Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Ãœber 400 Titel in einem Band). Theodor StormЧитать онлайн книгу.
Rohrstock; aber über ihm ging der Sommerwind durch das Gezweige, und die Schatten huschten ineinander und entwischten ihm. Er wurde eifrig; er spreizte die Knie auseinander und wollte eben zu einem neuen Stoße ausholen; da trat die Spitze eines seidenen Mädchenschuhs ihm in die Sonne.
Er blickte auf, Franziska stand vor ihm; die Feder hinterm Ohr, deren weiße Fahne wie ein Taubenfittich von dem gepuderten Köpfchen abstand. Sie lachte, eine ganze Weile; unhörbar erst, man sah es nur. Er lehnte sich zurück, und blickte sie voll Entzücken an; sie lachte so leicht, so mühelos, es lief über sie hin wie ein Windhauch über den See; so lachte niemand anders.
»Was treibst du da!« rief sie endlich.
»Dummes Zeug, Fränzchen; ich scharmutziere mit den Schatten.«
»Das kannst du bleibenlassen.«
Er wollte ihre beiden Hände fassen; sie aber, die in diesem Augenblick sich nach der Gartenmauer umgesehen, zog ein Messerchen aus ihrer Tasche und schnitt damit die aufgeblühten Rosen aus den Büschen. »Ich werde Potpourri machen auf den Abend«, sagte sie, während sie die Rosen an der Erde sorgfältig zu einem Häuflein zusammenlegte.
Er sah geduldig zu; er wußte schon, man mußte sie gewähren lassen.
»Und nun?« fragte er, nachdem sie das Messer wieder eingeschlagen und in den Schlitz ihrer Robe hatte gleiten lassen.
»Nun, Konstantin? – – Beisammen sein und die Stunden schlagen hören.« – Und so geschah es. – Vor ihnen drüben in dem Zitronenbirnbaum flog der Buchfink ab und zu, und sie hörten tief im Laube das Kreischen der Nestlinge; dann wieder, ihnen selber kaum bewußt, drang das Schluchzen des unterhalb fließenden Wassers an ihr Ohr; mitunter sank eine Kaprifolienblüte zu ihren Füßen; von Viertelstunde zu Viertelstunde schlug drüben im Hause die Amsterdamer Spieluhr. Es wurde ganz stille zwischen ihnen. Aber der Drang, den geliebten Namen leibhaftig vor sich ausgesprochen zu hören, überkam den jungen Mann. – »Fränzchen!« sagte er halblaut.
»Konstantin!«
Und als würde er nach der langen Stille durch ihre Stimme überrascht und ihm erst jetzt das Geheimnis ihres Klanges offenbar, sagte er: »Du solltest singen, Fränzchen!«
Sie schüttelte den Kopf. »Du weißt, das taugt für Bürgermädchen nicht!«
Er schwieg einen Augenblick; dann faßte er ihre Hand und sagte: »Sprich nicht so! auch nicht im Scherz. Du hattest ja schon Lektionen beim Kantor. Was ist es denn?«
Sie sah ihn ernsthaft an; bald aber brach ein lustiger Glanz aus ihren Augen. »Nein«, rief sie, »schau nicht so finster! Ich will’s dir sagen – ich rechne zu gut!«
Er lachte und sie lachte mit. »Bist du mir aber auch zu klug, Franziska?«
»Vielleicht!« sagte sie, – und ihre Stimme erhielt plötzlich einen tiefen, herzlichen Klang, als sie es sagte. – »Du weißt noch gar nicht, wie! Als du erst hier in die Stadt versetzt warst und dann zu meinem Bruder Fritz ins Haus kamst, war ich ein kleines Mädchen, das noch zwei volle Schuljahre vor sich hatte. Nachmittags, wenn ich nach Haus gekommen, schlich ich mich öfters in den Saal, und stellte mich daneben, wenn ihr euch im Rapieren übtet. Aber du wolltest keine Notiz von mir nehmen. Einmal sogar, als deine Klinge mir in die Schürze fuhr, sagtest du: ,Setz dich ins Fenster, Kind.’ Du weißt wohl nicht, was das für böse Worte waren! – Nun aber begann ich auf allerlei Listen zu sinnen. Wenn Nachbarskinder bei mir waren, suchte ich dich durch eins der anderen Mädchen – ich selber hätt’ es nicht getan – zur Teilnahme an unsern Spielen zu veranlassen; und wenn du dann in unseren Reihen standest, –«
»Nun, Fränzchen!«
»Dann lief ich so oft an dir vorüber, bis du mich endlich doch an meinem weißen Kleidchen haschen mußtest.«
Sie war dunkelrot geworden. Er legte seine Finger zwischen ihre und hielt sie fest umschlossen. Nach einer Weile sah sie schüchtern zu ihm auf, und fragte: »Hast du denn nichts gemerkt?«
