Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Ãœber 400 Titel in einem Band). Theodor StormЧитать онлайн книгу.
und über ihnen und den Wäldem und Wiesen, die sich unterhalb des Berges ausbreiteten, lag der Sonnenglanz des Frühlings. Drinnen aber waltete Trauer; denn das einzige Söhnlein des Grafen war von unerklärlichem Siechtum befallen; und die vornehmsten Ärzte, die herbeigerufen wurden, vermochten den Ursprung des Übels nicht zu erkennen.
Im verhangenen Gemache lag der Knabe schlafend mit blutlosem Antlitz. Zwei Frauen saßen je zu einer Seite des Bettes, mit dem gespannten Blick der Sorge ihn betrachtend; die eine alt, in der Kleidung einer vornehmeren Dienerin, die andere, unverkennbar die Dame des Hauses, fast jung noch, aber die Spuren vergangenen Leides in dem blassen, gütevollen Angesicht.
In den schönsten Tagen ihrer Jugend hatte der Graf um sie, das wenig begüterte Fräulein, geworben; aber da schon nichts mehr fehlte als das ausgesprochene Wort, hatte er sich abgewandt. Eine reiche, schöne Dame, die dem armen Fräulein dem stattlichen Gemahl und dessen Herrschaft neidete, hatte den leichtblütigen Mann in ihrem Liebesnetz verstrickt; und während diese als Herrin in das Grafenschloß einzog, blieb die Verlassene in dem Witwenstübchen ihrer Mutter.
Aber das Glück der jungen Gräfin hatte keinen Bestand. Als sie nach Jahresfrist dem kleinen Kuno das Leben gegeben, wurde sie von einem bösen Kindbettfieber hingerafft; und als wiederum ein Jahr vorbei war, da wußte der Graf für sein verwaistes Söhnlein keine bessere Mutterhand als die, welche er einst verschmäht hatte. Und sie mit ihrem stillen Herzen vergab ihm alle Kränkung und wurde jetzt sein Weib.
So saß sie nun sorgend und wachend bei dem Kind ihrer einstigen Nebenbuhlerin.
“Er schläft jetzt ruhig”, sagte die Alte; “Frau Gräfin sollten auch ein wenig ruhen.”
“Nicht doch, Amme”, erwiderte die sanfte Frau; “ich bedarf’s noch nicht; ich sitze hier ja gut in meinem weichen Sessel.”
“Aber die vielen Nächte durch! Es ist doch nimmer ein Schlaf, wenn der Mensch nicht aus den Kleidern kommt.” Und nach einer Weile setzte sie hinzu: “Es hat nicht immer solche Stiefmütter gegeben hier iin Schloß.”
“Du mußt mich nicht so loben, Amme!”
“Kennt Ihr denn nicht die Geschichte von dem Spiegel des Cyprianus?” sagte wiederum die Alte; und als die Gräfin es verneinte, fuhr sie fort: “So will ich sie Euch erzählen; es hilft die Gedanken zerstreuen. Und seht nur, wie das Kind schläft, der Atem geht ganz ruhig aus dem kleinen Mund! – Nehmt noch dies Kissen unterm Kreuz, und nun die Füßchen auf den Schemel hier! – Und nun wartet ein Weilchen, daß ich mich recht besinne.”
Dann, als die Gräfin sich in die Kissen gesetzt und ihr freundlich zugenickt hatte, begann die erfahrene Dienerin des Hauses ihre Erzählung:
“Vor über hundert Jahren hat einmal eine Gräfin in diesem Schloß gelebt; die ist von allen Leuten nur die gute Gräfin genannt worden. Der Name hat auch rechtgehabt; denn sie ist demütig in ihrem Herzen gewesen und hat die Armen und Niedrigen nicht gering geachtet. Aber eine frohe Gräfin ist sie nicht gewesen. Wenn sie unten im Dorf hilfebringend in die Wohnungen der Käthner gegangen, so hat sie mit Leid auf die Häuflein der Kinder geblickt, die ihr oft den Eingang in die niedrigen Türen versperrten, und dabei gedacht: ‘Was gäbst du nicht hin um ein einziges solcher pausbäckiger Englein!’ Denn schon zehn Jahre lebte sie mit ihrem Gemahl; aber ihre Ehe blieb ungesegnet; auch war ihr nicht, wie Euer Gnaden, ein mutterlos Kind vom Herrgott in den Arm gelegt, dem sie den Schatz ihrer Liebe hätte schenken können. Der Graf, sonst ein gerechter Mann und der guten Gräfin in Treue zugetan, hatte begonnen mitunter finster drein zu sehen, daß ihm der Erbe seiner großen Herrschaft noch immer nicht geboren wurde. – Du lieber Gott!” – unterbrach sich die Erzählerin – “den Reichen fehlt’s; und die Armen wünschen oft vergebens, daß sie von ihrem Häuflein ein Englein oder zwei im Himmel hätten, die droben für sie beten könnten.”
