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Wegweiser durch das sächsisch-böhmische Erzgebirge. Berlet BrunoЧитать онлайн книгу.

Wegweiser durch das sächsisch-böhmische Erzgebirge - Berlet Bruno


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gut thut, wenn zwei Familien in demselben Hause wohnen, so hausen im Erzgebirge oft drei bis vier Familien in einer Stube, ohne dass man viel von unfriedfertigen Auftritten hört; sicherlich ein Beweis, dass die Bewohner sanft und schmiegsam sind. Der Sinn für Reinlichkeit tritt dem Fremden ungesucht entgegen. Die steinernen Gebäude gefallen meist schon durch ihren gut erhaltenen Bewurf und Anstrich und das Innere der Häuser und Hütten erfreut noch mehr durch die daselbst herrschende Sauberkeit. Die Zimmerwände sind reinlich getüncht, die Dielen weiss gescheuert, die Haus- und Küchengeräthe blank geputzt! Und wenn der Maassstab Liebig's richtig ist, dass man die Kultur von Volksgruppen nach dem von ihnen verbrauchten Quantum Seife beurtheilen könne, so wird den Erzgebirgern eine bevorzugte Stellung einzuräumen sein; denn nirgends wird wohl mehr, als bei ihnen gewaschen und gescheuert. In der That macht auch der geringe Mann im Erzgebirge eher den Eindruck eines verarmten Gebildeten, denn eines armen Natursohnes.

      Fragt man den Erzgebirger selbst, was er für die wesentliche Eigenschaft seiner Landsleute halte, so wird man sicher zur Antwort bekommen: »Die Gemüthlichkeit!« Ein vieldeutiges Wort! worunter man aber im Allgemeinen das Streben zu verstehen hat, sich und Anderen das Leben angenehm zu machen. Im Gebirge wird eben aufmerksam beachtet, nicht nur was man sagt und was man thut, sondern auch wie man es sagt und wie man es thut. Gewandte Personen gelten als »manierlich« und erhalten leicht Beifall; eckige Naturen werden mit zweifelhaftem Auge, Störenfriede mit Widerwillen betrachtet. Durch die genannte »Gemüthlichkeit« wird allerdings die Geselligkeit erhöht und ein angenehmer Ton im gegenseitigen Umgang geschaffen, doch auch die Thatkraft und der Trieb zur Selbstverwaltung etwas abgeschwächt.

      12. Geschichtliches. – Vor Alters war das Erzgebirge ein grosser zusammenhängender Wald, der Miriquidi genannt wurde. In der Völkerwanderung nahmen die Sorben, ein slavischer Volksstamm, Besitz von dem Lande zwischen Saale und Elbe und siedelten sich auch an dem Fusse des Erzgebirges an. Mit der Gründung der Mark Meissen (928) begannen jedoch die Deutschen, sich als Eroberer in dem genannten Gebiete festzusetzen und Burgwarten und Klöster anzulegen. Dadurch wurden die Sorben genöthigt, bergaufwärts zu rücken und sich in dem unwirthlichen, aber für sie freien Miriquidiwald niederzulassen. Sie gründeten um jene Zeit die Städte Lössnitz, Zwönitz, Zöblitz, Chemnitz, Schlettau, und Zschopau, so wie mehrere darum liegende Dörfer, deren Namen sich auf itz, itzsch, ig, en, und au endigen.[5] Noch rascher ging der Anbau des Erzgebirges von statten, als die Silbergänge in der Gegend des heutigen Freiberg fündig wurden (1163). Zahlreiche Bergleute aus dem Harze, aus Franken (aus dem »Reiche«) und Böhmen strömten herbei und legten neben den Gruben verschiedene Flecken und Dörfer an. Freiberg wurde der Mittelpunkt eines regen Bergmannslebens, dessen wohlthätige Wirkungen, zumal man an mehreren Orten Zinn brach, sich auch nach Westen hin verbreiteten. Im obern Erzgebirge entstanden im 12–14. Jahrhundert die Städte Wolkenstein, Elterlein, Schwarzenberg, Aue, Grünhain, Ehrenfriedersdorf, Thum und Geyer. Einen besonderen Aufschwung aber nahm das Gebirge, als man nun 1471 in der Nähe des Kammes zahlreiche Silbergruben erschürfte. Der Abbau wurde eifrigst betrieben; die Ausbeute war gross und so lange der Bergsegen reichlich floss – was bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts geschah – nahm auch die Bevölkerung bedeutend zu. In einem Zeitraum von ungefähr 60 Jahren wurden nicht weniger als 11 neue Bergstädte gegründet, nämlich: Schneeberg 1477, Annaberg 1496, Buchholz 1504, Joachimsthal 1516, Gottesgabe, Eibenstock und Jöhstadt 1517, Marienberg 1521, Scheibenberg 1522, Wiesenthal 1526 und Platten 1532. – Von Einfluss dabei war, dass die Erzgebirger, wie fast alle Bergleute Deutschlands, auf die Seite der Reformation traten und mit Begeisterung die Lehren des kühnen Bergmannsohnes annahmen.