»Doch; endlich!« sagte er, »du bist ja endlich groß geworden.«
»Und dann? – Wie kam es denn mit dir?«
Er sah sie an, als müsse er ihr Antlitz befragen, ob er reden dürfe. »Wer weiß«, sagte er, »ob es je gekommen wäre! Aber die Frau Syndika sagte einmal – –«
»So sprich doch, Konstantin!«
»Nein; mir zulieb! Geh erst einmal den Steig hinauf!«
Sie tat es. Nachdem sie die abgeschnittenen Rosen in ihre Schürze gesammelt, ging sie, ohne ein Wort zu sagen, nach dem Gartenhause und trat bald darauf mit leeren Händen wieder aus der Tür. – Sie hatte zierliche Füße und einen behenden Tritt; aber sie stieß im Gehen, unmerklich fast, mit den Knien gegen das Gewand. Der junge Mann folgte dieser Bewegung, so wenig schön sie sein mochte, mit den glücklichsten Augen; er merkte es kaum, als die Geliebte jetzt wieder vor ihm stand. »Nun«, fragte sie, »was sagte die Frau Syndika? Oder war es eine von ihren sieben Töchtern?«
»Sie sagte« – und er ließ seine Augen langsam an ihrer feinen Gestalt hinaufgleiten – »sie sagte: ,Die Mamsell Fränzchen ist eine angenehme Person; aber gehen tut sie wie eine Bachstelze!«
»O du!« – – Und Fränzchen legte die Hände auf dem Rücken ineinander und sah freudestrahlend auf ihn nieder.
»Seitdem«, fuhr er fort, »konnte ich’s nicht wieder von mir bringen; überall hab ich müssen dich vor mir gehen und hantieren sehen.«
Sie stand noch immer vor ihm, schweigend und unbeweglich.
»Was hast du?« fragte er. »Du siehst so stolz und vornehm aus!«
Sie sagte: »Es ist das Glück!«
»O, eine Welt voll!« Und er zog sie mit beiden Armen zu sich nieder.
Es war eine andere Zeit; wohl über sechzig Jahre später. Aber es war wieder an einem Sommernachmittage, und die Rosen blühten auch wie dazumal. – In dem oberen Zimmer nach dem Garten hinaus saß eine alte Frau. Auf ihrem Schoße, den sie mit einem weißen Schnupftuch überbreitet hatte, hielt sie eine dampfende Kaffeetasse; doch schien sie heute des gewohnten Trankes zu vergessen, denn nur selten und wie in Gedanken führte sie die Tasse an den Mund.
Nicht weit davon, dem Sofa gegenüber, saß ihr Enkel, ein Mann über die Zeit der vollsten Jugend noch kaum hinaus. Er stützte seinen Kopf in die Hand und blickte nach den kleinen Familienbildern, die in silberner Fassung über dem Sofa hingen. Der Großvater, die Urgroßeltern, Tante Fränzchen, des Großvaters Schwester, – sie waren lange tot, er hatte sie nicht gekannt. Nun ließ er seine Augen von einem zum andern gehen, wie er schon oft getan, wenn er mit der Großmutter in der stillen Nachmittagsstunde beisammensaß. Auf Tante Fränzchens Bilde schienen die Farben am wenigsten verblichen, obwohl sie vor den Eltern und lange vor dem Bruder gestorben war. Die rote Rose in der weißen Puderfrisur war noch wie frisch gepflückt; auf der amarantfarbenen Kontusche zeichnete sich deutlich ein blaues Medaillon, das an einem dunklen Bande vom Halse auf die Brust herabhing. Der Enkel konnte nicht die Augen wenden von diesen kargen Spuren eines früh dahingegangenen Lebens; er blickte fast mit Inbrunst in das feine blasse Gesichtchen. Der Garten, wie er ihn als Knabe noch gesehen, trat vor seine Phantasie; er sah sie darin wandeln zwischen den seltsamen Buchsbaumzügen; er hörte das Knistern ihres Schuhes auf den Muschelsteigen, das Rauschen ihres Kleides. Aber die Gestalt, die er so heraufbeschworen, blieb allein; gebannt in dem grünen Fleckchen, das vor seinem inneren Auge stand. Was sich um die Lebende einst mochte bewegt haben, ihre Gespielinnen, die Töchter aus den alten finsteren Patrizierhäusern, den Freund, der nach ihr spähte zwischen den Büschen des Gartens, hatte er keine Macht ihr zu gesellen. »Wer weiß von ihnen!« sprach er vor sich hin; das kleine Medaillon war ihm wie ein Siegel auf der Brust des vor so langer Zeit verstorbenen Mädchens.
Die Großmutter setzte die Tasse auf die Fensterbank; sie hatte ihn sprechen hören. »Bist du in unserer Gruft gewesen, Martin?« fragte sie; »sind die Reparaturen bald zu Stande?«
»Ja,