“Erzähle weiter!” bat ihre Herrin; und die Alte fuhr fort:
“Es ist in der letzten Zeit des großen Krieges gewesen, und das Schloß hier noch oft von Feindes und Freundes Truppen überzogen worden, da hat es sich eines Tages begeben, daß ein alter Arzt, der mit den Schweden ins Land gekommen, bei einem Gefecht, dort hinten an dem Wald, von einer kaiserlichen Kugel verwundet worden, während er des Ausgangs harrend bei seinen Theriatskasten Wache hielt. Der Mann, welcher Cyprianus geheißen, ist hier ins Schloß getragen und, obwohl die Herrschaft gut kaiserlich gewesen, von der guten Gräfin mit großer Hingebung gepflegt worden. Sie hat eine glückliche Hand gehabt; doch ist viel Zeit darüber hingegangen. Der Friede ist schon geschlossen gewesen, als sie noch oft in dem kleinen Würzgärtlein hinter dem Schloß an der Seite des genesenden Greises auf und ab gewandelt ist und seinen Reden von den Kräften und Geheimnissen der Natur gelauscht hat. Manchen Wink und manches Heilmittel aus den Kräutern der Berge hat er ihr angegeben, das später ihren Kranken zugute kommen konnte. Und so ist allmählich zwischen der schönen Frau und dem alten weisen Meister eine gegenseitige dankbare Freundschaft entstanden.
Um diese Zeit ist auch der Graf, welcher seit einem Jahr in der Armee des Kaisers mit zu Feld gelegen, auf sein Schloß zurückgekehrt. Als nun die erste Freude des Wiedersehens vorüber war, glaubte der Arzt mit seinen forschenden Augen den Zug eines stillen Kummers in dem Gesicht der guten Gräfin zu erkennen; doch die Bescheidenheit des Alters hatte immer noch eine Frage darüber auf seinen Lippen zurückgehalten. Als er aber eines Tages ein Weib von den schwarzen fahrenden Leuten, die derzeit unter ihrem Herzog Michel durch das ganze Reich zogen, aus ihrer Kammer schlüpfen sah, da hat er abends beim Lustwandeln in dem Gärtlein ihre Hand genommen und ihr eindringlich zugeredet: “Ihr wißt, gnädige Gräfin, ich trage ein väterlich Herz zu Euch; so sagt mir auch, was ließet Ihr um Mittag, da Euer Herr sein Schläfchen tat, die arge Heidin in Eure Kammer?”
Die gute Gräfin erschrak; aber als sie in das milde Gesicht des Greises sah, da sprach sie: “Ich habe ein großes Leid, Meister Cyprianus, und möchte wissen, ob noch eine Zeit kommt, wo es von mir genommen wäre. “
“So öffnet mir Euer Herz!” entgegnete er; “vielleicht, daß ich bessern Rat weiß als jene fahrenden Leute, die wohl den Betrug der Leichtgläubigen, aber keineswegs die Zukunft verstehen! “
Auf diese Worte hat die Gräfin dem alten Meister ihren Kummer vertraut, und wie sie durch ihre Kinderlosigkeit sogar das Herz ihres Gemahls zu verlieren fürchte.
Sie gingen währenddessen an der Umfassungsmauer des Gärtleins entlang, und Cyprianus schaute über die unten liegenden Wälder hinaus, auf die schon der rote Abendschein sich legte. “Die Sonne scheidet”, sprach er; “und wenn sie morgen emporsteigt, so muß sie mich auf der Reise nach meinem Heimatland sehen. Aber ich schulde Euch Leben und Gesundheit, und so will ich denn gebeten haben, wollet eine Dankesgabe, die ich durch sichere Hand aus der Heimat an Euch senden werde, nicht verschmähen. “
“So müßt Ihr wirklich fort, Meister Cyprianus? ” rief die trauemde Frau. “Da wird mein liebreichster Tröster mich verlassen! “
“Klagt darüber nicht, Frau Gräfin! ” entgegnete er; “die Gabe, von der ich sprach, ist ein speculum, zu deutsch ein Spiegel, unter sondrer Kreuzung der Gestirne und in der heilbringendsten Zeit des Jahres gefertigt. Wollt ihn in Eure Kammer stellen und dort nach Frauen Art gebrauchen, so dürfte er Euch bald bessere Kunde bringen als die trügerischen Leute der Haide. – – Man hält mich”, setzte der Greis geheimnisvoll lächelnd hinzu, “in meiner Heimat für nicht unkundig der Dinge der Natur.” Die Erzählerin unterbrach sich. – “Ihr wißt wohl, gnädige Gräfin, daß der Name Cyprianus später im ganzen Norden als eines mächtigen Zauberers bekannt geworden ist. Die Bücher, die er geschrieben, hat man nach seinem Tod in dem unterirdischen Gewölbe eines Schlosses an Ketten gelegt, weil man geglaubt hat, es seien böse, das Heil der Seele gefährdende Dinge darin enthalten. Aber die das getan, haben sich geirrt, oder sie sind selbst nicht reinen Herzens gewesen; denn – wie Cyprianus während seines Aufenthalts in diesem Haus oft gesagt haben soll – “die Kräfte der Natur sind niemals böse in gerechter Hand.”
Aber ich will in meiner Geschichte fortfahren. – Einige Monde später, nachdem der Meister unter trostvollem Zuspruch an die beiden Ehegatten das Schloß verlassen hatte, hielt eines Tages