Gesammelte Werke. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.
von Worten mehr bedeuten lassen konnten, als die Summe der einzelnen Worte. Bei diesem flüchtigen Schimmer des Geheimnisses war er tief bewegt und fühlte sich wiederum erhoben zu diesem Anblick sonniger Flecken und sternenklarer, leerer Räume ... bis er merkte, daß es sehr still in der Stube war. Da sah er, wie Ruth ihn leise belustigt und mit einem Lächeln in den Augen anblickte.
»Ich habe eine große Vision gehabt«, sagte er, und bei dem Klang seiner eigenen Worte klopfte ihm das Herz heftig. Woher waren diese Worte gekommen? Sie hatten genau ausgedrückt, was er in der Gesprächspause erlebt hatte. Es war ein Wunder. Nie hatte er versucht, erhabene Gedanken in Worte umzusetzen. Das war alles. Das erklärte alles. Er hatte es nie versucht. Aber Swinburne hatte es getan und Tennyson und Kipling und alle andern Dichter. Seine Gedanken flogen zu den »Perlenfischern« zurück. Nie hatte er gewagt, sich mit den wirklich großen Dingen einzulassen, mit dem Schönheitsdrang, der wie Feuergluten in ihm brannte. Der Aufsatz würde etwas ganz anderes werden, wenn er ihn fertig hatte. Er erschrak über die ungeheure Schönheit, die mit Recht zu dem Aufsatz gehörte, und wieder erhob sich seine Seele zu den großen Dingen, und er fragte sich, warum er die Schönheit nicht wie die großen Dichter in edlen Versen besingen konnte. Und dazu liebte er Ruth mit all der geheimnisvollen Freude und Verwunderung, die seine Seele füllte. Warum konnte er nicht auch die Liebe besingen, wie die Dichter taten? Sie hatten von Liebe gesungen. Das wollte er auch tun. Da soll Gott –!
Und plötzlich hörte er diesen Ausruf in seinen erschrockenen Ohren. Er war hingerissen worden und hatte es laut gesagt. Das Blut stieg ihm in heißen Wellen ins Gesicht und ließ es, trotzdem es so sonnenverbrannt war, vom Kragen bis zu den Haarwurzeln erröten.
»Ich – ich – bitte um Entschuldigung«, stammelte er. »Ich dachte.«
»Es klang, als ob Sie beteten«, sagte sie mutig, aber es war, als schauderte sie innerlich. Es war das erstemal, daß sie einen Mann, den sie kannte, fluchen hörte, und das empörte sie nicht nur infolge ihrer Prinzipien und ihrer Erziehung, sondern kränkte sie im Innersten durch diesen gewaltsamen Lebenshauch, der in den Garten eindrang, in dem sie in jungfräulicher Unberührtheit lebte.
Aber sie verzieh ihm und wunderte sich gleichzeitig, daß ihr dies Verzeihen so leicht ward. Es war ja auch nicht so schwer, ihm zu verzeihen. Er hatte nicht die Möglichkeiten anderer Männer gehabt, er arbeitete schwer und hatte ja auch Erfolge. Nie war ihr eingefallen, daß ihre freundliche Gesinnung ihm gegenüber andere Gründe haben konnte. Ihre Gefühle waren von Zärtlichkeit getragen, aber sie wußte es nicht. Woher sollte sie es denn auch wissen? Die Ruhe, die ihre vierundzwanzig Jahre, in denen sie nicht ein einziges Mal verliebt gewesen war, ihr gaben, gewährten ihr keinen Einblick in ihre Gefühle; sie hatte nie die Wärme der Liebe gefühlt und war sich auch darum nicht bewußt, daß sie in eben diesem Augenblick in ihr erwachte.
Elftes Kapitel
Martin kehrte an seinen Aufsatz über die Perlenfischer zurück, der schneller fertig geworden wäre, hätte er ihn nicht immer wieder beiseitegelegt und sich in Versen versucht. Seine Gedichte waren von Ruth inspirierte Liebesgedichte, aber sie wurden nie fertig. Er konnte nicht an einem Tage lernen, in edlen Versen zu singen. Reim und Versmaß waren an sich schon ernste Hindernisse auf seinem Wege, weit schwerer aber war das nicht handgreifliche und immer weichende Element, das er in allen großen Dichtungen fand, aber nicht selbst in seinen eigenen Dichtungen einfangen konnte. Es war der täuschende Geist der Poesie selbst, den er fühlte und suchte, aber nicht greifen konnte. Es war wie eine ständige Glut, ein warmer, wogender Dampf, der sich immer außer Reichweite hielt, wenn er ihm auch zeitweise seine Mühe lohnte und ihm Bruchstücke zuteil werden ließ. Diese Bruchstücke verwob er zu Sätzen, die unabhängig in seinem Geist in Tönen widerklangen oder vor seinem Blick wie Nebel von ungeahnter Schönheit wogten. Es war fast unerträglich. Er brannte vor Sehnsucht, sich auszudrücken, und konnte nur in Prosa schwatzen. Er las seine Bruchstücke laut. Das Versmaß war vollkommen, Reim und Rhythmus auch, aber die Glut der Begeisterung, die er in seinem Innern fühlte, fehlte. Das verstand er nicht, und immer wieder kehrte er verzweifelt zu seinem Aufsatz zurück. Ja, Prosa war wirklich leichter!
