Butler Parker 103 – Kriminalroman. Günter DöngesЧитать онлайн книгу.
dann einen Schrei des Entsetzens aus, der die Notbeleuchtung wieder verlöschen ließ.
*
»Eine beschämend magere Ausbeute, Mister Parker«, stellte Lady Agatha eine knappe Stunde später fest. Sie befand sich zusammen mit ihrem Butler im »St. Cyrus«, einem kleinen, angenehmen Hotel am Stadtrand von Montrose. Der Butler hatte sie in ihre Zimmerflucht hinaufgeleitet und sah sich jetzt die Gegenstände an, die seine Herrin erbeutet hatte.
»Wenn Mylady gestatten, möchte ich widersprechen«, antwotete Josuah Parker und sortierte die Gegenstände, »aus dem Lohnzettel geht hervor, daß der ungebetene Besucher von Myladys Loge ein gewisser Dan Mulligan ist, der für die ›Battersea Oil Company‹ arbeitet, und zwar als Vormann, wie hier zu ersehen ist.«
»Was besagt das schon?« ärgerte sich die streitbare Dame. »Ich bereue es jetzt, daß ich dieses Subjekt nicht mitgeschleppt habe.«
»Diesem Unterfangen hätten sich mit Sicherheit einige Schwierigkeiten entgegengestellt«, behauptete der Butler gemessen, »besagter Dan Mulligan wird sich jederzeit finden lassen.«
»Wollte er mich wohl umbringen?« Lady Simpson deutete auf das Klappmesser, das sie ebenfalls in den Taschen des Mannes gefunden hatte.
»Man wird Mister Mulligan bei Gelegenheit danach fragen müssen, Mylady.«
»Ich freue mich schon jetzt darauf.« Lady Simpsons Augen funkelten animiert. »Dieses Subjekt ist von mir doch viel zu sanft behandelt worden.«
»Möglicherweise dürfte Mister Mulligan darüber erheblich anderer Ansicht sein, Mylady«, gab der Butler zurück, der den Glücksbringer natürlich kannte. Während er noch redete, nahm er drei Ansichtspostkarten hoch. »Ein erstaunlich schreibfreudiger Vorarbeiter.«
»Drei verschiedene Adressen, aber alle in London«, sagte Lady Simpson, die die Postkarten bereits kannte. »Dieser Lümmel teilt den Empfängern mit, daß es ihm gutgeht. Seine nächste Ansichtskarte wird nicht mehr so optimistisch klingen, hoffe ich wenigstens.«
Josuah Parker überflog die wenigen Zeilen auf den drei Postkarten, die nichtssagend klangen und dem üblichen Text auf Ansichtskarten entsprachen. Dennoch fertigte Parker sich gewissenhaft Kopien dieser knappen Texte an und notierte sich auch die Anschriften. Kleinigkeiten, das hatte ihn die Erfahrung gelehrt, waren oft wichtiger als lautstarke Ereignisse.
»Mister Mulligan scheint ein eifriger Besucher der Music hall zu sein«, stellte der Butler fest und zeigte seine Herrin ein halbes Dutzend abgerissener Eintrittskarten. »Mister Mulligan scheint in der vergangenen Woche jeden Abend Gast der Vorstellung gewesen zu sein.«
»Was folgern Sie daraus?« Lady Simpson sah ihren Butler erwartungsvoll an.
»Er dürfte ein Liebhaber des Varietés sein, Mylady.«
»Sie haben eben keine Phantasie, Mister Parker«, tadelte sie prompt, »ich als Schriftstellerin und Künstlerin sehe das ganz anders.«
»Mylady haben bereits eine bestimmte Theorie?« Parker wußte nur zu gut um das neue Hobby der Agatha Simpson. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, eine gewisse Agatha Christie in den Schatten zu stellen. Mylady arbeitete an ihrem ersten Kriminalroman, der die Fachwelt in Erstaunen und Entzücken zugleich versetzen sollte. Sie arbeitete daran schon seit einigen Monaten und gab sich noch den unbedingt notwendigen Vorstudien hin.
Seit dieser Zeit entwickelte die Detektivin am laufenden Band Themen und Theorien. Ihr Erfindungsreichtum in dieser Hinsicht war mehr als erstaunlich. Selbst Butler Parker war kaum noch in der Lage, den Gedankensprüngen der streitbaren Lady nachzukommen.
»Natürlich habe ich eine bestimmte Theorie«, gab die Sechszigjährige also zurück, »da das Programm bis auf das Nummerngirl miserabel ist, hat er sich entweder in dieses Nummerngirl verliebt, oder aber er hat einen anderen Grund, den wir noch herausfinden müssen.«
»Sehr überzeugend, Mylady«, erwiderte der Butler, ohne eine Miene zu verziehen.
