51. | 3.53. | 4.6. | 4.18. |
Untergang | 8.0. | 8.11. | 8.14. | 8.13. | 8.5. | 7.53. |
August | September | |||||
1. | 16. | 26. | 1. | 16. | 26. | |
Aufgang | 4.27. | 4.49. | 5.5. | 5.16. | 5.37. | 5.53. |
Untergang. | 7.45. | 7.18. | 6.58. | 6.45. | 6.12. | 5.50. |
Die beste Aussicht auf Höhepunkten wird man im Frühsommer zwischen 6 und 7, im Spätsommer zwischen 5 und 6 Uhr Nachmittags haben.
Reisekleidung. – Die Kleidung sei dauerhaft und praktisch. Am geeignetsten ist ein wollener Anzug von nicht zu knappem Schnitt und nicht zu heller Farbe. Ausser der nöthigen Wäsche wird man alsdann einen Filzhut mit breiter Krämpe und Sturmband, einen nicht zu kleinen Regenschirm und bequemes Schuhwerk – womöglich derbe kalblederne Stiefel mit Doppelsohlen – nöthig haben. Weil es auf Bergen, die den Brocken an Höhe übertreffen, selbst im August oft empfindlich kühl ist, so versehe man sich endlich mit einem guten Plaid oder mit einem leichten Ueberzieher; nach Sonnenuntergang wird man fast immer Veranlassung haben, davon Gebrauch zu machen. – Wer mehr fährt als geht, kann sich neben dem leichten noch ein wärmeres Gewand mit nehmen; will der Tourist einen Reserveanzug haben, so muss er ihn gut verpacken und mit der Post von Hauptstation zu Hauptstation voraussenden.
Reiseutensilien. – Die aus Leder oder wasserdichtem Baumwollenzeug gefertigte Seitentasche habe – wie die Bädekersche Reisetasche – unten zwei Ringe, so dass sie durch Hindurchziehen des Tragbandes leicht zum Rückentornister umgewandelt werden kann. Der Plaid wird entweder mittelst eines Lederriemens auf die Reisetasche geschnallt, oder zusammengerollt über die Schulter gehangen. Der Handstock sei fest und mit guter Zwinge versehen; in neuerer Zeit hat man starkstabige Regenschirme, welche bequem die Stelle des Stockes vertreten können. Die Reisetasche enthalte ausser der Wäsche einen ledernen, zum Zusammenklappen eingerichteten Trinkbecher, ein Stück Seife, Scheere, Nadel und Zwirn, etwas Bindfaden und – um für alle Fälle gerüstet zu sein, – ein Fläschchen mit Opiumtinctur. Dann trage man ein Messer und ein Etui voll Streichhölzer bei sich und nehme von Station zu Station etwas Semmel oder Brod und einen Schluck Rum oder Kirschwasser mit. Die Semmel ist bestimmt, vor Heisshunger zu schützen und das geistige Getränk dazu, durch Beimischung kaltes Gebirgswasser trinkbar zu machen.
Geld. – In Sachsen wird nach Thalern, Neugroschen und Pfennigen (1 Thlr. = 30 Neugr., 1 Ngr. = 10 Pf.), in Böhmen nach Gulden und Neukreuzern (1 Gulden = 100 Neukreuzer) gerechnet. Sächsischerseits werden übliche Münzsorten und Cassenscheine ohne Beanstandung genommen; in Böhmen thut man wohl, mit österreichischen Banknoten zu bezahlen, die man in jeder Grenzstadt einwechseln[1] kann.
Reisekosten. – Im Erzgebirge ist es nicht theurer als in anderen Gegenden Mitteldeutschlands; doch lebt man auf böhmischer Seite billiger als auf sächsischer Seite. Die Gasthöfe in den grösseren und kleineren sächsischen Städten sind gut; öfters ausgezeichnet; in Böhmen muss man sich schon an grosse Ortschaften halten und auch da ein aufmerksames Auge für Betten und Bettwäsche haben. In Sachsen trinkt man fast überall ein gutes Lager- und bayrisches Bier; das »böhmische« Bier ist heller und leichter, aber gesund und schmackhaft. Wein soll man nur in den besseren sächsischen Gasthäusern verlangen; in Böhmen erhält man dagegen schon in kleineren Restaurationen preiswürdigen österreichischen und Ungarwein; nur begehre man da ja nicht Rhein- oder überhaupt ausländischen Wein, denn der ist mittlerer Beschaffenheit und sehr theuer. Kaffee und Gebäck sind in Böhmen musterhaft. – Im Herbste bieten beide Theile des Gebirges Reichthum an Wildpret, wie Hasen, Rehe, Krammetsvögel und Rebhühner; auch erhält man in den höher gelegenen Gegenden fast allerwärts treffliche Forellen. – Die täglichen Reisekosten richten sich selbstverständlich nach den Ansprüchen und Gewohnheiten eines Fremden: wer in den ersten