Nach dem Aufsatz über die Perlenfischer schrieb er einen über den Seemannsberuf, einen zweiten über den Schildkrötenfang und einen dritten über den Nordostpassat. Dann versuchte er es mit einer kurzen Erzählung und schrieb nun hintereinander sechs Kurzgeschichten, die er verschiedenen Zeitschriften sandte. Er schrieb unaufhörlich, mit glühendem Eifer, vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hinein, und unterbrach die Arbeit nur, um auf die Bibliothek zu gehen, zu lesen, sich Bücher zu holen, oder um Ruth zu besuchen. Er war grundglücklich. Er fühlte die Schöpferfreude, die die Götter gekannt haben sollen. Das ganze Leben um ihn her, der Geruch von altem Gemüse und Seifenwasser, der Anblick seiner schlampigen Schwester und des spöttischen Gesichts Bernard Higginbothams waren wie ein Traum. Die wirkliche Welt war die, die in seinen Gedanken lebte; und die Geschichten, die er schrieb, waren ebenso viele Stücke Wirklichkeit aus der Werkstatt der Gedanken.
Die Tage waren nur allzu kurz. Es gab so vieles, das er studieren wollte. Er gewöhnte sich daran, sich mit fünf Stunden Nachtschlaf zu begnügen, und kam zu der Erkenntnis, daß er damit auskam. Dann versuchte er es mit viereinhalb Stunden, kehrte aber mit Kummer zu den fünf zurück. Er hätte mit Freude seinen ganzen Tag mit jedem einzelnen der Gegenstände verbracht, mit denen er sich beschäftigte. Nur mit Bedauern unterbrach er sein Schreiben, um Bücher zu lesen, oder legte die Bücher beiseite, um auf die Bibliothek zu gehen, und nur mit Bedauern riß er sich los aus dem Kompaßhaus der Kenntnisse oder von den Zeitschriften im Lesesaal, die so voll waren von den Geheimnissen, welche die Autoren, deren Arbeiten gekauft wurden, kannten. Und wenn er mit Ruth zusammen war, so hieß es fast den Lebensfaden zerschneiden, wenn er sich erheben und gehen mußte; und er eilte durch die dunklen Straßen, um mit dem geringsten Zeitverlust wieder zu seinen Büchern zu kommen; am allerschwersten aber war es, mit Mathematik und Physik aufzuhören, Heft und Bleistift beiseitezulegen und die müden Augen zum Schlaf zu schließen. Er haßte den Gedanken, daß er, selbst für eine so kurze Weile, aufhören sollte zu leben, und sein einziger Trost war, daß ihn die Weckuhr in fünf Stunden rufen sollte. Er sollte nur fünf Stunden verlieren, dann riß ihn der Klang der Glocke aus seiner Bewußtlosigkeit, und er erwachte zu einem neuen, herrlichen neunzehnstündigen Tage.
Unterdessen aber verstrichen die Wochen, sein Geld ging auf die Neige, und es kam kein neues. Einen Monat, nachdem er seine lange Geschichte an die Jugendzeitung gesandt hatte, kam sie zurück. Die gedruckte Ablehnung war in so taktvolle Ausdrücke gekleidet, daß er dem Redakteur ganz freundlich gesinnt war. Weniger freundlich aber war er dem San Francisco Examiner gesinnt. Nach zwei Wochen hatte er an das Blatt geschrieben. Eine Woche später schrieb er wieder. Als ein Monat vergangen war, fuhr er nach San Franzisko und bat, den Redakteur sprechen zu dürfen. Dank einem minderjährigen rothaarigen Laufburschen, der die Pforte wie ein zweiter Zerberus bewachte, traf er die erhabene Persönlichkeit nicht. Nach fünf Wochen kam das Manuskript mit der Post ohne eine Bemerkung zurück. Es gab keine gedruckte Ablehnung, keine Erklärung, nichts. Ebenso lagen seine andern Aufsätze bei den andern größeren Blättern San Franziskos. Als er sie zurückerhielt, schickte er sie an die Zeitschriften in den östlichen Staaten, von denen er sie ebenfalls, aber schneller und von den üblichen gedruckten Ablehnungen begleitet, zurückerhielt.
Ebenso wurden auch die Kurzgeschichten zurückgesandt. Er las sie immer wieder, und sie gefielen ihm so gut, daß er sich durchaus nicht denken konnte, warum er sie zurückerhielt, bis er eines Tages in einer Zeitung las, daß Manuskripte stets mit der Maschine geschrieben sein müßten. Das erklärte alles. Selbstverständlich hatten die Redakteure zuviel zu tun, um Zeit und Kräfte darauf zu verschwenden, Handschriften zu lesen. Martin mietete sich eine Schreibmaschine und verbrachte einen ganzen Tag damit, ihre Hantierung zu erlernen. Täglich schrieb er auf der Maschine das verfaßte Pensum ins reine und schrieb ferner seine älteren Manuskripte ebenso schnell ab, wie sie zurückkamen. Er war überrascht, als auch die mit der Maschine geschriebenen Manuskripte zurückzukommen begannen. Aber er preßte nur die Lippen zusammen, schob das Kinn vor und schickte die Manuskripte an andere Redaktionen.