»Was ist denn das?« fragte Agatha Simpson und wechselte das Thema, als sie auf einen billig aussehenden Ring stieß, den ihr Butler aussortiert hatte. »Ist das nicht geradezu geschmacklos? Wie kann man nur solch einen Glasstein mit sich herumschleppen?«
Parker hielt den Ring mit dem einfach gefaßten Glasstein prüfend gegen das Licht.
»Ich möchte nicht unbedingt widersprechen«, sagte er dann in seiner unnachahmlich höflichen Art, »aber Mylady irren möglicherweise.«
»Wieso?«
»Dieser angebliche Glasstein, Mylady, ist ein Diamant!«
»Ausgeschlossen, Mister Parker!« Sie sah ihn und dann den Stein verächtlich an. »Ich weiß doch schließlich, was Qualität ist!«
»Gewiß, Mylady.« Parker verzichtete auf lange Erklärungen, ging zum Fenster und ließ die Kante des großen Steins über das Glas gleiten. Es knirschte sanft, während ein deutlich sichtbarer Kratzer zurückblieb.
»Lassen Sie dieses impertinente Grinsen«, hauchte Mylady ihren Butler daraufhin an, obwohl Parker nun wirklich keinen Muskel im Gesicht verzogen hatte. »Ausnahmsweise haben Sie mal das große Los gezogen. Wie kommt solch ein Subjekt an solch einen teuren Stein, der wenigstens einen halben Karat schwer ist?«
»Darauf vermag ich im Moment nicht zu antworten«, gestand Josuah Parker, »aber lange wird man wohl nicht warten müssen, bis besagter Mister Mulligan versuchen wird, sich den Stein wieder zurückzuholen. Eine gewisse Vorsicht für den Rest der Nacht dürfte demnach angeraten sein.«
»Sie machen mir Hoffnung«, freute sich die ältere Dame und sah in diesem Augenblick sehr grimmig aus. »Ich hoffe, daß er mich nicht enttäuscht!«
*
Das langbeinige Nummerngirl befand sich in seiner sehr kleinen Garderobe und benahm sich recht eigenartig.
Die junge fünfundzwanzigjährige Frau hatte sich das mehr als knappe Kostüm abgestreift und schlüpfte gerade in einen dünnen Schminkkittel. Sie huschte zur Tür, lauschte nach draußen und lief dann zu der winzigen Dusche, in der ein Hocker stand. Sie stieg auf diesen Hocker, stellte sich auf die Zehenspitzen und schob ihren Kopf an das Entlüftungsgitter heran, das total verrostet war.
Stimmen waren mehr als deutlich zu hören. Sie gehörten einer Frau und einem Mann.
»Nun hab’ dich bloß nicht so«, sagte die Frau verächtlich. »Warum sollte der Schuß ausgerechnet dir gegolten haben?«
»Das Ding pfiff haarscharf an mir vorbei.«
»Einbildung.«
»Ich habe doch deutlich den Luftzug gespürt. Ein paar Zentimeter näher, und ich wäre draufgegangen, Lana.«
»Daß du immer alles dramatisieren mußt, Herbert«, erregte sich die Frau, die Lana hieß, »du hast nur Angst, das ist es!«
»Und ob ich Angst habe! Wir hätten uns nie darauf einlassen sollen, Lana. Ich hab’ das Gefühl, daß man uns bereits durchschaut hat.«
»Wer denn?«
»Na, die Gegenseite, Lana. Du weißt doch auch, daß hier mit verdammt harten Bandagen gekämpft wird.«
»Dafür verdienen wir auch nicht schlecht. Soviel Geld haben wir noch nie so schnell gemacht.«
»Laß uns verschwinden, Lana, noch könnten wir es schaffen!«
»Ausgeschlossen, Herbert, den Schnitt hier lasse ich mir nicht entgehen.«
Das Nummerngirl hätte liebend gern weiter zugehört, doch es hatte die ganze Zeit über die Tür zur kleinen Garderobe nicht aus den Augen gelassen. Es sah jetzt, wie der Türknauf vorsichtig bewegt wurde. Ein ungebetener Besucher schien hereinkommen zu wollen, heimlich und verstohlen.
Das Nummerngirl reagierte augenblicklich und sehr geschickt. Viel Zeit stand der jungen Frau nicht mehr zur Verfügung. Sie streifte sich blitzschnell den dünnen Schminkmantel vom Körper, schob den Hocker vor die Dusche und sorgte