Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Ãœber 400 Titel in einem Band). Theodor StormЧитать онлайн книгу.
in seinen Haaren. Um ihn her war alles Getier lebendig, was auf der Heide die Junischwüle auszubrüten pflegt; das rannte zu seinen Füßen und arbeitete sich durchs Gestäude, das blendete und schwärmte ihm vor den Augen und begleitete ihn auf Schritt und Tritt. Die Heide blühte, die Luft war durchwürzt von Wohlgerüchen.
Nun stand der Wanderer still und blickte über die Steppe, wie sie sich endlos nach allen Richtungen hinauszog; starr, einförmig, mit rotem Schimmer ganz bedeckt. Nur vor sich in nicht gar weiter Ferne sah er einen Waldzug, an dessen Ende ein Faden weißen Rauches in die klare Luft hinaufstieg. Das war alles.
In seiner Nähe, zur Seite des Steiges, lag ein niedriger Hügel, voll Brombeerranken und wilder Rosenbüsche, ein Grabmal unbekannten Volkes, wie hier viele sind. Er stieg hinauf und übersah auch von diesem höheren Standpunkte noch einmal die unermeßliche Fläche; aber er gewahrte nichts, als nur am Saume des Waldes eine einsame Kate, aus deren Dach der Rauch emporquoll, den er zuvor gesehen hatte. Er riß einen Büschel Heide aus dem harten Boden und senkte sein Auge in den feinen Stern der Blüte; dann nahm er seine Büchse herunter und streckte sich in die warmen Kräuter, den Kopf in die Hand gestützt, die Blicke vor sich hinsendend, bis seine Gedanken in der heißen zitternden Luft zergingen.
Und wie nun so auch der Hall des eigenen Schrittes, der bisher mit ihm gewandelt, aufgehört hatte, und er nichts vernahm, als die Heide entlang das Zirpen der Heuschrecken und das Summen der Bienen, welche an den Kelchen hingen, mitunter in unsichtbarer Höhe über sich den Gesang der Heidelerche, da überkam ihn unbezwingliche Sommermüdigkeit. Die Schmetterlinge, die blauen Argusfalter, gaukelten auf und ab, dazwischen schossen rosenrote Streifen vom Himmel zu ihm hernieder; der Duft der Eriken legte sich wie eine zarte Wolke über seine Augen.
Der Sommerwind kam über die Heide und weckte eine Kreuzotter, die sich nicht weit davon im Staube sonnte. Sie löste ihre Spirale und glitt über den harten Boden; das Kraut rauschte, als sie den schuppigen Leib hindurchzog. Der Schlafende wandte den Kopf, und halb erwachend sah er in das kleine Auge der Schlange, die neben seinem Kopfe hinkroch. Er wollte die Hand erheben, aber er vermochte es nicht; das Auge des Gewürmes ließ nicht von ihm. So lag er zwischen Traum und Wachen. Nur wie durch einen Schleier sah er endlich die Gestalt eines Mädchens auf sich zukommen, kindlich fast, doch kräftigen Baues, das Haar in dicken blonden Zöpfen. Sie bog die Ranken zur Seite und setzte sich neben ihm auf den Boden. Das Auge der Schlange ließ ihn los und verschwand; er sah nichts mehr. Dann kam der Traum. Da war er wieder der Hans im Märchen, wie er es oft als Knabe gewesen war, und lag im Grase vor der Schlangenhöhle, um die verzauberte Prinzessin zu erlösen. Die Schlange kam heraus und rief:
Aschegraue Wängelein,
Weh dem armen Schlängelein!.
Da küßte er die Schlange, und da war’s geschehen. Die schöne Prinzessin hielt ihn in ihren Armen, und – wunderlich war es – sie trug ihr Haar in zwei aschblonden Zöpfen und ein Mieder wie eine Bauerndirne.
Das Mädchen hatte ihre Hände um die Knie gefaltet und sah unbeweglich über die Heide hinaus. Nur das heimliche Rauschen und Wimmeln in der unendlichen Pflanzendecke, hie und da ein Vogelruf aus der Luft oder unten vom Moor herauf, dazwischen das Atmen des Schlafenden, sonst kein Laut. So verging eine Spanne Zeit. Endlich neigte sie sich über ihn; die langen Flechten fielen auf seine Wangen. Er schlug die Augen auf; und wie er so das junge Antlitz über dem seinen schweben sah, da sagte er noch halb im Traume: »Prinzessin, was hast du für blaue Augen!«
»Ganz blaue!« sagte sie, »die sind von meiner Mutter!«
»Von deiner Mutter? – Hast du denn eine Mutter!«
»Du bist nicht klug!« sagte das Mädchen, indem sie aufsprang. »Sie hat vor vier Wochen den Vogt geheiratet. Seitdem bin ich beim Großvater.«
Nun wurde er völlig wach. »Ich bin irregegangen«, sagte er, »in der eigenen Heimat. Du mußt mir auf den Weg helfen, du – wie heißt du denn?«
»Regine!« sagte sie.
