Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Ãœber 400 Titel in einem Band). Theodor StormЧитать онлайн книгу.
von rotem Schimmer erfüllt war. Tief im Hintergrunde, auf der untersten Stufe einer Wendeltreppe, sah er ein blasses Mädchen sitzen; in einem Körbchen, das sie auf ihrem Schoße hielt, lag eine rote Rose, aus deren Kelch das zarte Licht hervorbrach. Das Mädchen schien ermüdet; denn sie setzte eben die Lippen von einem irdenen Wasserkruge, der ihr von einem kleinen Knaben mit beiden Händen vorgehalten wurde. Ein großer Hund, der neben ihr an der Treppe lag und wie das Kind, hier zu Hause zu gehören schien, legte den Kopf an ihr weißes Gewand und leckte ihre nackten Füße. –»Das ist sie!« sagte Hinzelmeier; und seine Schritte wurden unsicher vor Hoffen und Erwarten. Und als die Jungfrau nun ihr Antlitz gegen ihn erhob, da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er erkannte mit einem Mal das Mädchen aus der Bauernküche; nur trug sie heute nicht das bunte Nfieder und das Rot auf ihren Wangen war nur der Abglanz von dem Rosenlichte.
»O du!« rief Hinzelmeier, »nun wird noch alles, alles gut!«
Sie streckte die Arme nach ihm aus; sie wollte lächeln, aber die Tränen sprangen ihr in die Augen. »Wo ist Er denn so lange in der Welt umhergelaufen?« sagte sie.
Und als er nun in ihre Augen sah, da erschrak er vor lauter Freude; denn dort stand sein eigenes Bild, aber kein Bild, wie es ihn kurz vorher aus dem kupfernen Kessel angeglotzt hatte; nein, ein Gesicht, so jung und frisch und lustig, daß er laut aufjauchzen mußte; er hätte es um alle Welt nicht lassen können. – –
Da quoll von der Straße her ein Menschenstrom ins Haus, schreiend und mit den Händen fechtend. »Hier steht der Herr des Vogels!« rief ein untersetztes Männlein; dann drangen alle auf Hinzelmeier ein.
Dieser faßte die Hand des Mädchens und fragte: »Was ist es mit dem Raben?«
»Was es ist?« sagte der Dicke, »dem Herrn Bürgermeister hat er die Perücke gestohlen!« –»Ja, ja!« riefen Alle, »und nun sitzt es draußen auf der Dachrinne, das Ungetüm und hat die Perücke in den Klauen und glotzt ihre Wohlweisheit durch seine grünen Brillengläser an!«
Hinzelmeier wollte reden, aber sie nahmen ihn in ihre Mitte und schoben ihn gegen die Tür. Mit Schrecken fühlte er die Hand der Rosenjungfrau aus der seinen gleiten. So kam er auf die Straße.
Droben auf der Dachrinne des Hauses saß noch immer der Rabe und sah mit seinen schwarzen Augen lauernd auf die aus dem Hause Kommenden hinab. Plötzlich öffnete er die Klaue; und während die Bürger mit Stöcken und Schirmen nach der Perücke ihres Bürgermeisters in der Luft umherlangten, hörte Hinzelmeier es »krahira, krahira!« über seinem Haupte schwirren und in demselben Augenblicke saß auch die grüne Brille schon auf seiner Nase.
Da war auf einmal die Stadt vor seinen Augen verschwunden; aber durch die Brillengläser sah er zu seinen Füßen ein grünes Tal mit Meierhöfen und Dörfern. Sonnenbeschienene Wiesen zogen sich rings umher, auf welchen barfüßige Dirnen mit blanken Milcheimer durch das Gras schritten, während in weiterer Entfernung von den Dörfern junge Kerle die Sense schwangen. Was aber Hinzelmeiers Augen fesselte, war die Gestalt eines Menschen in rot und weißer Bluse, mit einer spitzen Kappe auf dem Kopfe, welcher inmitten einer Wiese mit auf den Knien gestutzten Armen in nachdenklicher Stellung auf einem Steine zu sitzen schien.
Der Stein der Weisen
Aber er wanderte hin und her, kreuz und quer, sein Haar ergraute, seine Beine wurden wankend; am Stabe ging er von Land zu Land und immer fand er doch den Stein der Weisen nicht. So waren noch einmal neun Jahre vergangen, als er eines Abends, wie er es jeden Abend zu tun pflegte, in ein Wirtshaus trat. Krahirius putzte wie gewöhnlich seine Brille und hüpfte dann in die Küche um sich sein Abendbrot zu betteln. Hinzelmeier trat in die Stube und lehnte seinen Stab in die Kachelofenecke; dann setzte er sich still und müde in den großen Lehnstuhl. Der Wirt stellte einen Krug Wein vor ihn hin und sagte freundlich: »Ihr scheint müde, lieber Herr; trinket nur, das wird Euch stärken!«
»Ja«, sagte Hinzelmeier und faßte den Krug mit beiden Händen, »sehr müde; ich bin lange gewandert, sehr lange.« Dann schloß er die Augen und tat einen durstigen Zug aus dem Weinkruge.
