Leni Behrendt Staffel 5 – Liebesroman. Leni BehrendtЧитать онлайн книгу.
denn doch nicht hervorwagte – obgleich sie vor Wut förmlich schäumte. Es war ein sehr böser Blick, mit dem sie der Mutter nachsah, die in die Küche ging, und die Tür nachdrücklich hinter sich schloß.
Mißmutig erhob sich wenig später das Mädchen, da die Mutter zum Abendessen rief. Spielte die Schwergekränkte, aß fast nichts.
Am nächsten Morgen erschien Ebba zur gewohnten Zeit am Frühstückstisch, ohne daß sie von der Mutter geweckt worden war. Sie betrachtete diese als Luft und fragte nur, nachdem sie gegessen hatte, schroff: »Wo ist mein zweites Frühstück?«
»Was willst du damit?«
»Komische Frage. Ich gehe zum Dienst.« Die Mutter betrachtete ihr Kind so eingehend, als sähe sie es heute zum ersten Mal.
»Sag mal, Ebba, bist du nun naiv – oder unverschämt? Nach alldem, was gestern zwischen Herrn Hadebrandt und dir vorgefallen ist, hast du wirklich den traurigen Mut, ihm noch einmal unter die Augen zu treten? Besitzt du tatsächlich keine Spur von Schamgefühl?«
»Ach Mutti – seiner Liebe braucht sich doch kein Mensch zu schämen«, hielt Ebba es für richtig, jetzt die Wehleidige zu spielen.
»Seiner Liebe nicht«, kam es hart zurück. »Aber seiner Aufdringlichkeit, mit der man sich einem Mann an den Hals wirft. Hauptsächlich dann, wenn man noch so jung ist. Herr Hadebrandt hat sich sein Urteil über dich gebildet. Er mag dich nicht mehr sehen. Weder in seinem Betrieb noch in seinem Haus. Du wirst beides fortan meiden.«
»Ja, aber was soll ich denn anfangen. Ich muß doch irgendwie arbeiten.«
»Und wie du das wirst, mein Kind! Wenn im Herbst der neue Lehrgang beginnt, kommst du auf die Handelsschule. Bis dahin nimmst du Unterricht in Sprachen, um dich darin zu vervollkommnen. Ich werde mich gleich nach einer passenden Lehrkraft umsehen.«
Am liebsten hätte sich Ebba nach gewohnt unverschämter Art widersetzt, allein die ganze Haltung der Mutter warnte sie davor. Doch um so aufsässiger waren ihre Gedanken. Die sollten sich nur nicht einbilden, daß sie ungestraft so mit sich umspringen ließ.
Tückisch glitzerte es in Ebbas Augen auf, was Mechthild jedoch entging, daß sie sich gerade zum Gehen wandte. Als sie die Wohnung verlassen hatte, sah Ebba ihr durch das Fenster nach, bis sie im Straßengewühl verschwunden war. Dann steckte sie den Türschlüssel ein und machte sich auf den Weg zu Holger Hadebrandt, den sie in seinem Privatzimmer antraf. Der traute seinen Augen kaum, als das Mädchen vor ihm stand. So viel Unverfrorenheit war dem menschenkundigen Mann noch nicht begegnet.
Er legte sich in seinem Stuhl zurück, verschränkte die Arme über der Brust und sah sie unter halbgeschlossenen Lidern hervor an.
»Sagen Sie mal, Fräulein Runard, was ist nun stärker in Ihnen – die Dummheit oder die Unverschämtheit?«
»Herr Hadebrandt, ich bitte mir
aus –«
»Und ich auch«, fiel er ihr gelassen in die Rede.
»Nämlich, daß Sie möglichst schnell die Tür von außen zumachen. Denn mit Menschen ihres Schlages möchte ich nichts mehr zu tun haben. Die widern mich in tiefster Seele an.«
Nun brach Ebba in Tränen aus, was den Mann absolut nicht rührte. Eiskalt war seine Stimme, als er fortfuhr:
»Spielen Sie mir hier gefälligst kein Theater vor. Ich falle darauf nicht herein wie Ihre arme Mutter, die an ihrer mißratenen Tochter eines Tages zugrunde gehen wird. Daß Sie sich schämen sollen, kann ich von Ihnen nicht verlangen. Denn nach allem, was ich mit Ihnen erlebt habe, sind Sie jeden Schamgefühls bar. Also wird es Ihnen auch nichts ausmachen daß ich sie hinausweisen muß, nicht wahr?«
Diesem eiskalten Hohn war selbst Ebbas Unverschämtheit nicht gewachsen. Einen Augenblick lang verharrte sie noch unschlüssig, dann warf sie ihm einen verachtungsvollen Blick zu und verließ hocherhobenen Hauptes das Zimmer. Damit glaubte sie sich einen würdigen Abgang verschafft zu haben.
