Butler Parker 103 – Kriminalroman. Günter DöngesЧитать онлайн книгу.
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»Ein äußerst angenehmer und reizvoller Anblick«, stellte Butler Parker wohlwollend fest und musterte eingehend das schlanke, biegsame Girl, das gerade über die Bühne tänzelte und die nächsten Artisten ankündigte. Dieses Nummerngirl gehörte eigentlich auf das Titelblatt einer exklusiven Modezeitschrift.
Parker nahm sich die Freiheit und beugte sich ein wenig vor, um das Mädchen eingehender zu betrachten. Es trug einen knappen, einteiligen Badeanzug aus grüner Seide. Das Haar war tizianrot, die Wangenknochen standen hoch, und die Augen erinnerten in ihrem schrägen Schnitt an die einer rassigen Katze. Von dieser Frau ging ein exotischer Hauch aus. Der Applaus dauerte erstaunlich lange und wurde unterstützt von den schwarz behandschuhten Händen des Butlers.
»Mäßigen Sie sich, Mister Parker«, mahnte Agatha Simpson, die mit ihrem Butler an einem Tisch in einer Seitenloge saß. »Reißen Sie sich gefälligst zusammen, Sie sind doch kein Jüngling mehr!«
Josuah Parker war immerhin ein gesetzter Mann unbestimmbaren Alters, von dem viel Würde und Gemessenheit ausging. Sein glattes Pokergesicht verriet nur in seltenen Fällen eine Andeutung von Gemütserregung. Er war ein Mann, der sich meistens unter Kontrolle hatte, trug einen schwarzen Zweireiher, der ein wenig altertümlich zugeschnitten war, schwarze Schuhe derber Qualität, einen steifen Eckkragen und eine schwarze Krawatte. Selbst seinen obligaten Universal-Regenschirm hatte er nicht an der Garderobe abgegeben. Dieses vielseitige Schutzgerät mit dem ausgeprägten Bambusgriff stand an der Logenbrüstung, auf der Parkers schwarze Melone deponiert war. Josuah Parker war rein äußerlich ein Butler, wie er eigentlich nur noch im Film zu sehen ist.
Nicht weniger interessant sah Lady Agatha aus.
Sie war etwa sechzig Jahre – über ihr genaues Alter sprach sie nicht gern –, hochgewachsen und durchaus vollschlank. Sie besaß ein volles Gesicht, ein sehr energisches Kinn, das ihrem Wesen entsprach, und eine Adlernase. Beherrschend in diesem Gesicht waren die dunklen, stets etwas funkelnden Augen, die sehr abweisend wirken konnten.
Ihre majestätische Gestalt, die auf strammen Beinen stand, war meist bedeckt von unmöglich aussehenden Kostümen aus derbem Tweed. Ihre Füße bewegten stets ausgetretene, alte Schuhe. Auf Myladys weißem Haar saßen unmöglich aussehende Hüte, die an Südwester erinnerten, an ihrem Handgelenk baumelte ein Pompadour mit seltsamem Inhalt. Dieser Inhalt war ein echtes Hufeisen, um das sie aus Gründen der Humanität allerdings stets ein leichtes Taschentuch zu wickeln pflegte. Eine schreckliche und wirkungsvollere Waffe konnte man sich kaum vorstellen. Neckischerweise pflegte Mylady dieses Hufeisen ihren Glücksbringer zu nennen.
Agatha Simpson war immens reich, kümmerte sich aber kaum um ihr Vermögen und um die Stiftungen. Ein ausgeklügeltes System von Kontrollen hinderte ihre Verwalter daran, dieses Vermögen zu mindern oder gar zu gefährden. Die Lady, die mit dem Geldadel der britischen Krone verschwistert und verschwägert war, konnte damenhaft wie eine Herzogin und ordinär wie ein Fischerweib aus Hüll sein. Sie hielt sich für sportlich und handelte dementsprechend recht kühl. Da Agatha Simpson ein wenig kurzsichtig war, übersah sie meist die Gefahren, die am laufenden Band ihren Weg kreuzten. Was ihr überhaupt nichts ausmachte, denn sie liebte das Abenteuer in seiner vielfältigen Form.
Seitdem Parker in ihren Diensten stand, fühlte Mylady sich außerordentlich wohl. Dieses seltsame Zweigespann wirkte auf Kriminal- und Spionagefälle wie ein Magnet auf Eisenfeilspäne. Sie mochten sich noch so sehr zurückhalten, im Endeffekt wurden sie immer wieder mit haarsträubenden Abenteuern konfrontiert, nahmen diese Herausforderungen allerdings auch immer willig an.
Agatha Simpson und Josuah Parker sahen sich das recht durchschnittliche Varieté-Programm an. Einziger Lichtblick war die langbeinige, biegsame Frau, die als Nummerngirl fungierte. Das fanden auch die übrigen Zuschauer. Sie gerieten jedesmal aus dem Häuschen, wenn die Frau auf der Bühne erschien.
Nur langsam ebbte der rauschende Beifall ab, der eindeutig ihr gegolten hatte.
