Theodor Storm: Novellen, Märchen, Gedichte & Briefe (Ãœber 400 Titel in einem Band). Theodor StormЧитать онлайн книгу.
wie zufällig zwischen ihnen niederfiel. Als er aufsah, bemerkte er, wie der Blick eines schon älteren Frauenzimmers auf ihm verweilte und dann ebenso zu Angelika hinüberglitt. Ein Gefühl von Unbehaglichkeit überkam ihn; er wußte selbst nicht, war es das spürende Auge jener Fremden, war es die Leichtigkeit, womit Angelika jetzt zu dieser ein Gespräch begann.
Nach einer Weile stieß das Boot ans Ufer und die Gesellschaft stieg aus, um zu Lande nach der noch eine halbe Stunde weit entlegenen Stadt zurückzukehren. Auf halbem Wege wurde Rast gemacht; man setzte sich in bunter Reihe auf einen kleinen Rasenabhang, der im Rücken durch eine Tannenwand geschützt war. In der Tiefe zu ihren Füßen jenseit eines abschüssigen Wiesengrundes lag die finstere Masse eines Buchenwaldes; von dort aus wetterleuchtete es manchmal; dazwischen flogen die Fledermäuse. Ehrhard saß an dem einen, Angelika wie auf Verabredung an dem andern Ende der ziemlich langen Reihe. Als er sich mit dem Arm auf den Rasen zurücklehnte, sah er wie durch einen Schleier die Umrisse ihres Nackens und ihres hellen Kleides; nur die weiße Rose, die sie im Haar trug, schimmerte ein wenig deutlicher. Soeben legte sie die Hand daran, die Finger nestelten in ihrem Haar. – Es wetterleuchtete wieder. »Sieh, sieh!« riefen die Mädchen; und in demselben Augenblick flog hinter ihrem Rücken die Rose zu Ehrhard hinüber. Angelika hatte sich zurückgeneigt; in dem plötzlichen Wetterschein sah er ihr lächelndes Angesicht, ihre Hand, die ihm die Blume zuwarf. Dann war alles wieder dunkel; einzelne Tropfen fielen; ein dumpfes Donnern rollte in der Ferne.
Man stand auf, um noch beizeiten die Stadt zu erreichen. Ein süßer, schwerer Sommerduft stieg aus den Wiesen, an denen der Weg entlangführte. Ehrhard ging langsam hinten nach, in dem träumerischen Bewußtsein, daß eine jener jugendlichen Gestalten, deren Geplauder dort aus dem Dunkel zu ihm herüberklang, so ganz und aller Welt geheim die Seine sei.
Zu Hause angelangt, setzte er sich an seinen Schreibtisch und begann eine Arbeit, die in den nächsten Tagen abzuliefern war. Die Fenster standen offen, das Gewitter hatte sich verzogen; nur manchmal blätterte der Nachtwind in den vor ihm liegenden Papieren.
Plötzlich war es ihm, als spüre er Angelikas Nähe. Er sah sich unwillkürlich um; aber das Zimmer war leer und still wie immer. Die Uhr wies schon auf Mitternacht. – Es war nicht Angelika; es war nur der Duft der Rose, die vor ihm auf dem Tische lag.
Angelikas Mutter hatte für die Zukunft ihrer Tochter nur den einfachen Wunsch, sie Gattin und Mutter werden zu sehen, wie sie es selbst geworden war, ohne sich noch des der Jugend eingeborenen Gefühles bewußt zu sein, daß auch diese sittlichen Verhältnisse zu ihrer keuschen und vollen Entwicklung der Leidenschaft als ihres natürlichen Einganges bedürfen. Sie sah es daher gern, und gab auch wohl Gelegenheit dazu, daß Angelika in geselligen Verkehr trat, welcher eine Verwirklichung jenes Wunsches herbeiführen konnte. Diese selbst, wie es der sinnlichen Empfänglichkeit der Jugend und dem Gefühl der Schönheit entsprechend ist, sah sich gern in Gewändern, die gleich ihren Gliedern zart und schmiegsam waren, und konnte sich ein Gefühl glückseligen Übermutes nicht versagen, wenn dann auch andere Augen an ihr hingen, als die des resignierten Mannes, in welchem gleichwohl ihr Herz allein bestehen wollte. Ehrhard dagegen suchte umsonst einen eifersüchtigen Unmut zu bekämpfen, wenn ihr selbst auch von Frauen Vertraulichkeiten erwiesen wurden, mit denen er vor anderen ihr nicht begegnen durfte. Es tat ihm weh, wenn in seiner Gegenwart von ihr gesprochen wurde als von einer Dritten, an der er keinen nähern Anteil habe, so daß er oft wie durch einen körperlichen Schmerz zusammenschrak, wenn nur der Name Angelika genannt wurde.
Sie tanzte gern, und wenn nun er, den die Beschränktheit seines Lebens von solchen Dingen ausgeschlossen hatte, auch sie davon zurückzuhalten suchte, so konnte sie nicht umhin, dies als eine Laune zu empfinden, wodurch sie ohne Grund in dem Gefühle ihrer Jugend verkümmert werde; um so mehr, als er durch sein Verhältnis zu ihr sie für derartige Entsagungen nicht zu entschädigen vermochte.