Die Wut, die in ihr tobte, erstickte sie fast. Waren denn plötzlich alle verrückt geworden? Zuerst das unerhörte Benehmen ihrer Mutter und nun das direkt unverschämte dieses Menschen! Was dachten die sich so eigentlich?
Im Sturmschritt eilte sie nach Hause und atmete trotz ihrer aufrührerischen Gedanken doch erleichtert auf, als die Mutter von ihrem Ausgang noch nicht zurück war. Angst hatte sie zwar keine, aber besser war es schon so. Sie ging auf ihr Zimmer, warf sich auf das Bett und gab sich ihren rachesüchtigen Gedanken hin. Wenn sich die erfüllten, hätten viele Menschen eines qualvollen Todes sterben müssen, selbst die unschuldigen Enkelkinder der Frau Hadebrandt. Doch als sie die Mutter kommen hörte, hielt sie es trotz allem für besser, ihr entgegenzugehen.
»Nun, Mutti?« forschte sie neugierig.
»Du kannst morgen schon mit den Stunden beginnen«, gab diese freundlich Antwort, so daß Ebba zum zweiten Male erleichtert aufatmete.
»Wer wird mir die Stunden geben?« fragte sie weiter.
»Eine Dame, die sich viel im Ausland aufgehalten hat und daher die für dich in Frage kommenden Sprachen tadellos beherrscht. Ich habe sehr bitten müssen, daß sie dich überhaupt annahm; denn sie ist von Stundengängern überlaufen. Vier Tage in der Woche kann sie dich noch einschieben.
Dann habe ich deinen früheren Schuldirektor aufgesucht, um mich bei ihm zu erkundigen, wie du in den anderen Fächern stehst. Trotzdem er sich recht taktvoll ausdrückte, konnte ich heraushören, daß du in keinem richtig firm bist. Unbegabt bist du nicht – aber faul. Wenn du dir also Mühe gibst, könntest du in der Handelsschule viel Versäumtes nachholen.
Du siehst, Ebba, daß ich dir einen Weg geebnet habe, so gut ich kann. Es liegt nun an dir, wie du ihn gehen willst. Aber ich hoffe, daß du endlich Vernunft annehmen wirst. Denn schließlich feierst du nächsten Monat deinen achtzehnten Geburtstag. In dem Alter haben viele Mädchen schon ernstere Pflichten als du. Willst du mir nun versprechen, fortan mein liebes, verständiges Kind zu sein?«
»Natürlich, Mutti. Mach dir keine Sorgen, ich werde schon meinen Weg gehen«, prahlte das Mädchen.
»Das sollte mich freuen, Ebba. Wollen wir nun alles vergessen und ein neues Leben beginnen – dir zum Segen und mir zur Freude?«
*
In den nächsten Wochen sah es so aus, als ob Ebba tatsächlich Vernunft angenommen hätte. Sie lernte in den Stunden fleißig und war so lieb zur Mutter, wie sie es vordem nie gewesen, so daß diese nun wirklich ihre Freude an ihr hatte. Mehr denn je lebte sie für ihr Kind, bot ihm Zerstreuung, wo sie nur konnte. Erfüllte ihm so manchen Wunsch, der oft über ihren Etat ging. Wie zwei gute Freundinnen unternahmen sie alles gemeinsam.
Vielleicht wäre auch weiter alles gutgegangen und Ebba ein nützliches Glied der Menschheit geworden, wenn das Schicksal es nicht anders bestimmt hätte. So wollte es das Unglück, daß Mechthild sich eine böse Blutvergiftung zuzog, die sie zwang, in ein Krankenhaus zu gehen. Trotz großer Schmerzen, sorgte sie noch für ihr Kind, bevor sie in das Haus hineinging. Brachte es bei einer bekannten sehr lieben alten Dame unter, die versprach, für Ebba zu sorgen.
Also siedelte das Mädchen dorthin über, und Mechthild begab sich in das Krankenhaus. Das geschah schon fast zu spät; denn die Vergiftung hatte bereits bedenkliche Fortschritte gemacht.
Ebba gefiel es bei der alten Dame gut. Sie wurde verwöhnt, hatte viel Freiheit, die sie nach Herzenslust auskostete.
Als sie einige Tage später die Straße entlangschlenderte, um Abenteuer zu suchen, hielt ein Auto dicht neben ihr am Straßenrand.
»Tag Ebba!« sagte Egolf Dietsch vergnügt. »Bist du schon gesund?«
»Wieso?« entgegnete sie verständnislos.
»Nun, der Chef hat uns doch erklärt, daß du erkrankt wärest und auf unbestimmte Zeit dem Dienst fernbleiben müßtest.«
»Ach so«, faßte sie sich schnell. »Ja, ich bin wieder gesund. Aber meine Mutter liegt im Krankenhaus. Blutvergiftung. War fast schon zu