Leni Behrendt Staffel 5 – Liebesroman. Leni BehrendtЧитать онлайн книгу.
Dies alles nahm Frau Fränze so gefangen, daß ihr für die Töchter wenig Zeit blieb. Sie war zufrieden, daß Ricarda willig ihre Arbeit tat. Sah nicht, wie das Mädchen mit jedem Tag elender wurde.
Doch der Vater sah es – und das Herz tat ihm weh. Er wußte wohl, woran sein Kind krankte, aber er vermochte ihm ja nicht zu helfen. Er zerbrach sich den Kopf, wie er seinem Liebling eine kleine Freude bereiten könnte. Endlich schien er etwas gefunden zu haben.
»Ich muß heute noch nach Uhlen, wo ich mir einen Rat Habermanns einholen möchte«, erklärte er eines Tages bei Tisch, und da fuhr Frau Fränze auf –.
»Nach Uhlen willst du? Schämst du dich gar nicht?«
»Nun schlägt’s dreizehn!« lachte er amüsiert. »Warum soll ich mich schämen, wenn ich die Absicht habe, nach Uhlen zu fahren?«
»Weil das dort unsere Feinde sind. Ich habe den Kindern verboten, das Haus zu betretent.«
»Schlimm genug«, unterbrach er sie in dem energischen Ton, den er jetzt oft für sie hatte. »Ich wünsche aber, daß die Kinder den Verkehr mit den mir lieben Menschen aufrechthalten. Sie werden jeden Sonntag hinfahren. Und wenn es irgend geht, auch einmal in der Woche. Du brauchst die Mädchen jetzt nicht mehr so einspannen, hast nun Geld, um dir noch eine Hilfe zu halten.«
Für diese energische Bestimmung waren ihm seine Kinder von Herzen dankbar. Hauptsächlich Ricarda. Jede Woche wenigstens einmal den Mann sehen zu dürfen, den sie doch so schmerzlich liebte, war schon ein Glück für sie.
Am Tage nach der Unterredung mit Sölve hatte Jörn so ganz nebenbei erklärt, daß er nun wieder reisen werde. Heike sei gottlob so weit, daß sie auch ohne ihn vorankommen würde. Er begann seine Pläne kundzutun und schwieg dann plötzlich, als er dem schmerzzitternden Blick Sölves begegnete. Beschämt senkte er das Haupt. Frau Fröse war stumm hinausgegangen.
»Frau Sölve – ich kann Ihren Blick nicht ertragen, bitte, nicht so –«
»Jörn, ist es eines Mannes würdig, so feige zu kneifen?« hatte sie traurig gefragt. »Denken Sie denn gar nicht daran, wie mir zumute sein muß, wenn ich Sie von hier verjage? Jörn, seien Sie doch nicht so entsetzlich blind! Wollen Sie denn gar nicht sehen, ein wie heißes Herz hier für Sie schlägt, wie es sich in Gram und Leid fast verzehrt und –«
»Aha, das berühmte Pflaster –«, war er unwillig dazwischengefahren. »Ich hätte anderes von Ihnen erwartet –«
»Und ich von Ihnen. Sie könnten unerhört glücklich werden, wenn Sie nur wollten. Machen Sie die Augen auf, schauen Sie hellen Blickes um sich – mehr will ich Ihnen nicht sagen –«
Damit war sie hinausgegangen, weil ihr jämmerlich zumute war.
Aber ihre eindringlichen Worte verhallten nicht ungehört. Zu ihrer Freude konnte sie feststellen, daß er nun wirklich um sich schaute. Wie seine Augen immer mehr aufleuchteten, wenn er Ricarda sah, mit welchem Genuß er ihrem Gesang lauschte…
Ricarda kam wieder oft nach Uhlen. Auch die Zwillinge stellten sich regelmäßig ein. Nur Burga und Roderich ließen sich selten sehen. Erstere, weil sie keinen Kontakt mit den Uhlenern finden konnte, letzterer, weil es ihm zu langweilig war.
Mit Frau Fränze wurde es immer ärger. Sie stachelte den Ehrgeiz des Jungen mehr und mehr auf und beugte sich demütig vor ihrem Wunderknaben wie vor einem Heiligtum. Man fragte sich in Kalmucken wie in Uhlen, was daraus noch werden sollte.
Das Schicksal gab die Antwort darauf.
Eines Tages brachte man Frau Fränze ihren Abgott – tot.