Auf der Bühne erschien eine Soubrette, die schon angejahrt wirkte. Sie sang mit eindeutig zu schriller Stimme von ihrer Liebe zum flachen Land und sehnte sich erstaunlicherweise danach, ein einfaches Leben in den Highlands von Schottland zu führen, wogegen ihre Zuhörer ohne Ausnahme nichts einzuwenden hatten.
In der zweiten Strophe, die sie leichtsinnigerweise ebenfalls noch sang, fragte sie sich bewegt, warum sie dieses Leben nicht lebte, wo doch Schafe, Ziegen und Kühe auf sie warteten.
Einer der aufmerksamen Zuhörer rief daraufhin laut dazwischen, es bestünde dann wohl die Gefahr, die Milch dieser glücklich gepriesenen Kühe könne sauer werden.
Die allgemeine Zustimmung war im Grund wenig vornehm. Die Zuhörer forderten sie fast einmütig auf, möglichst schnell in die Highlands zu fahren und waren bereit, ihr eine Fahrkarte zu spenden. Das nahm die Soubrette übel und verließ schleunigst die Bühne. Ob sie tatsächlich sofort abreisen wollte, war nicht zu ermitteln.
Lady Agatha Simpson lachte wie ein Fuhrknecht und wischte sich die Freudentränen aus den Augenwinkeln. Sie amüsierte sich köstlich. Butler Parker gestattete sich sogar, andeutungsweise zu schmunzeln, ein sicheres Zeichen, daß auch er eine gewisse Fröhlichkeit verspürte.
Leider wurde die wohltuende Freude sämtlicher Zuhörer empfindlich gestört, als hinter den Kulissen ein Schuß fiel, dem unmittelbar darauf ein spitzer Schrei folgte.
*
»Sie wird sich doch nicht umgebracht haben, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha hoffnungsfroh bei ihrem Butler. Ihre dunklen Augen funkelten äußerst animiert.
»Ich fürchte, Mylady enttäuschen zu müssen«, gab Parker gemessen und ungemein höflich zurück. »Die Sängerin machte auf meine bescheidene Wenigkeit einen recht robusten Eindruck.«
»Schauen Sie wenigstens mal nach, Mister Parker«, bat Lady Agatha energisch. »Man soll nie die Hoffnung aufgeben.«
»Wie Mylady wünschen.« Parker erhob sich, deutete eine steife, korrekte Verbeugung an, setzte sich die steife Melone auf und griff nach seinem Universal-Regenschirm. Dann entfernte er sich ohne jede Hast aus der Loge.
Lady Agatha beugte sich über die Brüstung der Loge und beobachtete angeregt das Durcheinander unten im Parkett. Die Gäste riefen und schrien durcheinander, rannten aufgeschreckt herum und stürmten entschlossen die Bühne. Möglicherweise rechneten sie wirklich mit dem Selbstmord der Soubrette, vielleicht fürchteten sie aber auch nur um das Leben des langbeinigen Nummerngirls. Es waren handfeste Männer, die fast durchweg zu jener internationalen Gesellschaft gehörten, die draußen im Atlantik nach Öl bohrte.
Als plötzlich das Licht in der Music hall erlosch, war das Tohuwabohu perfekt. Lady Agatha lehnte sich zufrieden zurück und genoß das erfreuliche Treiben. Mit dem ihr eigenen Instinkt witterte sie Komplikationen, ja, sogar einen interessanten Fall. Schließlich war sie zusammen mit ihrem Butler nicht grundlos hierher an die schottische Ostküste gekommen, um in dem Ferienort Montrose südlich von Aberdeen Quartier zu nehmen. Gewisse Kreise hatten sie und den Butler wieder mal gebeten, sich helfend einzuschalten. Der Startschuß dazu schien eben erst gefallen zu sein.
Obwohl es stockfinster im Saal war und die Notbeleuchtung aus unerfindlichen Gründen nicht brannte, obwohl der Lärm riesengroß war, merkte die alte, streitbare Lady plötzlich, daß sie nicht mehr allein in der kleinen Loge war.
Irgendwer mußte sich hereingestohlen haben.
Lady Agatha reagierte augenblicklich und sehr konsequent. Sie versetzte ihren Pompadour am Handgelenk in wirbelnde Bewegung und – stieß mit dem darin befindlichen Glücksbringer auf ein Hindernis. Ein häßliches Knirschen war zu hören, dann ein unterdrücktes Stöhnen und schließlich ein dumpfer Fall.
»Mister Parker?« fragte Agatha. Simpson sicherheitshalber. Als die Antwort ausblieb, in diesem Augenblick aber auch die Notbeleuchtung eingeschaltet wurde, entdeckte sie zu ihrer Erleichterung, daß sie ihren Butler nicht außer Gefecht gesetzt hatte. Zu ihren Füßen lag ein untersetzter, massiv aussehender Mann von etwa vierzig Jahren, der eine hüftlange, schwarze Lederweste trug. Seine Jeans steckten in Gummistiefeln, die brandneu aussahen, in der leicht geöffneten Hand dieses Mannes befand sich ein ansehnlicher Schraubenschlüssel, um den ein Fetzen Schaumstoff gewickelt war.