»Wenn Ihr der Herr des Vogels seid, so glaube ich fast, es ist nach Euch gefragt worden«, sagte der Wirt. »Wie heißt Ihr denn, lieber Herr?«
»Ich heiße Hinzelmeier.«
»Nun«, sagte der Wirt, »Euren Enkel, den Gemahl der schönen Frau Abel, den kenne ich recht wohl.«
»Das ist mein Vater«, sagte Hinzelmeier, »und die schöne Frau Abel ist meine Mutter.«
Der Wirt zuckte mit den Achseln und indem er sich nach seiner Schenke wandte, sagte er bei sich selber: »Der arme alte Mann ist kindisch geworden.«
Hinzelmeier ließ den Kopf auf seine Brust sinken und erkundigte sich, wer nach ihm gefragt habe.
»Es war nur eine arme Dirne«, sagte der Wirt, »sie trug ein weißes Kleid und ging mit nackten Füßen.« Da lächelte Hinzelmeier und sagte leise: »Das war die Rosenjungfrau, nun wird es bald besser werden. Wohin ist sie gegangen?«
»Es schien ein Blumenmädchen zu sein«, sagte der Wirt, »wenn Ihr sie sprechen wollt, Ihr werdet sie leicht an den Straßenecken finden können.«
»Ich muß ein Weilchen schlafen«, sagte Hinzelmeier, »gebt mir eine Kammer und wenn der Hahn kräht, dann klopft an meine Tür.«
Nun gab der Wirt ihm eine Kammer und Hinzelmeier legte sich zur Ruhe. Er träumte von seiner schönen Mutter; er lächelte, sie sprach im Traum zu ihm. Da flog Krahirius durch das offene Fenster und setzte sich zu seinen Häupten auf das Bett. Er sträubte seine schwarzen Federn und hackte mit seiner Klaue sich die Brille von dem Schnabel. Dann stand er unbeweglich auf einem Bein und sah auf den Schlafenden hinunter. Der träumte weiter und seine schöne Mutter sprach zu ihm: »Vergiß die Rose nicht!« Der Schlafende nickte leise mit dem Kopfe; der Rabe aber öffnete die Klaue und ließ die Brille auf seine Nase fallen.
Da verwandelten sich seine Träume; seine eingefallenen Wangen begannen zu zucken, er streckte sich lang aus und stöhnte. – So kam die Nacht.
Als im Zwielicht der Hahn gekräht hatte, klopfte der Wirt an die Kammertür; Krahirius reckte die Flügel und zupfte seinen Federbalg zurecht; dann schrie er »krahira! krahira!« Hinzelmeier richtete sich mühsam auf und starrte um sich her; da sah er durch die Brille, die noch auf seiner Nase saß, zur Kammertür hinaus, über ein weites, ödes Feld; dann weiterhin auf einen mählich ansteigenden Hügel; auf diesem, unter dem Rumpfe einer alten Weide, lag ein grauer, flacher Stein; die Gegend war einsam, kein Mensch zu sehen.
»Das ist der Stein der Weisen!« sagte Hinzelmeier zu sich selber. »Endlich, endlich wird er dennoch mein werden!«
Hastig warf er seine Kleider über, nahm Stab und Ranzen und schritt zur Tür hinaus. Krahirius flog zu seinen Häupten, knappte mit dem Schnabel und schlug beim Fliegen Purzelbäume in der Luft. So wanderten sie viele Stunden. Endlich schienen sie ihrem Ziele näher zu kommen; aber Hinzelmeier war ermüdet, seine Brust keuchte, der Schweiß troff von seinen weißen Haaren; er stand still und stützte sich auf seinen Stab. Da kam aus der Ferne, hinter ihm, ganz aus der Ferne, fast wie ein Traum, ein Gesang zu ihm herüber:
Rinke, ranke, Rosenschein,
Laß ihn nicht allein, allein!
Halt ihn fest und hol ihn ein,
Rinke, ranke, Rosenschein.
Das spann sich wie ein goldenes Netz um ihn her; er ließ den Kopf auf seine Brust sinken; aber Krahirius schrie: »krahira! krahira!« da war das Lied verschollen und als Hinzelmeier die Augen wieder aufschlug, stand er am Fuße des Hügels.
»Nur eine kleine Weile noch«, sagte er zu sich selber und ließ noch einmal seine müden Füße wandern. Als er aber den großen, breiten Stein allmählich in der Nähe sah, da dachte er: »Den wirst du nimmer heben.«
Endlich hatten