Er war bei einer halsbrecherischen Turnübung gestürzt und hatte sich das Genick gebrochen. War ein Opfer seines fanatischen Ehrgeizes geworden. Von dem Lehrer war ihm immer wieder untersagt worden, diese schwere Übung auszuführen, und da hatte er sich heimlich in die Turnhalle geschlichen. Er wollte doch mal sehen, ob er unmöglich Scheinendes nicht möglich machen könnte.
Und das war sein Ende gewesen.
Es gab kaum einen, der den tragischen Tod des hochbegabten Knaben nicht tief bedauert hätte.
Der Vater trug Schmerz genug um seinen einzigen Sohn – doch am meisten war natürlich Frau Fränze getroffen. Zuerst stand sie diesem Furchtbaren fassungslos gegenüber, aber dann setzte ein Toben ein, daß man für ihren Verstand fürchten mußte.
Es war unheimlich still im Zimmer. Bis Ricarda laut aufschluchzte. Sie eilte zur Mutter, sank vor ihr in die Knie und umfaßte sie mit beiden Armen.
»Mama, liebe, liebe Mama – sei doch nicht so traurig –!« flehte sie in heißer Herzensangst. »Du hast ja noch uns – wir haben dich alle so lieb –!«
Der Blick der Frau sah auf sie nieder, wanderte dann weiter über die anderen Kinder hinweg – bis er an Elwira haften blieb –
»Ihr beide – ihr lebt natürlich –«, stieß sie in unheimlicher Ruhe zwischen den Zähnen hervor.
Da barg Herr Ragnitz mit dumpfem Stöhnen sein Haupt in beide Hände, während Ricarda mit einem Wehlaut die Arme sinken ließ. Ihr Kopf schlug vorwärts auf den Boden.
Jörn von Jührich eilte zu Hilfe, und Sölve folgte ihm. Auf sie heftete sich nun Frau Fränzes stierer Blick. »Hinaus –!« schrie sie, daß ihr die Stimme überschlug. »Du bist schuld an seinem Tode – du hast ihm sein Erbe gestohlen –! Das hat er nie überwinden können...«
Damit sank sie ohnmächtig zusammen.
*
Ich nehme dich auf
voll Barmherzigkeit,
bei mir kühlst du
all dein brennendes Leid,
du verirrtes Herze du.
Meine Welle,
die wieget fein sacht dich ein,
wie ein banges,
schlafmüdes Kindelein,
zur süßen, seligen Ruh.
Man mußte wohl sagen, daß Frau Fränze nicht nur starke Nerven, sondern auch ein starkes Herz hatte. Schon zwei Wochen nach dem Tode ihres Sohnes war sie wieder in Haus und Küche tätig und führte ein strenges Regiment.
Nach den vier abwesenden Töchtern fragte sie nie, schien nur noch ein Kind zu besitzen, mit dem sie fast die gleiche Abgötterei trieb, wie es bei Roderich der Fall gewesen war. Ihr ganzes Sinnen und Trachten ging darauf hinaus, Walburga mit dem jungen Eutel zu verheiraten.
Wohl sah sie, daß das früher so blühende Mädchengesicht unheimlich blaß aussah, daß um Augen und Mund ein herber Schmerzenszug lag. Sie machte sich jedoch keine Gedanken darüber, sondern schob es auf Blutarmut, die bald behoben sein würde.
An einem Nachmittag saß sie mit Burga im Wohnzimmer. Stolz hielt sie den gestickten Überzug eines Sofakissens in die Höhe.
»Schau mal, Burgalein, ist mir die Arbeit nicht gut gelungen?« fragte sie eifrig. »Dieser Überzug kommt auf das Kissen, das das kleine Sofa zieren soll. Ist doch gut, daß ich Tante Bettinas Nachlaß verlangte, nun wird er dir gute Dienste leisten.
Übrigens hat Papa mit Sölve des Gutes wegen gesprochen, das unserm armen Roderich gehörte. Nun sollst du es haben. Da kann der Eutel lachen, der macht eine gute Partie.«
Walburga, die an einer feinen Handarbeit stichelte, hob den Kopf.
»Muß es Eutel sein, Mama – kann es nicht auch ein anderer sein?« fragte sie leise, und Frau Fränze fiel aus allen Wolken.
»Aber Kind, was ist das für eine Frage! Du warst doch für eine Verbindung mit Eutel Feuer und Flamme.«
»Zuerst wohl, Mama – aber später nicht mehr. Ich liebe ihn nicht. Ich liebe einen andern.«
Bei dieser unerwarteten Eröffnung war Frau Fränze zuerst fassungslos, doch dann stieg tiefe Empörung