Während das heimliche Wachsen und Drängen solcher Gegensätze die Sicherheit ihres Herzens störte und sie wenig geneigt machte, für den Freund in den seltenen Minuten des Alleinseins ein offenes Ohr zu haben, war der Tag einer Herbstfeier herangekommen, bei welcher die jungen Leute sich abends im Saale des Stadthauses zum Tanze zu versammeln pflegten. Unaufgefordert hatte Angelika: »Ich gehe nicht!« gesagt; als jedoch späterhin einige der Tänzer ihre Teilnahme von der Mutter erbeten und von dieser ohne der Tochter Zuziehung und Mitwissen eine bereitwillige Zusage erhalten hatten, wußte sie, da sie den eigentlichen Grund ihrer Weigerung nicht offenbaren durfte, der also entschiedenen Frau nichts entgegenzusetzen, weshalb diese einer nach ihrer Ansicht so unjugendlichen Grille hätte nachgeben sollen. So mußte denn die Tochter nachgeben; nicht ohne dieses und die Freudigkeit, womit sie sich gezwungen sah, wie eine geheime Schuld gegen den Geliebten und wiederum zugleich eine Gereiztheit gegen ihn zu empfinden, daß er sie in diese Gemütslage gebracht und sie daher das ihr nur gleichsam aufgedrungene Vergnügen dennoch nicht ungetrübt werde genießen können.
Es war einige Tage vor dem Festabende, als Ehrhard das Resultat dieser Vorgänge im Gespräch mit Dritten erfuhr. Mit dem Scharfsinn der Leidenschaft erkannte er sogleich, was hier geschehen war; dennoch aber, oder vielleicht deshalb und weil er alles bis in die dunkelsten Motive nachempfand, suchte er umsonst sich selbst zu überzeugen, daß in einer solchen Sache Angelika den Willen der Mutter, der in letzter Verwirklichung doch nur ihre Trennung beabsichtige, als eine Notwendigkeit habe anerkennen müssen. – Er hatte eben zu ihr gehen wollen; nun ging er nicht. Denn er sah sehr wohl, daß hier nichts mehr zu ändern sei, und so wollte er, wie jede Äußerung darüber, so auch jede Bestätigung aus ihrem Munde vermeiden, und lieber, was geschehen würde, wie ein Ganzes und Unabwendliches über sich kommen lassen.
Als der Abend des Festes da war, saß Ehrhard zwischen weitschichtigen Arbeiten an seinem Schreibtisch, in die er sich gewaltsam zu vertiefen suchte. Bald aber störte ihn das Rollen der Wagen, die durch die sonst so stille Straße nach dem Stadthause fuhren. Er stand auf und trat ans Fenster. Es war dunkel draußen; nur wenn eine Kutsche im raschen Trabe vorüberfuhr, warfen die Laternen einen flüchtigen Schein an die Mauer der gegenüberstehenden Häuser. Ehrhard rätselte vergebens, ob auch Angelika dort unten in der Dunkelheit an ihm vorüberfliege. Er hielt den Atem an, er horchte auf jedes Rollen, das von unten aus der Stadt heraufdrang; und wenn es näher kam, wenn schon der Hufschlag auf dem Pflaster hallte, paßte er gespannt auf die Kutschenfenster und suchte im Fluge den mattbeleuchteten Fond des Wagens zu durchdringen; aber ein Häufchen Flor, der Schimmer eines weißen Gewandes oder eines Blumenstraußes war alles, was seine Augen erhaschten. Als auch der letzte Wagen vorüber war, und nachdem er das Fenster geöffnet und lange Zeit vergebens in die Stadt hinabgelauscht hatte, setzte er sich aufs neue an seinen Schreibtisch und hörte zwischen der Arbeit, die er mit Mühe wieder aufgenommen, nur noch die Menschen auf der Straße hin und wider gehen, und endlich, als es später geworden war, das Klappen der Läden und das Schließen der Haustüren in der Nachbarschaft. Dann drang unmerklich ein anderer Laut zu ihm herüber – von dorther, wohin vor Stunden er die Wagen hatte fahren sehen – und drängte sich dunkel in seine Vorstellungen. Er legte die Feder nieder; er besann sich, daß das Musik sei, und bald hörte er es deutlicher; denn der Wind erhob sich, oder vielleicht eine Tür im Festhause drunten war geöffnet worden. Er arbeitete nicht mehr; er vermochte es nicht. Ihm war, als stehe seine Jugend in unendlicher Ferne hinter ihm, und strecke mit schmerzlicher Gebärde die Arme nach ihm aus.
Die Stunden vergingen. Als er aber endlich von seinem Tische aufstand, da war es doch nur die feine, zärtliche Gestalt Angelikas gewesen, auf der sein inneres Auge so lang und voll Sehnsucht geruht hatte. Ein Gefühl unnennbaren, unverhofften Glückes überkam ihn, als er sich dessen bewußt wurde; was auch geschehen sei, sie war ihm nicht verloren. Die Uhr wies weit nach Mitternacht; es wurde wieder lauter in der Stadt, die ersten Wagen begannen zu rollen. In einem plötzlichen Entschluß, voll Ungeduld, kleidete er sich an und ging auf die Straße hinab. Er gedachte nicht mehr dessen, was kurz zuvor geschehen war; er hatte keinen Wunsch und keine Gedanken, als sie zu sehen.
Die Fenster des Stadthauses leuchteten weit durch das Dunkel hinaus. Ehrhard hörte die Musik und sah in den Vorhängen die Schatten der Tanzenden. Er hielt sich nicht auf, er trat unter das Portal, als eben ein Wagen vor der breiten hell erleuchteten Treppe anfuhr. Oben im Hause wurden Türen auf-und zugeschlagen, dann rauschte es am Treppengeländer und eine jugendliche Gestalt stieg