»Regine … und ich heiße Gabriel!«
Sie sah ihn groß an.
»Nein, nicht der Engel Gabriel!«
»Lache nur nicht!« sagte sie, »den kenne ich besser als dich!«
»Der Tausend! So bist du wohl des Schulmeisters Enkelkind?«
Sie sagte: »Mein Vater war Schulmeister, er ist im vorigen Frühjahr gestorben.«
Beide schwiegen einen Augenblick; dann stand Gabriel auf und bedeutete ihr, wie er noch bis zum nächsten Morgen jenseit der Fähre in der Stadt sein müsse. Sie zeigte mit der Hand nach dem Walde. »Dort wohnt mein Großvater«, sagte sie, »du kannst erst Vesper mit uns essen; nachher weise ich dir den Weg.« Als Gabriel das zufrieden war, trat sie von dem schmalen Fußpfade auf die Heide hinüber und schlug die Richtung nach dem Walde ein. Die Blicke des jungen Mannes folgten unwillkürlich ihren Füßen, wie sie behend und sicher über die harten Stauden dahinschritten, während bei jedem Tritt die Grillen vor ihr aufflogen. So gingen sie mitten durch den Sonnenschein, der wie ein Goldnetz über den Spitzen der Kräuter hing; mitunter rieselte ein warmer Hauch über die Steppe und erregte den Duft der Blüten um sie her. Schon hörten sie dann und wann im Walde das Rufen der Buchfinken und in den Wipfeln der hohen Buchen das scheue Flattern der Waldtauben. Gabriel aber, des Reisezieles gedenkend, hub an zu singen:
Es liegen Wald und Heide
Im stillen Sonnenschein.
Wir hätten gerne Frieden;
Doch ist es nicht beschieden,
Gestritten soll es sein.
Nun gilt es zu marschieren
In festem Schritt und Tritt;
Der Krieg ist losgelassen,
Er schreiet durch die Gassen,
Er nimmt uns alle mit!
So leb denn wohl, lieb Mutter!
Die Trommel ruft ins Glied.
Mir aber in Herzensgrunde
Erklingt zu dieser Stunde
Ein deutsches Wiegenlied.
»Krieg?« sagte Regine, indem sie stehenblieb und sich nach dem Sänger umwandte. Gabriel nickte.
»Sprich nicht davon zum Großvater«, sagte sie, »er glaubt doch nicht daran.«
»Und du?« fragte Gabriel. »Was glaubst du selber denn?«
»Ich? – – Was geht uns Dirnen der Krieg an!«
Der junge Mann sagte nichts darauf, und beide setzten schweigend ihre Wanderung fort. Aus der formlosen Masse des Waldes trat nun das Laub der Buchen und Eichbäume in scharfen Umrissen hervor, und bald gingen sie im Schatten des Geheges entlang, bis sie das Ende desselben erreicht hatten. Hier, wo auch die Heide aufhörte, stand im Schein der Nachmittagssonne eine kleine Kätnerwohnung. Eine Katze, die sich auf dem niedrigen Strohdache gesonnt hatte, sprang bei ihrer Ankunft auf den Boden und strich spinnend um die halb geöffnete Haustür. Sie traten in eine schmale Vordiele, welche an den Wänden hin mit leeren Bienenkörben und mancherlei Gartengeräte ganz besetzt war. Zu Ende derselben klinkte Regine eine Tür auf, und Gabriel sah über ihre Schulter in ein kleines Zimmer; aber es war nichts darinnen, als einsamer Sonnenschein, der an den Messingknöpfen des Ofens spielte, und der Pendelschlag einer alten Schwarzwälder Wanduhr.
»Wir müssen nach dem Immenhof«, sagte das Mädchen.
Gabriel lehnte seine Büchse in eine Ecke des Zimmers; dann gingen sie in den Garten, der unmittelbar unter den Fenstern lag. – Aus der Haustür waren sie unter das Laubdach eines mächtigen Kirschbaumes getreten, der seine Zweige über das Haus breitete; ein gerader Steig zwischen schmalen Gemüsebeeten führte sie durch den Garten und aus diesem heraus auf eine kleine Wiese, von welcher ein viereckiges Plätzchen durch dichte Buchenhecken abgezäunt war. Die kleine Pforte, welche den Eingang zu demselben verschloß, war niedrig genug, daß Gabriel über sie hinweg das Innere übersehen konnte. Als sie