      Sobald aber die Silbergruben sich nicht mehr »so höflich und freundlich«, als früher zeigten und manche Zechen geradezu »versagten«, da stellte es sich heraus, dass die dichter gewordene Bevölkerung von dem Bergbau allein nicht zu leben vermöge. Waren doch die edlen Metalle seit der Eroberung Mexiko's und Peru's überdies sehr im Werthe gesunken! Man musste sich daher nach anderen Erwerbsquellen umsehen. Zunächst griff man zur Verarbeitung der einheimischen Roherzeugnisse und so entstand die Blech-, Löffel- und Nagelschmiederei, die Herstellung von Gold- und Silberdrahtwaaren, die Holzschnitzerei, die Serpentindrechselei, die Bereitung von Feuerschwamm und die Gewinnung von Arzneimitteln. Aber hierbei wurden immer nur wenig Leute beschäftigt. Da führte im 16. Jahrhundert (1561) Barbara Uttmann,[6] die Frau eines reichen Bergherrn zu Annaberg, im Erzgebirge das Spitzenklöppeln ein, welches sie der Sage nach von einer flüchtigen Brabanterin erlernt hatte. Die neue Kunst verbreitete sich rasch unter den erzgebirgischen Frauen und legte den Grund zu einer echten Hausindustrie, die sich darnach auch bei noch anderen Erwerbszweigen herausbildete. In demselben (16.) Jahrhundert verpflanzten ausgewanderte Schweizer auch die Musselin- und Schleierweberei nach dem Voigtlande und dem daranliegenden Erzgebirge, ebenso liess sich (1589) der erste Posamentier Georg Einenkel aus Dinkelsbühl in Schwaben zu Buchholz nieder und gab da die Anregung zur Posamentenfabrikation.

      So gedieh das Gebirge, bis es von den Drangsalen des 30jährigen Krieges arg zu leiden hatte. Dörfer und Städte, besonders Freiberg wurden verwüstet; mehr als die Hälfte der Einwohner starb durch Schwert, Hunger oder Krankheit; das Gewerbe war zum Stillstand, der Bergbau fast zum Erliegen gekommen. Nichts desto weniger erholte sich darnach die Bevölkerung hier eher wieder, als in anderen, weit besser gelegenen Landschaften. Wesentlich trug dazu die Einwanderung von böhmischen Protestanten bei, welche, ihres Glaubens wegen aus der Heimath vertrieben, sich in den verödeten erzgebirgischen Orten ansiedelten und neuen Unternehmungsgeist und neue Arbeitskraft mitbrachten. Während in anderen Bezirken damals manches zerstörte Dorf als »Wustung« liegen blieb, entstand im Erzgebirge sogar eine neue Stadt, Johanngeorgenstadt; denn dieses ist nur wenig Jahre nach dem Westphälischen Friedensschluss, im Jahre 1654, von böhmischen Exulanten angelegt worden.

      Doch half auch zur Hebung des Gebirges, dass in den nächsten Jahrzehnten neue Erwerbszweige aufkamen. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde Chemnitz und Umgegend der Sitz einer bedeutenden Baumwollindustrie, der sich später die Wollenindustrie anschloss. Der damalige Faden war Handgespinnst, und es mussten Tausende von Leuten sich rühren, um den Bedarf an Garn zu decken. Später fertigte man den Faden auf Handmaschinen, von denen jede 10–30 Spulen zählte; noch zu Anfang unseres Jahrhunderts gab es 18,000 Menschen, welche auf solche Art Baumwolle spannen. – Zu der Spinnerei gesellte sich die Weberei und Strumpfwirkerei. Vor dem 30jährigen Kriege hatte in Chemnitz ausser der Leinweberei die von Niederländern eingebürgerte Tuchmacherei geblüht; nunmehr wandte man sich mit Erfolg der Baumwollenweberei zu und fertigte anfangs (1715) Barchent und dann (1725) Musseline und Kattune und allerlei bunte Waaren. Fünfzig Jahre nach dem Betreten der neuen industriellen Bahn mögen in und um Chemnitz 2000 Handstühle in Thätigkeit gewesen sein. Die Strumpfwirkerei war in Chemnitz schon 1728 eingeführt worden; sie gewann aber erst grosse Bedeutung als es dem Kaufmann Esche in Limbach (1776) gelungen war, mit Hülfe zweier geschickten Arbeiter den von dem Engländer Lee erfundenen Strumpfwirkerstuhl nachzubauen.

      Auch die erzgebirgische Frauenindustrie erhielt im Laufe des 18. Jahrhunderts eine Zugabe. Die aus Bialystock gebürtige Clara Angermann, welche sich mit dem Förster Nollain in Eibenstock vermählte, hatte in einem polnischen Kloster das Tambouriren – das Sticken mit der Häkelnadel – gelernt und verpflanzte es (1775) nach Eibenstock.

      Rechnet man zu dem Allen, dass der Bergbau durch die 1765 in Freiberg errichtete Bergakademie zur Wissenschaft erhoben wurde und man nun im Stande war, in grösseren »Teufen« abzubauen und minder edle Erze zu verhütten, so wird man begreifen, dass schon im verflossenen Jahrhundert das Erzgebirge ein Hauptindustriegebiet für Sachsen, ja für ganz Deutschland wurde. Dabei ist jedoch anzuerkennen, dass die Grossindustrie erst seit Anwendung der Maschinen und der Einführung des fabrikmässigen kaufmännischen Betriebes entstanden ist. Der Gebrauch der Spinnmaschine (erfunden 1775 durch Richard Arkwright in England), die Anwendung des Jacquard- und des Kraft- oder mechanischen Webstuhles und die Benutzung des Rundstuhles (Strumpfstuhles) wirkten entscheidend. Wurde auch die Handspinnmaschine in die Rumpelkammer verwiesen, wurde auch das Webeschifflein der Hand des Arbeiters entzogen und der gewöhnliche Strumpfwirkerstuhl auf gewisse Arbeiten beschränkt, so wuchs die Production doch ungemein und wurden bei ihr überhaupt vielmehr Leute beschäftigt, denn früher.


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